Parkplatz-Abbau vor dem Laden: Bäcker aus Wiedikon sammelt Unterschriften
Die Stadt will an der Manessestrasse und am Stauffacherquai mehr als 100 Parkplätze aufheben. Naftali Beck, Inhaber der Ma’adan Bakery, der einzigen koscheren Bäckerei in Zürich, hat Unterschriften gegen das Bauvorhaben gesammelt – mit Erfolg.
Im Zuge des Wandels hin zu einer klimaneutralen Stadt plant das Tiefbauamt der Stadt Zürich, den Strassenraum umzuverteilen: Teil davon ist unter anderem das geplante Projekt an der Manessestrasse/Stauffacherquai. Dort soll es ab 2027 abgetrennte und durchgehende Veloverbindungen sowie 100 neue Veloabstellplätze geben. Fussgänger:innen sollen mehr Platz erhalten und 40 zusätzliche Bäume zur Hitzeminderung beitragen. Dafür sollen am Stauffacherquai und an der Schimmelstrasse 104 von 136 Parkplätzen weichen.
Nicht alle freuen sich über diese Massnahmen. So liess zum Beispiel Urs Rauber, Präsident des Quartiervereins Wiedikon, Anfang Februar gegenüber Zürich 24 verlauten, dass der Abbau von Parkplätzen an der Schimmelstrasse und Manessestrasse in einer langen Reihe von städtischen Bestrebungen steht, die für das Gewerbe in Alt-Wiedikon sowie für die an diesen beiden Verkehrsachsen wohnenden jüdischen Familien zum Problem werden. «Das wissen wir aus dem Kontakt mit Anwohnerinnen und Anwohnern vor Ort. Der Einkauf mit dem Auto ist speziell für kinderreiche Familien schwieriger geworden. Dasselbe gilt für Geschäfte und Handwerksbetriebe, denen die Zufahrt zu Liegenschaften erschwert wird.»
Das bestätigt Naftali Beck. Er ist Inhaber der Ma’adan Bakery, der einzigen koscheren Bäckerei in Zürich. «Überall in den umliegenden Strassen wohnen Familien, die auf das Auto angewiesen sind», erzählt er. Beck hat in seiner Bäckerei Unterschriften gegen das Bauvorhaben der Stadt gesammelt, selbst auch Einwendungen eingelegt und damit den offiziellen Beschwerdeweg begangen. Während dem Gespräch vor seiner Bäckerei, manövriert gerade ein Kunde sein Auto von der breiten Gehwegfläche weg. Der Geschäftsinhaber zeigt auf die Szenerie: «Sehen Sie, so sieht das jetzt schon hier aus. Und gleich hier soll dann auch noch ein breiter Veloweg hinzukommen.» Sein Finger wandert auf das Auto direkt daneben, das auf einer Ladefläche-Zone parkiert: «Und dann wollen sie mir auch noch meinen Ladezone-Parkplatz wegnehmen. Aber den brauche ja nicht nur ich, sondern auch meine Lieferanten.»
Korrelation zwischen Abbau von Parkplätzen und Rückgang der Umsätze?
Die Ma’adan Bakery liegt an der Ecke Schimmel- und Manessestrasse nahe der Autobahnauffahrt. Zwischen dem Ladenfenster und der Sportanlage Sihlhölzli liegen fünf Autospuren. Der Lage zum Trotz erfreut sich die Bäckerei seit ihrer Eröffnung 2015 nicht nur in der jüdischen Community grosser Beliebtheit, sondern zieht auch ein junges, urbanes nicht-jüdisches Publikum an. Ein Publikum, das mit mehr Fuss- und Veloverbindungen sicherlich noch zunehmen könnte, würde man annehmen.
Dies unterstreicht unter anderem eine Untersuchung, die Urs Dürsteler, ehemaliger Prorektor der Hochschule für Wirtschaft Zürich (HWZ), 2020 für die City-Vereinigung verfasst hat. Dazu hat er Läden rund um den Münsterhof befragt, auf dem 2016 sämtliche Parkplätze abgebaut wurden. Wie der «Tages-Anzeiger» zusammenfasst, ist die Erkenntnis wie folgt: Zwar haben fast alle Gewerbetreibenden festgestellt, dass die mit dem Auto anreisende wohlhabende Kundschaft abgenommen hat. Dafür habe die Neugestaltung des Münsterhofs dazu geführt, dass es mehr Laufkundschaft gebe. Die meisten befragten Geschäfte verzeichneten nach dem Umbau gar eine positive Umsatzentwicklung. Eine allgemeine Korrelation zwischen dem Abbau von Parkplätzen und einem Rückgang der Umsätze sei nicht ersichtlich.
