Nationalitäten begehen keine Straftaten

Die Kriminalität hat in Zürich zuletzt zugenommen. Statt die Ursachen bekämpfen zu wollen, ist eine rassistische Debatte entbrannt. Damit wird alles nur noch schlimmer. Ein Kommentar von Simon Jacoby.

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Die Kriminalität sinkt nicht, wenn wir auf die Passfarbe fokussieren – das Problem liegt woanders. (Bild: Unsplash)

Um fast neun Prozent hat die polizeilich registrierte Kriminalität im Kanton Zürich zugenommen, in der Stadt Zürich sind es sogar mehr als zehn Prozent. Dieser Anstieg kommt hauptsächlich durch Vermögens- und Betrugsdelikte zustande, allerdings sind auch die schweren Körperverletzungen und versuchte Tötungen massiv angestiegen. 

Diese Zahlen bereiten Sorgen und die Behörden sollten sich schleunigst daran machen, die Ursachen zu bekämpfen. Stattdessen ist (mal wieder) eine ausländerfeindliche Debatte entbrannt: Denn Jugendliche ohne Schweizer Pass werden statistisch gesehen immer häufiger straffällig. Ein Beispiel: Bei den Messerangriffen im Kanton Zürich waren die Täter:innen in 20 Prozent ausländische Jugendliche, im Jahr 2022 lag dieser Wert noch bei 10 Prozent. 

Man könnte diese Zahlen auch anders formulieren und damit etwas deeskalieren: 80 Prozent aller Messerangriffe werden von Schweizer:innen verübt. Eigentlich ist es völlig egal, welchen Pass ein:e Verbrecher:in hat – denn Nationalitäten begehen keine Straftaten. 

Ein Blick in die Grafik der Unterlagen des Kantons zeigen: Das Problem sind Männer. In allen Alterskategorien sind die Straftäter mit grosser Mehrheit männlich. Egal welche Nationalität, egal ob es ums Betäubungsmittelgesetz oder sonstige Gesetzesverstösse geht, Männer sind immer in grosser Überzahl.

Kriminalitätsstatistik Kanton Zürich 2023
Die Beschuldigten sind in den meisten Fällen männlich. (Bild: Screenshot/Kanton Zürich)

Seit ein paar Tagen wird die Debatte im Kanton Zürich aber dominiert von Fragen, welche Nationalitäten am schlimmsten sind, ob man ganze Personengruppen pauschal bestrafen darf und ob man die Zuwanderung einschränken muss, damit wir in Sicherheit leben können:

  • Regierungsrat Mario Fehr legte bei der Pressekonferenz einen Fokus auf Kriminalität durch die Asylbevölkerung und Kriminaltourist:innen,

  • die SVP sprach sofort von importierter Kriminalität 

  • und auf 20 Minuten durfte ein Experte Sätze sagen wie: «Es gibt Nationalitäten, die sehr häufig straffällig werden.»

Es ist der falsche Fokus, und deshalb wird hier auch nicht die Ursache der zunehmenden Kriminalität gefunden. 

«Wir haben ein Männerproblem, kein Ausländerproblem», hat Alt-Bundesrätin Sommaruga mal im Nationalrat gesagt. Diese Analyse ist auch bei der aktuellen Kriminalitätsstatistik richtig. Deshalb sollten wir uns fragen, weshalb die Akzeptanz von Gewalt besonders bei jungen Männern weit verbreitet ist. Wir sollten uns fragen, wer den Jungen dieses Männerbild vermittelt und wie wir es wieder wegbringen. 

Nichts rechtfertigt Straftaten, schon gar nicht schwere Messerstechereien oder versuchte Tötungen. Die Kriminalitätsstatistik wird in den kommenden Jahren wieder sinken, wenn Politik und Behörden an den Ursachen interessiert sind; nicht, wenn weiterhin das Problem auf dem Buckel der Ausländer:innen bewirtschaftet wird. 

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Simon Jacoby

An der Universität Zürich hat Simon Politikwissenschaften und Publizistik studiert. Nach einem Praktikum bei Watson machte er sich selbstständig und hat zusammen mit einer Gruppe von motivierten Journalist:innen 2015 Tsüri.ch gegründet und vorangetrieben. Seit 2023 teilt er die Geschäftsleitung mit Elio und Lara. Sein Engagement für die Branche geht über die Stadtgrenze hinaus: Er ist Gründungsmitglied und Co-Präsident des Verbands Medien mit Zukunft und macht sich dort für die Zukunft dieser Branche stark. Zudem ist er Vize-Präsident des Gönnervereins für den Presserat und Jury-Mitglied des Zürcher Journalistenpreises. 2024 wurde er zum Lokaljournalist des Jahres gewählt.

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