Oliver Heimgartner (SP): «Ein skurriles Hobby habe ich nicht»
Der Präsident der stärksten Partei der Stadt sitzt seit zwei Wochen im Gemeinderat. Oliver Heimgartner erklärt, warum dies erst jetzt der Fall ist und ob die SP-Fraktion nun linksextrem wird.
Es ist erst seine zweite Gemeinderatssitzung, doch Oliver Heimgartner ist bereits jetzt bekannter als die meisten seiner Ratskolleg:innen. Das hat zwei Gründe. Erstens ist Heimgartner seit fünf Jahren Präsident der SP Stadt Zürich, der wähler:innenstärksten Partei der Stadt Zürich.
Zweitens ist «Oli» Heimgartner, 29 Jahre, aufgewachsen in Albisrieden, seit seinem 15. Lebensjahr Teil des Stadtzürcher Politzirkus.
Seine Juso-Vergangenheit wird immer zuerst aufgegriffen: die Nackt-Kampagne gegen das Nachrichtendienstgesetz, das Mercedes-Anpinkeln, die Anzeige gegen den damals noch SP-Regierungsrat Mario Fehr wegen des Kaufs einer Überwachungssoftware, woraufhin dieser seine Parteimitgliedschaft sistierte.
Die letzten Jahre lag sein Schwerpunkt vor allem in der strategischen Arbeit.
Das Interview mit Tsüri.ch findet am Telefon statt. Heimgartner befindet sich gerade in Ligerz im «Campaign Camp Switzerland».
Das ist Heimgartners Welt: Einst war er Teilnehmer, heute ist er Mitorganisator. Der Kurs ist eine Talentschmiede: Fast jede erfolgreiche, linke Kampagne der letzten Jahre wurde von einer Person geleitet, die das einwöchige Bootcamp absolviert hat.
Heimgartner selbst war Kampagnenleiter der eidgenössischen Volksinitiative «Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln», arbeitete an der städtischen «Velorouten-Initiative» und der Klima-Kompromisslösung. Heute ist er Co-Geschäftsleiter für die Konzernverantwortungsinitiative.
Trotz seiner politischen Erfahrung ist der Gemeinderatssitz Heimgartners erstes parlamentarisches Amt. «Politik geschieht längst nicht nur in den Institutionen. Als Partei haben wir in den letzten Jahren mit Volksinitiativen für mehr bezahlbaren Wohnraum oder sichere Velorouten die Bevölkerung mobilisiert und Druck aufgebaut», sagt Heimgartner.
Der Präsident ist der Neue
«Ich habe das Amt des Gemeinderats nicht gesucht», so der SP-Präsident, doch er freue sich auf die Arbeit im Parlament. «Viele Stellschrauben der Politik befinden sich im Gemeinderat. Hier geht es an die Detailarbeit und Umsetzung dessen, was die Bevölkerung beschlossen hat.»
Heimgartner ist ein Polit-Profi, das zeigt sich im Gespräch schnell. Die Antworten sitzen und sind auf Parteilinie. Im Gemeinderat will er sich dafür einsetzen, «dass es endlich vorwärtsgeht», mit bezahlbarem Wohnraum, mit der Velopolitik, der Entlastung des Mittelstandes.
Persönliche Anekdoten lässt er aus. Auch auf explizite Nachfrage gibt es von ihm keinen Schwank aus dem Privatleben: «Sie meinen, ob ich ein skurriles Hobby habe oder so? Nein, für das fehlt mir schlicht und einfach die Zeit.» Nina Graf: Ihre Agenda stelle ich mir ziemlich voll vor. Die Gesamterneuerungswahlen stehen bevor, das Präsidium will verteidigt, die knappe linke Parlamentsmehrheit bewahrt werden. Diesen Herbst kommen in der Stadt zwei SP-Initiativen an die Urne. Jetzt noch das Gemeinderatsmandat. Haben Sie dem Schlaf abgeschworen?
Oliver Heimgartner: Diesen Juni habe ich meinen Master of Business Administration abgeschlossen. Somit habe ich wieder Kapazität für eine neue Aufgabe. Während der Sommerferien war ich drei lange Wochen weit weg von Zürich, auf Interrailferien in Irland. Jetzt bin ich erholt für die Herausforderung.
Mit welcher Ratskollegin oder welchem Ratskollegen der politischen Gegenseite würden Sie etwas trinken gehen wollen? Oliver Heimgartner: Mit Karin Weyermann von der Mitte.
Warum? Die Mitte ist für mich als Partei schwer zu fassen. Bei vielen Themen weiss ich nicht, wo sie steht. Karin Weyermann ist eine erfahrene Politikerin. Ein Austausch mit ihr würde mir ihre Perspektive näherbringen.
Welches Abstimmungsergebnis im Rat hat Sie am meisten gefreut? Das Ja zum Mindestlohn. Die Vorlage war gut austariert und fand im Gemeinderat deswegen breite Unterstützung. Das ist für mich eines der Beispiele, bei dem man sieht, inwiefern die Arbeit im Gemeinderat der Bevölkerung effektiv nutzen kann. 17`000 Stadtzürcher:innen, die monatlich weniger als 4000 Franken verdienen, sollen so endlich einen Lohn zum Leben erhalten.
Was hat Sie am meisten geärgert? Dass der Volksentscheid nun von FDP-nahen Kreisen angefochten wird und die Einführung des Mindestlohns dadurch bis auf Weiteres blockiert ist.
Bei meiner ersten Sitzung im Gemeinderat hat mich ausserdem überrascht, dass mich der SVP-Fraktionschef in einer Erklärung bereits in den ersten drei Minuten persönlich angegriffen hat. Ich finde es schade, wenn die Zeit im Parlament für solche Selbstinszenierungen draufgeht.
Werden Sie sich für die Gesamterneuerungswahlen im März 2026 wieder aufstellen lassen? Selbstverständlich. Als ich das Amt angenommen habe, war mir klar, dass es eine längerfristige Verpflichtung ist. Mein Name wird auf dem Wahlzettel stehen, dieses Mal auf dem Platz der Bisherigen.
Aufgewachsen am linken Zürichseeufer, Studium der Geschichte, Literatur- und Medienwissenschaft an den Universitäten Freiburg (CH) und Basel. Sie machte ein Praktikum beim SRF Kassensturz und begann während dem Studium als Journalistin bei der Zürichsee-Zeitung. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin untersuchte sie Innovationen im Lokaljournalismus in einem SNF-Forschungsprojekt, wechselte dann von der Forschung in die Praxis und ist seit 2021 Mitglied der Geschäftsleitung von We.Publish. Seit 2023 schreibt Nina als Redaktorin für Tsüri.ch.