«Mich machen weder Religion noch die Scheidungsrate besonders an»
Kommende Woche findet in Zürich das Literaturfestival «Die Rahmenhandlung statt». Im Vorfeld haben sich die beteiligten Schriftsteller*innen, Autor*innen und Journalist*innen gegenseitig interviewt. In einer Mini-Serie veröffentlichen wir ab heute einige der gesammelten Texte. Gestartet wird mit den Autor*innen Anna Rosenwasser, Sunil Mann und Romana Ganzoni.
Zeiten wie diese bringen einen dazu, Veranstaltungen neu und anders zu denken. Alon Renner zum Beispiel führt in seinem Haus in Zürich kommende Woche ein Literaturfestival durch, an dem unter anderem die Schriftsteller*innen Seraina Kobler, Romana Ganzoni, Sunil Mann sowie die Journalist*innen Simone Meier, Alex Flach und Anna Rosenwasser Texte vorlesen werden. Pro Veranstaltung werden nur 40 Besucher zugelassen, die zu Beginn in vier Gruppen eingeteilt und jeweils von Zimmer zu Zimmer wandern werden.
Im Vorfeld dieser Veranstaltung haben sich die Beteiligten gegenseitig interviewt. Tsüri.ch veröffentlicht eine kleine Auswahl der gesammelten Texte. Gestartet wird mit einem E-Mail-Verkehr zwischen der Journalistin und Aktivistin Anna Rosenwasser und Schriftssteller Sunil Mann, gefolgt von einem Interview mit Schriftstellerin Romana Ganzoni, das von Barbara Schwitter geführt wurde, die für diverse Schweizer Künstler*innen vor, hinter und zuweilen auch auf der Bühne arbeitet.
Lieber Sunil,
Ganz ehrlich: Ich musste dich googeln. (Zu meiner Verteidigung will ich sagen, dass ich zu ängstlich für Krimis bin; ich lese dafür fürchterlich oft Teenieromane. Liest du Teenieromane?) Jetzt weiss ich, dass du aus dem Berner Oberland kommst, in Zürich lebst – Kreis 4? – und wirklich viele Krimis rausgibst. Ganz ehrlich: Hast du den Wikipedia-Eintrag über dich selbst geschrieben?
Herzlich (aus dem Kreis 5),
Anna
Liebe Anna
Halb so wild, ich google immer alle Leute, mit dene ich zu tun habe. Allerdings habe ich meinen Wikipedia-Eintrag nicht selber verfasst. Deshalb stimmt er auch nicht in allen Punkten. Der Wohnort ist schon mal falsch. Ich lebe seit vier Jahren in Aarau und stehe auch Zürcher*innen gegenüber dazu. Krimis stimmen, hinzu kommen aber drei Kinderbücher und der kurze Jugendroman «Totsch», in dem es um ein Coming-out und – natürlich – unerfüllte Liebe geht.
Du bist Journalistin, behauptet Google, und hast Politologie und Geschichte der Neuzeit studiert. Zudem setzt du dich gegen Homophobie ein. Wie muss man sich das vorstellen? Wie erreichst du Bevölkerungsgruppen, in denen Homophobie weit verbreitet ist? Gibt es einen Unterschied zwischen Homophobie gegenüber Frauen und solcher gegen Männer?
Mit liebem Gruss
Sunil
Salut Sunil,
Dachte ich mir doch, dass bei Wikipedia deine Kinderbücher fehlen, die die Google-Bildersuche bei deinem Namen nämlich zeigt! Und mega viele Fotos. Von dir gibts soo viele Fotos! Jugendromane, in denen Coming-outs vorkommen, find ich natürlich auch interessant. Und an der Rahmenhandlung? Weisst du schon, aus welchem Genre die texte stammen werden, die du liest?
Google gibt glaubs meine Tätigkeiten etwas unproportional wider: Ich würde behaupten, ich setze mich in erster Linie gegen Homophobie ein. Indem ich bei der LOS arbeite, der Lesbenorganisation. Und indem ich in vier verschiedenen Kolumnen über Geschlecht und Anziehung schreibe. Innerhalb meiner Arbeit – in bezahlter Form bei der Lesbenorganisation, aber auch als Aktivistin – kommuniziere ich aber nicht primär mit Bevölkerungsgruppen, die weit entfernt von Homo-Akzeptanz sind. Mein Aktivismus richtet sich eher an diejenigen, die ihre eigene Offenheit noch etwas überschätzen (sehr üblich bei uns Schweizer*innen, find ich). Ich informiere sie, sensibilisiere sie. Aber hauptsächlich steh ich in Kontakt mit Menschen aus der LGBT-Community, um sie darin zu bestärken, sich selbst zu sein. Das ist eine der wirkungsvollsten Methoden, find ich – neben sinnvollen Gesetzgebungen natürlich. Die Ehe für alle zum Beispiel wurde vom Parlament ja schon wieder verschoben... hast du schon mal geheiratet, Sunil? Würdest du wollen?
