Dynamoleiter im Porträt

Ein Anarchist im Dienst der Stadt: Daniel Hilfiker hört auf

Daniel Hilfiker leitete 22 Jahre lang das Dynamo – Zürichs grösstes Jugendkulturhaus. Jetzt gibt er seinen Posten ab, um sich ganz der städtischen Raumbörse zu widmen. Wer ist der Mann, der Zürichs Jugend Freiräume verschafft?

Daniel Hilfiker, Gesamtleiter des Dynamo Zürichs und der Raumbörse
Die Feuertreppe gehört zu Hilfikers Lieblingsplätzen im Dynamo. (Bild: Yann Bartal)

Funken sprühen, ein junger Mann schweisst zwei Fahrräder zusammen. Daneben drückt eine Aktivistin Farbe auf ein Banner und ein Breakdancer läuft auf den Händen.

Inmitten dieses Wimmelbilds huscht ein älterer Mann vorbei, bemüht, nicht aufzufallen. Mit Hemd, Brille und der ledernen Umhängetasche passt Daniel Hilfiker nicht so recht ins Bild. Und doch sorgt er für die Funken und Farben.

Seit 2003 ist Hilfiker Gesamtleiter des Dynamos: Mittlerweile verantwortet er 39 Mitarbeitende. Das Dynamo ist alles in einem: Jugendkulturhaus, Werkstatt, Musikclub, Kurszentrum und Küche am Wasser. Der jüngste Bereich ist die Raumbörse. Diese stellt jungen Zürcher:innen günstige Zwischennutzungen bereit. 

In ehemaligen Industriearealen oder Abbruchobjekten entstehen durch die Raumbörse Ateliers, Proberäume oder Werkstätte. Mit inzwischen 270 Objekten ist die Raumbörse heute zu gross fürs Dynamo. Hilfiker musste sich entscheiden: Dynamo oder Raumbörse. Er wählte Letzteres.

Wer ist der unscheinbare Mann, der Zürichs grössten Jugendtreff leitet?

Der gemässigte Anarchist

«Ich bin in Zürich in den 80er-Jahren sozialisiert worden – mehr muss ich dazu nicht sagen», meint Daniel Hilfiker, wenn man ihn fragt, warum ihm Kulturräume so wichtig sind.

Wer in Zürich in den 80er-Jahren aufgewachsen ist, kam an der Wut nicht vorbei. Bei den Opernhauskrawallen ging es um Freiräume für Jugendliche und um das Recht, Kultur selbst zu gestalten.

Eigentlich wollte Hilfiker Mittelschullehrer werden. Doch kaum im Klassenzimmer, merkte er schnell: Disziplin und Autorität, das ist nicht seine Welt. Stattdessen begann er während seines langen Studiums, illegale Bars zu organisieren. Dabei habe er entdeckt, dass Kultur dort entstehe, wo Platz sei und wo niemand sagt, was erlaubt sei und was nicht.

Möglichst viel Raum schaffen, mit möglichst tiefen Hürden – dieses simple Ziel wird zu Hilfikers Lebensaufgabe.

«Junge Generationen verändern sich spürbar innerhalb von drei Jahren – und etwa alle sechs Jahre sehr deutlich.»

Daniel Hilfiker, Dynamoleiter

Die Mischung aus einem Sozialarbeiter mit Erfahrung in der Subkultur brachte ihm den Job als Dynamoleiter ein. So fand die Stadt einen gemässigten Anarchisten und Hilfiker einen Beruf für seine Lebensaufgabe.

K-Pop, Tiktok-Techno oder Vintage-Flohmis

Bevor Daniel Hilfiker seine Stelle antrat, brachte die Drogenpolitik der Stadt die offene Szene am Oberen Letten zum Verschwinden. Immer mehr Jugendliche besuchten daraufhin das angrenzende Dynamo. 

Infolgedessen kamen zum Grafikatelier und der Metallwerkstatt die Textil- und Schmuckwerkstatt dazu. Und mit dem neuen Musikclub «Werk21» etablierte sich das Dynamo als alternativer Konzertort. Mit den Projekträumen und der Digitalwerkstatt passte sich das Dynamo in den letzten Jahren den verändernden Bedürfnissen junger Menschen an.  

Der Gewölbekeller der abgetragenen Brauerei an der Wasserwerkstrasse 21, Zürich, wird zum Werk21
Im Keller der ehemaligen Brauerei entstand ein Club. (Bild: Montage: Yann Bartal, mit Fotos des Baugeschichtlichens Archivs der Stadt Zürich und Dynamo Zürich)

«Junge Generationen verändern sich spürbar innerhalb von drei Jahren – und etwa alle sechs Jahre sehr deutlich», erzählt Hilfiker im Gespräch. In seiner Zeit als Gesamtleiter hat er somit einige Veränderungen erlebt. Die Aufwertung Zürichs habe dazu geführt, dass die Jugendlichen im Dynamo mehr Ressourcen mitbringen. Sie seien engagierter und selbstbestimmter als früher, meint Hilfiker. Zudem «reflektierter, organisierter und kritischer». Das Vorurteil, die Jugendlichen hängen nur noch am Bildschirm, kann er nicht bestätigen.

