Party für alle? So barrierefrei ist das Zürcher Nachtleben

Barrierefreiheit ist im Zürcher Nachtleben noch nicht selbstverständlich, wie eine Umfrage zeigt. Ein Event in Zürich will nun als «erster inklusiver Tanztag der Schweiz» neue Massstäbe setzen.

Eingang des Klubs Supermarket
Ende September öffnet der Klub Supermarket seine Tore für die «Inclusions». Die Party will «Welten verbinden». (Bild: Kai Vogt)

Der Bass wummert, die Füsse tänzeln, die Gespräche in der Raucherecke fliessen so leicht wie das Bier durch die Zapfhähne. 

Wer feiern geht, betritt eine Welt, die Menschen verbindet. Zugleich aber auch eine, die ausschliesst – so erlebt es Sara Cabrera.

Sie ist 30 Jahre alt, trägt rote Haare und bunte Kleidung. Die Zürcherin fühlt sich vom Nachtleben angezogen und zugleich abgeschreckt. Grund ist ihre kognitive Beeinträchtigung. «Ich habe Angst, ausgelacht und diskriminiert zu werden», sagt sie. Das habe sie in Vergangenheit bereits öfters erlebt.

Statt in Klubs geht sie heute deshalb regelmässig ins Oerliker Kulturlokal von Insieme, einem Verein zur Unterstützung von Menschen mit geistiger Behinderung. Dort pflegt sie Freundschaften und übt sich als Rapperin und DJ. 

Der Verein erlaubt Cabrera, ihr Können bald zur Schau zu stellen: Ende September steht sie als DJ zum ersten Mal auf einer Bühne, bei der «Inclusions» im Zürcher Klub Supermarket an der Geroldstrasse. Der von Insieme organisierte Anlass versteht sich als «erster inklusiver Tanztag der Schweiz» – eine Party, die laut Flyer «Barrieren brechen» und «Welten verbinden» will.

Kein Zugang zu Techno

Roland Lüthi ist Mitinitiant der «Inclusions». Er leitet das Kulturlokal in Oerlikon und verantwortet gleichzeitig die Insieme-Events. Wenn er vom kommenden Rave spricht, sprüht er vor Begeisterung. «Techno verbindet», sagt Lüthi. Doch Menschen mit Beeinträchtigungen hätten oft kaum Zugang dazu. Viele lebten in Wohnheimen, in denen Tag für Tag nur SRF1 oder Schlagermusik laufe. 

Der Event im Klub Supermarket ist ein Novum: Zwar gibt es in der Region Zürich bereits die regelmässig stattfindenden «La Viva»-Partys, etwa Anfang Oktober im Zürcher «Labor 5». Diese richten sich jedoch primär an Menschen mit Beeinträchtigungen und deren Begleitungen. Zu einer Vermischung des Partyvolks, egal ob mit oder ohne Beeinträchtigung, kommt es dabei nicht. Das sagt eine Organisatorin auf Anfrage.

«Im Nachtleben sind in puncto Barrierefreiheit weniger Entwicklungen spürbar als in anderen Bereichen der Kulturszene.»

Brianna Deeprose, Expertin Barrierefreiheit Kulturbüro Zürich

Diese Durchmischung will Lüthi mit der «Inclusions» erreichen, einerseits mit dem Abbau von Barrieren: Eine Gruppe Sozialarbeiter:innen ist als Care-Team dort, es gibt ein barrierefreies WC und der Eintritt ist für Menschen mit Beeinträchtigungen gratis. Andererseits wird die Party von Menschen mit und ohne Beeinträchtigung geschmissen. Neben Cabrera – mit dem Künstlerinnennamen Sarita Duracell – steht auch DJ Bächli, der Trisomie 21 hat, am Mischpult. Zusätzlich ist eine inklusive Tanzshow geplant, die von Menschen aus dem Umfeld von Insieme aufgeführt wird.

«Es fehlt an grundlegender Infrastruktur»

Die Frage nach Barrierefreiheit im Zürcher Nachtleben stellt sich dabei grundsätzlich.

Brianna Deeprose vom Kulturbüro Zürich, die Workshops zur Sensibilisierung für Behinderungen anbietet, sagt: «Im Nachtleben sind weniger Entwicklungen spürbar als in anderen Bereichen der Kulturszene.» Zwar entstünden zunehmend Rückzugsräume, Sensory Rooms oder Awareness-Teams, doch oft fehle bereits die grundlegende Infrastruktur. 

