Gute Kunst, schlechte Klimabilanz?

Spät, aber stetig: Auch die Theater versuchen vermehrt, nachhaltig zu arbeiten. Neue Leitfäden helfen ihnen dabei. Aber es ist ein langer Weg. Das zeigt unsere Recherche in der Schweizer Theaterlandschaft.

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Eine Form von Nachhaltigkeit im Theater: Tom Kummers Stück «Von schlechten Eltern» wird sowohl in Bern wie auch in Freiburg gezeigt. (Bild: Iko Freese)

Dieser Text ist bereits auf unserem Partnerportal FRIDA erschienen. Das Online-Kulturmagazin FRIDA gehört wie Tsüri.ch zu den verlagsunabhängigen Medien der Schweiz und berichtet über das Kulturleben in der Deutschschweiz und bietet darüber hinaus eine Plattform für Literat:innen, Künstler:innen und Musiker:innen. 

Neue Chefin, neue Nachhaltigkeit am Theater – mit dieser Überschrift stellte das Ostschweizer Regionalmagazin «Saiten» Barbara-David Brüesch als neue Schauspielchefin des Theaters St. Gallen vor. Für Brüesch ist Nachhaltigkeit, wie sie selbst sagt, ein Riesenthema. «Wir müssen mit den Ressourcen auf der Bühne künftig anders umgehen, mit dem Personal, mit Bühnenbildern, mit der Technik.» Die 47-Jährige will deshalb mit anderen Häusern kooperieren, «schweizweit müsste es darum gehen, sorgsamer mit den Ressourcen umzugehen», sagt sie.

Solche Kooperationen gibt es bereits. Unter dem Namen «x-change» tauschen die Bühnen Bern, das Theater Winkelwiese und das deutsche Theater Freiburg Inszenierungen aus. Jessica Glauses Freiburger Fassung von Mithu Sanyals Roman «Identiti» ist im Februar 2023 sechs Mal in Bern zu sehen, im Gegenzug reist Tom Kummers «Von schlechten Eltern» in der Regie von Tilman Köhler nach Freiburg. Und Ruth Mensahs Berner Fassung von Kim de l’Horizons «Hänsel & Greta & The Big Bad Witch» ist Anfang Dezember am Theater Winkelwiese zu sehen.

So können Arbeiten, die während ihrer Entstehung viel Energie (in jeder Hinsicht) geschluckt haben, aber an ihren Heimatbühnen kein Publikum mehr finden, weiterhin gespielt werden. Das erhöht ihre Energiebilanz; gleichzeitig können die Theater eine zusätzliche Inszenierung anbieten.

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Jessica Glauses Freiburger Fassung von Mithu Sanyals Roman «Identiti» ist im Februar 2023 sechsmal in Bern zu sehen. (Bild: Amelie Amei Kahn-Ackermann)

Theater könnten beim Thema nachhaltiges Wirtschaften eine Vorreiterrolle einnehmen, heisst es auf der Webseite von Reflector, sie seien «durch ihre positive Ausstrahlungskraft und ihre hohe Kompetenz als Storyteller» ideale Multiplikatoren, «um innovative Ansätze einem breiten Publikum zugänglich zu machen».

Reflector, bestehend aus Marine Besnard, Kulturmanagerin und Choreografin, und Nachhaltigkeitsexpertin Martina Wyrsch, möchte Theaterbetriebe dazu befähigen, ihre Praxis ökologisch nachhaltiger zu gestalten. Reflector wird dabei – wie das Austauschprogramm x-change – gefördert von m2act des Migros-Kulturprozent in Zusammenarbeit mit dem Migros-Pionierfonds.

Schon seit zehn Jahren ein Thema

Der Gedanke, dass auch die Theater einen Beitrag zum nachhaltigeren Wirtschaften leisten, schwirrt schon lange durch die Luft. Lange Jahre aber hatte er kaum Folgen. Bereits 2014 veranstaltete das Schweizer Theatertreffen eine Gesprächsrunde unter dem Titel «Nachhaltigkeit im Theater? Wie gross ist unser Fussabdruck?» im Theater Winterthur. Dort sprach auch Annett Baumast, die 2009 ihre Abschlussarbeit zum Thema «Umweltmanagement im Theater» verfasste und sich seither mit dem Thema beschäftigt.

