Lecker, Fakten!

Während unsere Kolumnistin Jane Mumford in Italien weilt, macht sie sich Gedanken zur aktuellen Faktenlage. Dabei fällt ihr auf: Tatsachen haben zu Unrecht einen schlechten Ruf bekommen.

Fake News
Zwischen Fake und Fakten liege ein kleiner, aber feiner Unterschied, sagt unsere Kolumnistin. (Bild: Markus Spiske / Unsplash)

Es läuft so viel, dass ich dieses Jahr immer öfter mal auf «Off» schalten muss. Ich weiss, «dieses Jahr» ist noch gar nicht so lang, aber die weltweiten Ereignisse überschlagen sich. Und mich verschlägt es als Gegenreaktion an Orte, wo nichts – aber wirklich gar nichts läuft. 

Ich stopfe inmitten der Überforderung planlos Dinge in einen kleinen Rollkoffer (zu wenige Socken, zu viel Unterwäsche, drei Bücher – von denen ich zwei natürlich nicht mal zur Spinnenzerstörung in die Hand nehmen werde) und los geht’s – in die Nebensaison! 

Wir fahren in die Nähe von Genua an die Küste. In irgendein Dorf. Egal. Es ist sowieso alles wunderbar dort im Februar. Alle Touristenfallen sind geschlossen. Die ganzen Sonnenbrillen-Shops – zu. Die Geschirr-mit-Zitronenmuster-Mitbringsel-Höllen – zu. Die «Fish Art Gallery» war zwar offen, hatte aber nur gaaanz kurze Öffnungszeiten. Und die einzigen Restaurants und Bars, die offen waren: voll mit Locals.

Ich sage viel lieber «Locals» als «Einheimische» weil letzteres für mich schon immer einen altmodisch-xenophoben Beigeschmack hatte. Und jetzt, wo die Deutsche Sprache eh grad platzt vor lauter problematischen Neuwörtern («Remigration», «Politik-Theater», «Klimawahn») greife ich viel lieber zu Anglizismen. 

Jane Mumford
Die Faktenlage ist klar: Tsüri ist in Italien. (Bild: zvg / Tsüri.ch)

Anyway. Da spazierten wir also an besagter «Fish Art Gallery» vorbei, zu einem Schild mit Fakten über das Dorf und die Zitronen- und Orangenreiche Küstenregion. Mmh, lecker Orangen. Mmh, lecker, Fakten.

Kennt ihr die noch? Fakten? Die haben einen schlechten Ruf bekommen in den letzten paar Jahren, aber ich sag’ euch: Es gibt nichts Schöneres als der erste Fakt am Morgen – noch vor dem Kaffee! Oder der letzte Fakt vor dem Schlafengehen. Manchmal über Mittag ein kleiner Quickie auf Wiki.

«Danke Mark, dass du’s endlich mal sagst: Fakten sind extrem feminin!»

Jane Mumford

Und wir können froh sein um jeden Fakt, der uns noch zur Verfügung steht, bei den ganzen Silicon-Valley-Tech-Bros, die gerade ihr «Fact-Checking» abgeschafft haben unter dem Vorwand, ihre Firmen brauchen «mehr maskuline Energie». Endlich!

Ich meine, der Kapitalismus war in letzter Zeit so karg an maskuliner Energie, dass er sich sogar erneuerbare Produkte aneignen musste, nur um über die Runden zu kommen! Es gab also offenbar einen Überschuss an «femininer Energie» in diesen Tech-Firmen, die es unbedingt zu beseitigen gilt.

Wie? Indem «Fact-Checking» abgeschafft wird. Danke Mark, dass du’s endlich mal sagst: Fakten sind extrem feminin! Und Männer waren schon immer mehr fürs Fühlen als fürs Denken zuständig. Sie fühlen sich ja auch immer persönlich angegriffen von Fakten.

Wir taumeln also in eine Trattoria, die uns empfohlen wurde von einer Luzerner Freundin mit einer gewissen Italianità. Später fragte ich sie: «Sag mal, wie Italienisch bist du eigentlich?» Darauf sagt sie: «Ein Viertel Tessinerin.»

Noch nie in meinem Leben war ich in so einem lauten Restaurant. Es war wunderbar. Übrigens: Erst in der Nebensaison wird das wahre Können von guten Kellner:innen sichtbar. In der Hauptsaison sind viel zu viele von uns an ihren Tischen, und mit uns kann man einfach nicht speditiv arbeiten:

Kellnerin bringt Essen an den Tisch.

«Ich habe ein Menü eins mit Salat! Hallo, Menü eins mit Salat?! WER HET DAMMINAMAL S’MENÜ 1 MIT SALAT?!» Sie seufzt und kehrt in die Küche zurück.

Kunde schält sich geistig kurz aus einer uninspirierenden Unterhaltung: 

«Moment, Menü ein mit Salat? Halt, stopp, das han ich! Hui, die hends aber pressant da…»

In der Schweiz werden Kellner:innen stärker ignoriert als jede Unterschriftensammler:in. Dabei wollen wir das, was sie uns anbieten: unser Essen!

Unser Kellner in Italien war auf jeden Fall so schnell unterwegs, dass wir oft nicht bemerkt haben, wie das Zeug auf unseren Tisch kam. Später rollten wir nach Hause und sprachen ein vollgefressenes Dankbarkeitsgebet an die Weisheit unserer Italien-Kennerin. Was für ein guter Tipp.

Sie hat uns keine Meinung offeriert, sondern 100 Prozent Fakten. Just like a Girl. Und wir haben diese Fakten sogar noch gecheckt. Fazit: «Fish Art.» 

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