Klimaschützer:innen wollen Kastanienbäume am Neumühlequai retten

Am Neumühlequai sollen 63 Kastanienbäume verschwinden, weil sie während einer Baustelle die Rettungseinsätze behindern. Klimaschützer:innen reagieren empört – und kämpfen für den Erhalt der Bäume.

Kastanienbäume Neumühlequai
Zwischen Dynamo und Central säumen aktuell 67 Kastanien den Weg – 2028 sollen 63 von ihnen ersetzt werden. (Bild: zvg)

Den Kastanienbäumen am Neumühlequai steht das Ende bevor. Jedenfalls, wenn es nach den Plänen der Stadt geht. Doch damit sind nicht alle einverstanden. Allen voran die beiden Vereine Klimastadt Zürich und Stadtgrün. Zusammen mit anderen «Baumfreund:innen» haben sie eine Petition lanciert, die den Erhalt der 63 Bäume fordert. Die Fällungen seien «unvereinbar» mit den städtischen Zielen der Hitzeminderung, so das Argument. Der Widerstand wächst: Vier Tage nach dem Start haben über 1300 Personen die Petition unterschrieben.

«Wir wollen, dass die Verantwortlichen der Stadt nochmals über die Bücher gehen», sagt Markus Keller, Geschäftsleiter des Vereins Klimastadt Zürich. Es könne nicht sein, dass wegen einer temporären Baustelle 135 Jahre alte Bäume gefällt werden müssten. 

Baumreihe muss provisorischer Fahrspur weichen

Die erwähnte Baustelle ist der Grund, weshalb überhaupt darüber diskutiert wird, die Kastanien entlang des Neumühlenquais zu fällen. Ab 2028 soll zwischen Dynamo und Central ein neuer Abwasserkanal entstehen. Und weil dafür die komplette Strasse gesperrt wird, muss an einem anderen Ort Platz für die Zufahrt zur Sanitätswache von Schutz & Rettung am Neumühlequai geschaffen werden.

Um das Problem zu lösen, will das zuständige Tiefbauamt das jetzige Trottoir mit der Baumreihe als Fahrspur für die Rettungskräfte umzufunktionieren. Nur so würde ein 24-Stunden-Betrieb auch während der Bauzeit gewährleistet sein, heisst es in der entsprechenden Mitteilung der Stadt. Man habe andere Varianten geprüft, aber die seien zu teuer und würden zu «unverhältnismässig» längeren Bauzeiten führen. Heisst konkret: Bleiben die Bäume, wo sie sind, rechnet man mit mindestens 30 Wochen mehr Bauzeit plus Nachtarbeit und Mehrkosten von zwei Millionen Franken, schreibt das Tiefbauamt auf Anfrage.

Zudem sei ein externes Gutachten zum Schluss gekommen, dass sich ein Grossteil der Kastanien in einem schlechten Zustand befinden würde. Die Lebensbedingungen seien zum jetzigen Zeitpunkt nicht optimal: Auch nachgepflanzte Jungbäume würden absterben und müssten ausgewechselt werden.

Baumreihe Neumühlequai ©maars architektur visualisierungen, Berrel Kräutler AG
Nach der Bauphase will die Stadt neue Bäume pflanzen, die ähnlich aussehen wie Rosskastanien. (Bild: pd)

Aus diesem Grund hätten sich die Verantwortlichen entschieden, die Baumreihe fast ausnahmslos zu ersetzen und mit 13 zusätzlichen Bäumen zu ergänzen. Anstelle von Kastanien soll eine Baumart zum Zug kommen, die besser auf die klimatischen Veränderungen zurechtkommt. Zudem will man durch den Einbau einer gezielten Zuführung von Regenwasser und der Versorgung mit Baumsubstrat für optimale Wachstumsbedingungen sorgen. 

Kahlschlag auf Kosten des Klimas?

Das alles überzeugt Markus Keller nicht. «Es wird Jahrzehnte brauchen, bis die neuen Bäume eine ähnlich gute Ökodienstleistungsbilanz haben wie die Kastanienbäume, die jetzt dort stehen.» In der Regel gilt: Je grösser eine Baumkrone, desto mehr CO2 kann ein Baum absorbieren und desto grösser sein Schattenwurf. 

Keller bezweifelt, dass dieser Punkt bei der Abwägung der verschiedenen Varianten ausreichend gewürdigt wurde. Seiner Ansicht nach hat man die einfachste Lösung bevorzugt.

Um ihrem Anliegen Nachdruck zu verleihen, hoffen die Vereine auch auf Unterstützung aus der Bevölkerung und Politik. Denn zwar muss die Stadt auf eine Petition nicht reagieren, doch da es sich um ein Strassenprojekt handelt, hat die Bevölkerung die Möglichkeit, sich dazu zu äussern. Danach prüft das Tiefbauamt die Einwände und nimmt dazu Stellung. Erst nach diesem Schritt ist der juristische Weg frei und direkt Betroffene können Einsprache erheben.

Stadt will mehr Bäume bis 2050

Eigentlich wäre es im Interesse der Stadt, möglichst viele bestehende Bäume mit grossen Baumkronen zu erhalten. Erst vergangenen Herbst kündigte die Tiefbauvorsteherin Simone Brander an, die Kronenfläche auf dem Siedlungsgebiet bis 2050 auf 25 Prozent erhöhen zu wollen, weil Bäume für die Stadtökologie «von enormer Bedeutung sind», wie sie betonte. Aktuell seien es lediglich 15 Prozent.

Gemäss Auswertungen der Stadt hat die von Bäumen beschatteten Flächen in Zürich zwischen 2018 und 2022 um 64 Hektar abgenommen. Was rund 90 Fussballfeldern entsprechen würde. Wie viel Kronenfläche bei der Fällung der 63 Kastanien verloren geht, kann die Stadt nicht beantworten. Eine solche Berechnung liege nicht vor. 

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