Kunst in der Garage: «Hier soll interdisziplinäres Wabern entstehen»
Eine Gruppe Theaterschaffende will das ehemalige «Hyperlokal» in der Binz weiterführen. Was sie sich von der Zwischennutzung erhoffen und weshalb sie dafür Geld sammeln, erzählen die Köpfe hinter dem Projekt, Johannes Schmidt und Kian Schwabe, im Interview.
Die ehemalige Autogarage an der Grubenstrasse 39 liegt gut versteckt in der Industriezone Binz. Mitten in der Halle stehen drei Stühle, als wäre das Gespräch Teil einer Theaterszene. Draussen ist es kalt und nass. Der Heizstrahler bläst vergeblich warme Luft in den hohen Raum.
Hier soll bis mindestens Ende 2025 die Zürcher Kunst- und Kulturszene schalten und walten können. Vergangenen November haben Johannes Schmidt und Kian Schwabe die Zwischennutzung von der Theaterregisseurin Laura Koerfer übernommen, die das «Hyperlokal», wie der Ort bislang genannt wurde, 2019 gegründet hatte.
Seither planen die Kunstschaffenden gemeinsam mit Meret Feigenwinter, Leonie Lerch und Lucia Gränicher die Zukunft der einstigen Garage.
Isabel Brun: Das «Hyperlokal» wurde 2022 geschlossen, nun wollen Sie es unter dem Namen «Grube[n]» zum Leben erwecken. Wie kam es dazu?
Kian Schwabe: Ich habe in der früheren Zwischennutzung bei der Betreuung von Abendveranstaltungen ausgeholfen. Und ausserdem absolvierten wir hier im Rahmen unseres Regie-Studiums an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) immer wieder Kurse. Deshalb kannten wir sowohl das «Hyperlokal» als auch Laura Koerfer bereits. Als sie vergangenen Sommer meinte, dass sie das Projekt in neue Hände geben wolle, fanden wir schnell Gefallen an der Idee, diesen Ort mitzugestalten. Zumindest so lange, wie die Garage noch steht.
Johannes Schmidt: Das Grundstück gehört einer Privatperson, die den Gebäudekomplex in den nächsten Jahren abreissen möchte. Unser Mietvertrag läuft vorerst bis Ende 2025 – mit Aussicht auf Verlängerung bis 2026.
Dabei leiten Sie das Projekt aber nicht alleine.
Schwabe: Nein, uns war von Anfang an klar, dass wir das Projekt nicht zu zweit stemmen können. Hinter «Grube[n]» stehen fünf Personen, die sich alle im Studium an der ZHdK kennengelernt haben. Johannes, Leo und ich studierten Regie, Lucia und Meret Dramaturgie. Wir können uns auch gut vorstellen, dass im Verlauf der Zeit noch weitere Interessierte dazu stossen und unser Schaffen unterstützen.
Dürfen auch Künstler:innen mitmachen, die in anderen Bereichen tätig sind?
Schmidt: Unbedingt! Wir wünschen uns, dass hier interdisziplinäres Wabern entstehen kann.
Wie stellen Sie sich dieses Wabern genau vor?
Schmidt: Das Gute ist, dass dieser Ort in der Vergangenheit bereits vielseitig genutzt wurde. Diese Flexibilität wollen wir zwingend erhalten. Deshalb werden wir auch keine Bühne einbauen oder fixe Sitzgelegenheiten schaffen. Es sollen möglichst viele Formen der Kunst und Kultur möglich sein. Von Lesungen über Installationen, Performances, Film- oder Musikveranstaltungen. Auch genreübergreifende Projekte sind willkommen. Je weirder, desto besser.
Schwabe: Gleichzeitig könnte die «Grube[n]» auch eine soziale Komponente erfüllen. Als Treffpunkt für kunst- und kulturinteressierte Menschen. Uns geht es nicht nur darum, dass man herkommt, sich berieseln lässt und wieder geht. Wir wünschen uns auch einen Austausch zwischen Besuchenden und Kunstschaffenden.