Und: Ja, die Unterschiede zwischen Lesben-Feindlichkeit und Schwulen-Feindlichkeit sind oft gross. Frauenliebende Frauen werden gerne zum Fetisch gemacht, aber gleichzeitig nimmt man ihnen nicht ab, dass ihre Sexualität ohne Mann auskommt. Sie erfahren durchs Frausein und Homosein ausserdem eine Art Doppeldiskriminierung. Männer, die auf Männer stehen, kriegen öfters handgreifliche Gewalt ab. Die Gemeinsamkeit: Beide werden ausgegrenzt, weil sie den Erwartungen an ihr Geschlecht nicht gerecht werden. Können oder wollen.
Gruss
Anna
Liebe Anna
Nein, ich war nie verheiratet und würde es auch nicht wollen. Die Statistik besagt, dass jede zweite Ehe geschieden wird. Eine Kaffeemaschine, bei der nur jeder zweite Kaffee geniessbar ist, würde ich auch nicht kaufen. Zudem sagt mir Religion so überhaupt nichts. Nichtsdestotrotz müsste es selbstverständlich sein, dass alle Menschen in diesem Land und überhaupt weltweit dieselben Rechte haben. Warum das gerade bei uns in der Schweiz nicht so ist, will mir nicht in den Kopf.
Wie sieht es bei dir aus? Möchtest du heiraten? Wie sieht’s mit Kindern aus? Ich werde diverse Texte aus meinen verschiedenen Krimis vorlesen, mal ernsthaft von einem Flüchtlingsmädchen, das von Nigeria ans Mittelmeer reist, mal lustig aus der im Kreis 4 spielenden Vijay-Kumar-Serie. Am letzten Abend gibt’s dann Mundart. Wie sieht es bei Dir aus? Welche Art von Texten darf das Publikum erwarten? Viele Journalist*innen versuchen sich früher oder später an literarischen Texten. Schreibst auch du heimlich an einem Roman? Und falls ja, wovon handelt er?
Mit liebem Gruss
Sunil
Meinen Ex-Freund hätte ich heiraten können. Meine Partnerin nicht.
Anna Rosenwasser
Hey Sunil,
High Five, mich machen auch weder Religion noch die Scheidungsrate besonders an. Und trotzdem soll es eine Entscheidungsfreiheit sein, zu heiraten oder nicht. Meinen Ex-Freund hätte ich heiraten können. Meine Partnerin nicht. Das will auch mir nicht in den Kopf. (Kinder sind für mich, egal in welcher Konstellation, allerdings eh kein Thema.) Ich sehe grad, wir sind am Literaturfestival zweimal im selben Block eingetragen – dann komm ich vielleicht am Donnerstag vorbei, um dich lesen zu hören. Was ich selbst lesen werde, bestimme ich gern einen Tag vorher; aber vielleicht nutze ich die Rahmenhandlung, um texte übers Judentum vorzulesen. Die liegen mir am Herzen und kommen manchmal im ganzen queeren Gewimmel etwas zu kurz.
An einem Roman schreibe ich nicht; ich bleib momentan gern bei real Geschehenem (natürlich nicht, ohne es auch mal etwas auszuschmücken). Drum erscheint in ein paar Monaten auch eine Textesammlung von mir. Also: Buch ja, Roman nein. Hattest du denn heimlich angefangen, Roman zu schreiben?
Ich freu mich so, Seraina Kobler lesen zu hören. Ich hab vor tausend Jahren mit ihr studiert und immer aus der Ferne ge-cheerleadert für sie. Jetzt kann ich das endlich mal aus der Nähe tun. Für wen wirst du cheerleadern?
Gruss
Anna
Liebe Anna
Auf jeden Fall bin ich gespannt auf die Sammlung und vor allem auf deinen Text zum Judentum. Cheerleaders ist sehr schwierig bei all den tollen Autor*innen. Ich picke jetzt mal Romana Ganzoni raus, weil da Stil mit Charme und einem Hauch Extravaganz zusammentrifft.
Das Gespräch war ein Vergnügen!