Eine kleine Umfrage bei Zürcher Klubs zeigt ein gemischtes Bild:

Das X-TRA verweist auf rollstuhlgängige Zugänge und barrierefreie Toiletten. Bei Konzerten sei der Zugang mit dem Rollstuhl in die Galerie möglich; für elektrische Rollstühle reiche der Platz dort jedoch nicht. Auch das Exil ist ebenerdig zugänglich. An der Bar gibt es zudem einen abgesenkten Tresenbereich, der Bestellungen aus dem Rollstuhl erleichtern soll. Derzeit sei die Umrüstung des Toilettenschlosses auf ein Eurokey-System geplant – ein Schlüsselsystem für Menschen mit Behinderungen.

Sara Cabrera in Oerlikon
Sara Cabrera (30) feiert an der «Inclusions» ihren ersten DJ-Auftritt. (Bild: Kai Vogt)

Umfangreiche Massnahmen werden zurzeit in der Roten Fabrik ergriffen. Das alternative Kulturhaus befindet sich «in einem extern begleiteten Transformationsprozess, um Strukturen im Bereich Barrierefreiheit und Diversität zu verbessern», wie es auf Anfrage heisst. Drei Aktionshallen sind bereits rollstuhlgängig zugänglich; bei Partys kommen geschulte Awareness-Teams zum Einsatz, zudem sind die Ticketpreise flexibel gestaltet.

Das Kauz ist zwar ebenfalls rollstuhlgängig, die Räumlichkeiten jedoch sehr eng. Auf bauliche Erweiterungen sowie ein spezielles Awareness-Team müsse man aus finanziellen Gründen verzichten. Die Anfragen ans Hive sowie ans Plaza blieben unbeantwortet.

Kulturbüro bietet Workshops zu Barrierefreiheit

Deeprose betont: Nicht nur physische Barrieren spielen eine Rolle. Lichtverhältnisse, hohe Lautstärke, enge Menschenmengen und fehlende Ruhemöglichkeiten können ebenfalls ausschliessen.

Klubs stehen oft vor der Herausforderung, ihre Angebote inklusiver zu gestalten – auch finanziell. Um sie dabei zu unterstützen, läuft seit einem Jahr das Pilotprojekt «Support Access» des Kulturbüros, mit Unterstützung der Stadt Zürich. Es bietet Workshops zu inklusiver Sprache, zur Planung barrierefreier Events und zur Mitarbeit von neurodivergenten Menschen im Kulturbetrieb. Ausserdem stellt das Projekt Material zur Verfügung, das die Zugänglichkeit verbessert, und vermietet es zu günstigen Preisen.

Doch selbst wenn die Infrastruktur stimmt, entscheidet auch die Stimmung eines Klubs darüber, ob sich Menschen wie Sara Cabrera willkommen fühlen. «In der Gesellschaft gibt es noch immer grosse Stigmatisierung von Menschen mit Beeinträchtigungen», sagt Martina Schweizer, Geschäftsleiterin der Behindertenkonferenz Kanton Zürich. Ihre Kolleg:innen würden ihr von Fragen berichten wie: «Darfst du überhaupt Alkohol trinken?» Oft fehle der direkte Kontakt mit Menschen mit Beeinträchtigungen. 

Roland Lüthi von Insieme möchte dies mit seiner Party ändern – auch langfristig. Seine Vision ist es, ein regelmässiges Format aufzubauen, wozu er im Nachgang der Party ein Round Table mit Gleichgesinnten organisieren will.

Und Sara Cabrera? Sie freut sich auf ihren DJ-Gig an der «Inclusions». Auch sonst will sie das Nachtleben künftig mehr erkunden, trotz der Barrieren. Sie sagt: «Momentan fehlt mir einfach eine Person, die mich begleitet, damit ich mich in die Klubs traue.»

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Kommentare

Angelo Klap
24. September 2025 um 12:46

Gilt auch schon für ü 50

Endlich wird dieses Thema mal angesprochen. Ich kann mich sehr gut in Menschen mit Beeinträchtigungen einfühlen, die mit Missbildungen konfrontiert sind. Als 59 Jähriger Mann, der sich gerne alleine, ohne attraktiver, jüngeren Begleitung, in der Clubszene bewegt, kann ein Lied davon singen, mit welcher kalter Arroganz und Missbildung ich oft konfrontiert werde. Das geht von Abwetenden Blicken, bis zu Sprüchen wie: "Hey Opa, du hast dich wohl in der Tür geirrt". Ein Besitzer eines Clubs hat mir sogar schon mal offen ins Gesicht gesagt, dass "Eisame Wölfe in meinem Alter hier nicht willkommen seien ". Inklusion wahr ursprünglich mal ein zentrales Element der Technokultur, das ist leider zumindest in Zürich verloren gegangen, oder Mensch muss gut informiert sein, um zu wissen, wo es die entsprechenden Partys oder Clubs noch gibt.