Gibt es solche Räume in Zürich noch zu wenig?
Schwabe: Es ist tatsächlich so, dass es in der Zürcher Kunst- und Kulturszene ein grosses Bedürfnis nach niederschwelligen Räumen gibt. Das hat sicher auch mit der angespannten Situation auf dem Immobilienmarkt zu tun. Viele Veranstaltungsorte sind relativ teuer oder müssen weit im Voraus reserviert werden. Kleine Locations, die man auch nur für einen Abend mieten kann, sind hingegen rar. Dadurch fehlt es gerade Künstler:innen, die noch am Anfang ihrer Karriere stehen, an Möglichkeiten, sich im kleinen Rahmen an etwas heranzutasten.
Inwiefern unterscheidet sich die «Grube[n]» denn von bereits bestehenden Zwischennutzungen wie der Zentralwäscherei im Kreis 5 oder dem Burrischopf in Wipkingen?
Schmidt: Dadurch, dass wir unabhängig sind und niemandem Rechenschaft ablegen müssen, sind wir viel flexibler, an wen wir den Raum vermieten. Eine Zwischennutzung, die in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis mit der Stadt steht, muss reihenweise Konzepte einreichen, alles genauestens dokumentieren, Veranstaltungen rechtfertigen. Bei uns ist alles viel unkomplizierter.
«Wir wollen zu keinem Geburtstagslokal werden.»
Johannes Schmidt
Dafür fehlt Ihnen die finanzielle Absicherung.
Schwabe: Das ist natürlich so. Die Monatsmieten der letzten Monate von 1000 Franken bezahlten wir aus der eigenen Tasche. Mieteinnahmen von Dritten hatten wir kaum. Vor allem über die Wintermonate ist der Raum nicht gerade pflegeleicht. Ist es draussen kalt, ist es auch drinnen kalt. Wir nennen die Zeit von Januar bis März deshalb liebevoll die «Feuchtzeit».
Und was kommt danach?
Schwabe: Ab April beginnt die «Trockenzeit». Wir hoffen, dass spätestens dann die «Grube[n]» selbsttragend ist – oder zumindest die Miete an den Eigentümer aus Einnahmen gedeckt werden kann.
Aktuell läuft noch ein Crowdfunding, mit dem Sie insgesamt 7000 Franken sammeln wollen. Wofür brauchen Sie das Geld?
Schmidt: Einerseits würden wir uns gerne die entstandenen Mietkosten der ersten Monate zurückzahlen. Andererseits benötigt der Raum noch Lichtequipment sowie eine Musikanlage, damit auch Events stattfinden können, die darauf angewiesen sind.
Sie meinten zuvor, dass in der «Grube[n]» fast alles stattfinden könne. Wo ziehen Sie eine Grenze?
Schwabe: Wir wollen zu keinem Geburtstagslokal werden und auch Raves wird es hier höchstens den Tag über geben. Alles, was bis spät in die Nacht laut sein will, ist aufgrund der gesetzlichen Nachtruhe schwierig. Realistisch gesehen, wird es Veranstaltungen geben, die uns die Miete finanzieren und Veranstaltungen, die aus einem künstlerischen Beweggrund durchgeführt werden.
Schmidt: Doch wie es der Zufall will, haben sich auf unseren Open Call bisher vor allem Menschen gemeldet, die ihren Geburtstag bei uns feiern wollen. Hier scheint es in Zürich auch ein ungestilltes Bedürfnis zu geben. Wir wollen aber, dass die meisten Ausstellungen oder Events öffentlich zugänglich sind.
Gibt es diesbezüglich denn schon Pläne?
Schwabe: Bereits bestätigt im März sind ein künstlerisch gestalteter Day-Rave und eine Sofalesung vom Literaturhaus. Ansonsten wird die «Grube[n]» im April offiziell wiedereröffnet. Und natürlich dürfen sich Kunst- und Kulturschaffende jederzeit mit ihren Ideen bei uns melden.
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