Für Naftali Beck ist die Verkehrssituation vor Ort aber durchaus entscheidend. Natürlich kämen auch Leute zu Fuss oder mit dem Velo, beispielsweise die Schulkinder, die an diesem Vormittag im Zehnminutentakt zur Ladentüre hereintreten. Der Grossteil der Kundschaft aber komme mit dem Auto, auf der Durchfahrt aus der Stadt heraus oder in die Stadt hinein. Würden die vorhandenen Parkplätze wegfallen, müsste seine Kundschaft einmal um den Block herumfahren und beim Bahnhof Wiedikon nach einem Ort zum Parkieren suchen, ist er überzeugt.
Er habe nichts gegen das Velo, so Beck: «Es braucht Platz für das Velo, für die Fussgänger:innen, aber eben auch für das Auto. Momentan, so habe ich das Gefühl, geht alles allein gegen das Auto.» Er deutet auf die gegenüberliegende Strassenseite zum Musikpavillon Sihlhölzli: «Dieses Gebäude wird seit Jahrzehnten nicht mehr benutzt. Dort ist genug Platz, um den bereits vorhandenen Veloweg auszubauen. Da kann man eine Velo-Autobahn bauen.»
Seinen Eindruck, dass die Verantwortlichen bei der Stadt sich gar nicht wirklich mit den Verhältnissen vor Ort auskennen würden, sieht er auch in einem anderen Punkt bestätigt: Als Teil der vorgesehenen Bauarbeiten sollen unter anderem auch zwei Unterführungen unter der Manessestrasse zugeschüttet werden, erzählt er. Dabei seien diese als Schulweg der Jüdischen Mädchenschule im Sihlhölzli unerlässlich für die Sicherheit der Schülerinnen: «Auch dagegen habe ich eine Einwendung eingereicht.»
432 Einwendungen
Strassenbauvorhaben wie diese werden vor der Kreditbewilligung jeweils in einem Mitwirkungsverfahren öffentlich aufgelegt. Bei diesem können sich Interessierte mittels Einwendungen zum Projekt einbringen. Nach Ablauf der Auflagefrist prüft das Tiefbauamt die Einwendungen und veröffentlicht danach einen Bericht mit Stellungnahmen zu den Einwendungen. Diese Frist endete beim Projekt an der Manessestrasse/Stauffacherquai vor etwas mehr als einer Woche. Wie Evelyne Richiger, Leiterin Kommunikation des städtischen Tiefbauamts, auf Anfrage bestätigt, sind ganze 432 Einwendungen eingegangen. «Das sind viel mehr als normalerweise üblich», so Richiger. Man habe dies aufgrund der Medienberichterstattung aber erwartet. Wie lange es dauern wird, bis das überarbeitete Projekt öffentlich aufgelegt wird, sei noch unklar – und in diesem Fall auch, ob und in welcher Form die Einwände von Beck und den anderen Menschen aus dem Quartier berücksichtigt werden.
Bis die Strasse umgestaltet wird, wird es noch einige Jahre dauern. Denn auch gegen das überarbeitete Projekt kann Rekurs eingelegt werden – sogar bis vor Bundesgericht.
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Sein Studium in Politikwissenschaften und Philosophie in Leipzig brachte Steffen zum Journalismus. Als freier Journalist schrieb er für die WOZ, den Tagesspiegel oder die Schaffhauser AZ. Laut eigenen Aussage hat er «die wichtigste Musikzeitschrift Deutschlands, die Spex, mit beerdigt». Seit 2020 ist Steffen bei Tsüri.ch. Sein Interesse für die Zürcher Lokalpolitik brachte das wöchentliche Gemeinderats-Briefing hervor. Nebst seiner Rolle als Redaktor kümmert er sich auch um die Administration und die Buchhaltung.