«Ohne euch bleibt jeder Kran stehen»: Bauarbeiter:innen-Streik erreicht Zürich
Nach Protesten in der Nordwestschweiz versammelten sich am Freitag über 2000 Bauarbeiter:innen zum Streik in Zürich. Sie forderten feste Arbeitszeiten, faire Löhne und bezahlte Pausen. Hintergrund sind die Verhandlungen über einen neuen Landesmantelvertrag.
Der Andrang im Festzelt auf dem Kanzleiareal ist gross, mehrere hundert Männer und ein Dutzend Frauen quetschen sich auf die Holzbänke. Immer wieder ersticken ihre Worte im Lärm von Trillerpfeifen. Sie wurden von den Gewerkschaften Unia und Syna verteilt, die sich für die Rechte von Arbeitnehmenden in der Baubranche einsetzen.
Seit Juli verhandeln diese mit dem Baumeisterverband – bisher ohne Erfolg. Dabei geht es um viel: Gemäss Unia sind 80’000 Arbeitnehmende von den Anpassungen des Landesmantelvertrags (LMV) betroffen.
Aus diesem Grund forderte sie Bauarbeiter:innen in der ganzen Schweiz auf, ihre Arbeit niederzulegen. Der Streik in Zürich ist der Höhepunkt einer mehrwöchigen Mobilisierungskampagne im ganzen Land: Hier befindet sich auch der Sitz des Schweizerischen Baumeisterverbands.
Mehr Zeit für die Familie
Bevor sich die Bauleute für die anschliessende Demonstration durch die Innenstadt bereit machen, erklärt Nico Lutz von der Unia vor versammelter Gesellschaft den aktuellen Stand der Verhandlungen: «Wir versuchen seit Monaten Lösungen zu erreichen, doch die Baumeisterspitze blockiert jegliche Verbesserungen – und fordert stattdessen noch mehr für weniger Lohn.»
Dabei seien die Bauarbeiter:innen bereits heute am Limit. Lutz spricht von langen Tagen auf dem Bau, unzähligen Überstunden und unbezahlten Reisezeiten. Mit Arbeitsbedingungen, die «ein normales Familien- und Privatleben zunehmend verunmöglichen», soll nun Schluss sein.
Auch Guido Schluep von der Gewerkschaft Syna gibt sich auf der Bühne im Festzelt kämpferisch: «Ihr baut dieses Land und ohne euch bleibt jeder Kran stehen.» Deshalb sei es an der Zeit, das einzufordern, was andere in ihren Branchen schon lange haben würden: bezahlte Pausen und geregelte Arbeitszeiten, so Schluep.
Die Worte der Gewerkschafter lösen im Festzelt Jubel aus. Viele tragen rote Unia-Kappen, halten bereits Schilder und Plakate für den Demozug bereit. Neben einigen jungen Gesichtern sind auch viele vor Ort, die schon lange in der Branche arbeiten.
So auch ein Bauarbeiter, der die Reden vom Rand des Festzeltes aus beobachtet. Er habe von seinem Chef freibekommen, damit er hier teilnehmen könne, erzählt er. Aber einige seiner Kollegen seien bei ihren Arbeitgeber:innen auf taube Ohren gestossen und könnten heute nicht am Streik teilnehmen.
Kritik von Baumeisterverband nach «Gewaltexzessen»
In den Wochen zuvor hätten zahlreiche Bauarbeiter berichtet, dass sie von Vorgesetzten unter Druck gesetzt oder sogar am Verlassen der Baustelle gehindert worden seien, um nicht am Protesttag teilzunehmen, so die Unia-Kommunikationschefin Natalie Imboden gegenüber der Newsplattform «20 Minuten».
Deshalb rief die Gewerkschaft die Zürcher Baumeister:innen im Vorfeld auf, ihren Arbeitnehmer:innen das Streikrecht zu gewähren. Der zuständige Verband indes sah sich nicht in der Verantwortung. «Wer am Umzug mitmarschieren will, kann einen Ferientag beziehen», hiess es von Gerhard Meyer, Geschäftsleiter des Zürcher Baumeisterverbands.
Zudem kritisierte Meyer die Rolle der Gewerkschaften, nachdem es an den Protesttagen in den Kantonen Aargau und Basel zu Blockaden auf Baustellen und Zündungen von Pyrotechnik sowie der Sabotage eines Krans gekommen war.
Die Unia müsse sicherstellen, dass «keine Chaoten und Randalierer Baustellen stürmen». Käme es in Zürich erneut zu «Gewaltexzessen», müssten diese zuerst aufgearbeitet werden, bevor die Verhandlungen weitergeführt werden könnten, heisst es in einer Medienmitteilung des Schweizerischen Baumeisterverbands (SBV).
Aktuell sollen die Gespräche über den LVM am Montag wieder aufgenommen werden. Viel Zeit bleibt nicht mehr: Ende Jahr läuft der Vertrag aus.
Demo in Zürich verläuft friedlich
Auch die Geduld der Bauarbeiter:innen ist langsam abgelaufen, sagt Chris Kelley von der Unia in einer Medienmitteilung. Als sich die Bauarbeiter:innen nach dem gratis Zmittag im Festzelt auf dem Helvetiaplatz versammeln, ist die Stimmung laut «Blick» angespannt.
Kurz nach 13 Uhr setzen sich die Demonstrierenden in Bewegung, ein Bagger führt den Zug an. Rund 2500 Teilnehmende zählen die Gewerkschaften, die lautstark durch die Innenstadt marschieren. Ziel ist der Hauptsitz des SBV, wo die Streikenden eine überdimensionale Sanduhr aufstellen – stellvertretend für ihr Warten auf eine zufriedenstellende Lösung.
Damit nimmt der Streiktag in Zürich ein Ende. Für die Bauarbeiter:innen aber geht der Kampf um bessere Arbeitsbedingungen weiter.
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Ausbildung zur tiermedizinischen Praxisassistentin bei der Tierklinik Obergrund Luzern. Danach zweiter Bildungsweg via Kommunikationsstudium an der ZHAW. Praktikum bei Tsüri.ch 2019, dabei das Herz an den Lokaljournalismus verloren und in Zürich geblieben. Seit Anfang 2025 in der Rolle als Redaktionsleiterin. Zudem Teilzeit im Sozialmarketing bei Interprise angestellt.