Doch noch 2019, in einem Interview mit der Fachzeitschrift «theater management aktuell», attestierte sie den deutschsprachigen Theatern Nachholbedarf. Baumast fasst den Begriff Nachhaltigkeit auch ökonomisch und sozial. «Eine nachhaltig ausgerichtete Produktion sollte die ökologischen Ressourcen schonen, ein faires, inklusives und gesundes Arbeitsverhältnis bieten, mit den finanziellen Ressourcen pfleglich umgehen und sich an den Grundlagen einer guten Unternehmensführung (‹good governance›) orientieren», sagt sie.

Das Thema ist unter dieser Prämisse so umfassend, dass sich dieser Artikel auf die ökologische Dimension beschränken möchte. Allerdings sieht Baumast eine deutliche Grenze für das nachhaltige Wirtschaften:

«Bei den künstlerischen Inhalten darf es keine Kompromisse und keine Vorschriften von aussen geben.»

Aber sie fordert auch dort Kreativität und ein kritisches Bewusstsein: «Muss der Wassergraben auf der Bühne wirklich 60 Zentimeter tief sein oder reichen auch 40?»

Die Zukunft ist Secondhand

Doch vor allem hinter den Kulissen kann noch viel passieren – und ist auch schon viel passiert. Ein PDF-Dokument von Reflector listet die Antworten einer Umfrage unter Theatern auf, welche Massnahmen sie bereits ergreifen, um ihren Betrieb ökologisch nachhaltig zu gestalten.

Viele Häuser setzen auf Secondhand und nutzen vermehrt auch für neue Produktionen den Kostüm- und Requisitenfundus. In der Kantine werden Glas, Geschirr und Mehrwegflaschen eingesetzt, und Mitarbeitende und Gäste werden in Reglementen angehalten, für Reisen bis zu neun Stunden öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Programme und Flyer auf Papier werden reduziert oder eingestellt, Programmhefte gibt es nur noch elektronisch, Abfall wird systematisch getrennt, und LED-Lampen ersetzen alte Glühbirnen.

Dazu kommen umfassendere Investitionen, wenn etwa Heizung, Lüftung und Licht saniert und «optimiert» werden. Nur zwei Theater sagen, sie würden in einer Ökobilanz ihre tatsächlichen Ausstösse erfassen. Den Bemühungen sind Grenzen gesetzt, weil es oft schwierig ist, alle Faktoren zu erfassen und zu gewichten. «Wir versuchen Produktionen nicht zu programmieren, die auf irgendeiner Weise animal cruelty vermitteln oder sichtbar Unmengen von Material verschleudern», schreibt ein Theater und fügt gleich hinzu: «Das ist aber schwierig zu beurteilen.»

 

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Reflector möchte Theaterbetriebe dazu befähigen, ihre Praxis ökologisch nachhaltiger zu gestalten. (Bild: Reflector)

«Die meisten Theater setzen Nachhaltigkeitsmassnahmen nicht systematisch um», hat Reflector-Co-Leiterin Besnard festgestellt. Deshalb hat das Team drei Theaterbetriebe angesprochen, um an ihren Abläufen exemplarisch zu untersuchen, wie der ökologische Fussabdruck im Bereich der darstellenden Künste gezielt verringert werden kann.

Diese drei sind das Theater Neumarkt in Zürich, die Kaserne Basel und das Théâtre Benno Besson in Yverdon-les-Bains. Die Häuser sind unterschiedlich gross und verschieden ausgerichtet: das Neumarkt, ein kleines Produktionshaus, die Kaserne, ein internationales Konzert- und Gastspiel-, das Théâtre Benno Besson, ein Co-Produktions- und Gastspielhaus.

«Gemeinsam haben wir geklärt, welche Massnahmen sinnvoll sind», erklärt Besnard. «Wir begleiten sie Schritt für Schritt bei der Umsetzung.» Zu jedem der sechs Themen Mobilität, Produktion und Technik, Verpflegung, Energie, Programmation und Kommunikation sollen Leitfäden online gestellt werden, die danach alle Theater nutzen können. Der erste zum Thema Mobilität, der auf den Erfahrungen der Workshops mit dem Theater Neumarkt basiert, ging am 20. September online und erweist sich als sehr konkret und verblüffend leicht handhabbar.