LG Sunil
Barbara Schwitter: Du hast im Oktober 2019 dein neustes Buch «Tod in Genua» – herausgebracht. Es handelt von einem Paar, das zu einer Beerdigung nach Genua fährt. Ein ganzes Buch, 178 Seiten, und der Inhalt bezieht sich auf einen einzigen Tag, den 5. September 2018. Ist das (zeitlich gesehen) nicht ein sehr enges Korsett, in welches du dich da eingeschnürt hast?
Romana Ganzoni: Das übergeordnete Thema des Buches ist das Ewige im Vergänglichen, das Ephemere, also das Flüchtige, das bleibt. Ephemer heisst im Griechischen «an einem Tag». Deshalb lasse ich Nina, eine Opernsängerin aus Zürich, in Genua eine barocke Geschichte erzählen, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Ein Tag, stellvertretend für Anfang und Ende, für ein ganzes Leben. Das Motto, das dem Text vorangestellt ist, intoniert diesen Sound. Er stammt vom grossen Genueser Cantautore Fabrizio de André und lautet: E come tutte le più belle cose, vivesti solo un giorno, come le rose. Wie alle schönsten Dinge, lebtest auch du nur einen Tag, wie die Rosen.
«Tod in Genua» ist im Oktober letzten Jahres erschienen. Ich vermute, dass du dieses Jahr viele Termine für Lesungen gehabt hättest. Wegen Corona musstest Du wohl auch viele Termine verschieben und absagen. Wie ging es dir dabei und was hat der Lockdown mit dir gemacht?
Ein Dutzend Lesungen wurden verschoben oder gestrichen, zwei Institutionen konnten nicht bezahlen. Das war frustrierend. Die Existenzprobleme von Kolleg*innen haben mir zu schaffen gemacht. Die Isolation der Alten. Dass die Schulen geschlossen wurden. Homeschooling kann niemals realen Unterricht ersetzen. Wie Polizist*innen aus dem Boden schossen, wow! Das Verhalten vieler Menschen. Ihre Aggressivität nach anfänglicher Solidarität. Interessant. Erschreckend. Wollte ich das so genau wissen? Nein, danke. Für meine Arbeit war das alles schlecht. Die Qualität meiner Ideen liess nach, gleichzeitig hatte ich mehr zu tun. Ich war deprimiert. Bin es noch immer. Aber ich lache mehr als im April oder im Mai. Der Sommer hilft, das Schwimmen im See, die Menschen, wenn sie selbstvergessen ein Glacé schlecken.
Es gibt nichts Positives für mich. Ich werde diese Scheiss-Zeit bestimmt nicht vermissen.
Schriftstellerin Romana Ganzoni
Was nimmst Du Positives aus der Zeit mit? Gibt’s allenfalls sogar etwas, dass Du vermissen wirst?
Es gibt nichts Positives für mich. Ich werde diese Scheiss-Zeit bestimmt nicht vermissen.
Kannst Du die Geschichte, die du am Literaturfestival lesen wirst, in einem Satz umschreiben?
Ich werde mehrere grauenhafte Geschichten lesen. Eine schlimmer als die andere. Und etwas zum Lachen, als Entschuldigung.
Worauf freust Du Dich besonders?
Auf Dich.
<div style="background-color:#3dafe8;color:white;font-weight:bold;padding:10px"> Literaturfestival «Die Rahmenhandlung»</div> <div style="font-size:18px;padding:10px;background-color:#dddddd"> Vom 27. bis 30. August findet in Zürich das Literaturfestival <a href="https://www.dierahmenhandlung.com/?author=1950"target="_blank">«Die Rahmenhandlung»</a> statt. Gastgeber Alon Renner lädt dafür in seine Villa ein – wo genau, erfahren die Gäste erst zu Beginn der Veranstaltung. Es machen mit: <br/> <br/> - Schriftsteller Sunil Mann <br/> - Schriftstellerin und Journalistin Seraina Kobler <br/> - Schriftstellerin Romana Ganzoni <br/> - Journalistin und Aktivistin Anna Rosenwasser <br/> - Journalistin Andrea Keller <br/> - Journalistin und Schriftstellerin Simone Meier <br/> - Journalist und Nachtschwärmer Alex Flach <br/> - DJ Zsuzsu <br/> - Autorin Tanja Kummer <br/> - Sänger Michael Wäckerlin alias The Human Jukebox <br/> - Schriftstellerin und Musikerin Amaris Wen <br/> - Barbara Schwitter <br/> - Judith Shoukier <br/> - Christine Schwitter-Müller <br/> - Dvora Ben-Haim <br/> - Gastgeber Alon Renner
__html
Dieser Artikel wurde automatisch in das neue CMS von Tsri.ch migriert. Wenn du Fehler bemerkst, darfst du diese sehr gerne unserem Computerflüsterer melden.