K-Pop, Tiktok-Techno oder Vintage-Flohmis; den aktuellsten Trends komme der 63-Jährige zwar nicht nach, das sei aber auch nicht nötig. Denn auch wenn sich Hypes konstant verändern, die Forderungen der Jugendlichen seien im Kern die gleichen: Die «Zielgruppe», wie Hilfiker die Jugendlichen auch nennt, wolle Räume zur Entfaltung und fordere dabei so wenig Einschränkungen wie möglich. 

Hilfiker als Dolmetscher

Rebellierende Jugendliche auf der einen Seite, die kontrollierende Verwaltung auf der anderen – und dazwischen Daniel Hilfiker. Diesen Spagat habe er beherrscht wie kein anderer, behaupten ehemalige sowie aktuelle Angestellte: Daniel Hilfiker übersetze die Rufe der Jugend nach Freiräumen in die Sprache der Beamten. Und das unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit.

«Ich glaube, man unterschätzt seine Arbeit und was er alles bewältigen muss, besonders in der Raumbörse», sagt eine ehemalige Angestellte.

Die Behörden, zunehmend auch unter politischem Druck, verlangen Kontrolle und Ordnung. Das wird auch in dieser Recherche deutlich. Jede Anfrage geht über den Tisch der Pressestelle, die Kommunikationsleiterin muss beim Gespräch dabei sein, direkte Anfragen an Mitarbeitende sind unerwünscht. 

Die Angst vor politischen Rückschlägen scheint gross zu sein, besonders in Bezug auf die Raumbörse. Fragen dazu darf Hilfiker nicht beantworten. Stattdessen tut das die Kommunikationsabteilung schriftlich.

Strahlkraft Raumbörse

Mit der Raumbörse habe das Dynamo zum richtigen Zeitpunkt erkannt, wie umkämpft und wichtig Freiräume für junge Menschen in Zürich sind, sagt Hilfiker stolz. Die Raumbörse hat 2008 mit einer kleinen Teilzeitstelle begonnen. Hilfiker und sein Team hätten sich dabei innerhalb der Stadtverwaltung unermüdlich Räume gekrallt, erzählt eine ehemalige Mitarbeiterin. 

Kritische Stimmen bezeichnen die Raumbörse als «städtische Anti-Besetzungseinheit». Wo früher echte Freiräume durch Hausbesetzungen entstanden, zähme heute die Stadt alternative Kultur, so der Vorwurf. Doch wer bei der Raumbörse eingemietet ist, zeichnet ein anderes Bild: ausser bei der monatlichen Gebrauchsmiete werde man in Ruhe gelassen.

Während Veranstaltungen in der von der Stadt unterstützten Zentralwäscherei misstrauisch beäugt werden, werden im selben Gebäude – in den Räumen der Raumbörse – fernab der kulturpolitischen Empörung Radiosendungen aufgezeichnet, Workshops gehalten und Nächte durchgefeiert. Ob in der Zentralwäscherei, der Manegg, am Sihlquai oder auf der Hardgutbrache: Die städtische Raumbörse stellt Räume zur Verfügung, ohne vorzugeben, was darin passieren soll. Vielen jungen Menschen stärkt Hilfiker damit den Rücken, ohne dass sie davon wissen.

Heute verwalten sechs Angestellte der Raumbörse eine Gesamtfläche von 28'511 Quadratmetern für 1792 Personen. Das System hat Strahlkraft über die Stadtgrenzen hinaus, wo es kaum ähnliche Angebote gibt. Der Erfolg der Raumbörse macht ihre strukturelle Ausgliederung notwendig.

Noch bis Ende Jahr wird Daniel Hilfiker durch das Dynamo huschen. Danach geht er dorthin, wo er am liebsten ist: dort, wo neue Räume entstehen und niemand vorgibt, was darin passieren soll.

Anm. d. Red.: Der Autor ist in einem der 270 Vertragsobjekte der Raumbörse eingemietet und organisierte in der Vergangenheit ein vom Dynamo mitfinanziertes Open Air. Direkten Kontakt zu Daniel Hilfiker hatte er vor diesem Artikel noch nie.

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yann

Yann hat an der Universität Zürich einen Master in Germanistik, Sozialwissenschaften und Philosophie abgeschlossen. Erste journalistische Erfahrungen sammelte er bei 20Minuten, Tsüri.ch und der SRF Rundschau. Beim Think & Do Tank Dezentrum war Yann als wissenschaftlicher Mitarbeiter und in der Kommunikationsleitung tätig. Seit 2025 ist er Teil der Tsüri-Redaktion.

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