Am Anfang steht die Ökobilanz

Als die Anfrage zur Zusammenarbeit kam, zögerte das Theater Neumarkt nicht lange. «Wir wussten, wir müssen da mitmachen», erinnert sich Geschäftsführer Lukas Bieri. «Wir sind ein kleines, aber wendiges Haus; wir wollten wissen, was es effektiv heisst, nachhaltig zu wirtschaften.»

Vieles passierte schon im Haus, aber man war sich auch sicher, dass manches noch besser verändert werden muss. Zuerst wurde ein festes Team gebildet, in dem verschiedene Abteilungen vertreten sind: Mit Tine Milz, eine der drei Direktorinnen, der Leiter Kommunikation Sandro Burkart, der Technische Leiter Andreas Bögli und Geschäftsführer Bieri.

Das Team bekam zunächst die Aufgabe, die Datengrundlage für die Erstellung einer Ökobilanz zu schaffen. «Diese hilft uns, herauszufinden, wo die grossen Hebel sind», sagt Marine Besnard. Denn nur so könne man wissen, wo sich Investitionen lohnen und wo sie zwar sinnvoll, aber nicht sehr ergiebig sind. Danach wurden in einem Workshop die für das Theater relevanten Themen festgelegt.

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Lukas Bieri (zweiter von rechts) und das Neumarkt-Team beim Nachhaltigkeits-Workshop mit Reflector. (Bild: enScène)

Ökologisch Kaffee kochen reicht nicht

Das Ergebnis hat Lukas Bieri überrascht: «Zum Beispiel kann man lange darüber diskutieren, wie man seinen Kaffee kocht und welche Milch man hineintut», sagt er, «aber im Endeffekt spielt das bei uns fast keine Rolle.»

Die Gastronomie des Theaters ist klein, viele Gastspiele gibt es auch nicht, deshalb spielen diese Bereiche keine grosse Rolle. Auch die Kommunikation trägt nicht viel zum Energieverbrauch bei: «Ein kleinerer Hebel als gedacht», so Bieri. Es wäre sehr sinnvoll, den Energieverbrauch des Hauses zu reduzieren. Allerdings ist das Theater nicht Eigentümer und auch nicht Alleinmieter und hat auf diesen Punkt daher wenig Einfluss.

Doch kann gerade eine Sanierung ein Brocken mit grossen Folgen sein. So hat das Schauspiel Leipzig in drei Jahren sein Gebäude so saniert, dass man dort jetzt jährlich 750 000 Kilowattstunden einsparen kann. Kostenpunkt: 1,8 Mio. Euro. Ebenfalls 750 000 kWh hatte die Stadt Winterthur 2011 mit drei Stromsparprojekten erreicht und stolz verkündet, das entspreche dem Jahresbedarf von 240 Haushalten.

«Der wichtigste Punkt bleibt aber die Awareness.»

Lukas Bieri, Kaufmännischer Geschäftsführer Theater Neumarkt

Die komplett nachhaltige Produktion

Am Neumarkt will man in Zukunft daher die Bereiche Produktion und Mobilität nachhaltiger machen. Dafür soll der Kostüm- und Bühnenbildfundus effektiver genutzt und Bühnenbilder stärker recyclet oder mehrfach genutzt werden; auch Gastkünstler/-innen sollen darauf hingewiesen werden. Um zu sehen, was möglich ist, will das Theater eine komplett nachhaltige Produktion realisieren. Dann wird man sehen, wo sich Theorie und Praxis noch widersprechen.

Die meisten Reisen würden schon jetzt mit öffentlichen Verkehrsmitteln absolviert. «Aber dann gab es doch wieder zwei Flüge – die haben uns die Bilanz sehr verschlechtert.» Ein strikteres Reisereglement soll das in Zukunft verhindern. Und um die Fahrten zwischen dem Theater in der Altstadt und den Werkstätten auf der Werdinsel zu optimieren, wurde auch ein Cargovelo angeschafft. «Der wichtigste Punkt bleibt aber die Awareness», sagt Bieri. Man müsse Mitarbeitende, aber auch Leitung, Gastkünstler/-innen und Publikum immer wieder sensibilisieren. Bieri: «Nur dann kann Nachhaltigkeit in die DNA des Hauses übergehen und auch Leitungswechsel überdauern.»

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