Zürich schwitzt – welche Projekte gegen Hitze Zukunft haben

Die Stadt Zürich sagt mit verschiedenen Projekten der Hitze den Kampf an: Sprühnebel, helle Strassenbeläge, versickerungsfähige Oberflächen und Gebäude-Begrünungen; die Palette ist vielseitig. Doch nicht alle Massnahmen sind so cool, wie sie auf den ersten Blick scheinen. Eine Übersicht.

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Das Triemli Hochhaus in neuem Gewand: Eine Stockwerk übergreifende Begrünung konnte aus Brandschutz-Gründen nicht realisiert werden. (Bild: Stadt Zürich / Adrian Reusser)

Es ist wieder soweit, eine weitere Hitzewelle erreicht die Schweiz. Dass diese nicht nur die Lebensqualität einer Stadt mindert, sondern auch der Gesundheit deren Bewohner:innen schadet, wurde schon mehrfach erwiesen und wird immer wieder zementiert: Erst vor wenigen Wochen veröffentlichten Forschende im deutschen Ärzteblatt eine Studie, die zeigt, dass ein Zusammenhang zwischen Hitzeperioden und einer erhöhten Sterblichkeit besteht. 

Und weil Städte aufgrund fehlender Versickerungsmöglichkeiten und einer dichten Bebauung als Hitzeinseln gelten, ergriff auch Zürich in den letzten Jahren Massnahmen, um das Leben im Sommer für seine Einwohner:innen erträglicher zu machen. «Fachplanung Hitzeminderung» heisst die Orientierungshilfe für Stadtplaner:innen und die hiesige Baubranche. Mit dem 2020 lancierten Plan soll die Überwärmung in der ganzen Stadt vermieden werden, wobei der Fokus vor allem auf «vulnerable Stadtgebiete» gelegt werde, wie es darin heisst. Damit sind laut Planungsinstrument Gegenden mit hohen Bevölkerungsdichten oder solche, in denen viele Senior:innen oder Kinder leben, gemeint. Abhilfe solle bereits heute verschiedene Hitzeminderungs-Projekte schaffen.

Wie nützlich diese sind und welches die beste Investition für die Zukunft ist, versucht die Klimaexpertin Veruska Muccione herauszufinden. Zusammen mit anderen Forschenden der Universität Zürich erarbeitet sie gerade ein Web-Tool, das verschiedene Massnahmen gegen die steigenden Temperaturen auf ihre Wirkung analysiert: Ein Werkzeug, worauf auch die Stadt künftig zurückgreifen könnte. Wir haben die IPCC-Hauptautorin gefragt, in welchen Ideen sie am meisten Potential sieht. 

Eine grüne Fassade für das Spital Triemli 

Seit Anfang diesen Jahres gedeihen rund 4600 Pflanzen aus hundert verschiedenen Arten an der Südwand des Triemlis. Sie sollen während Hitzeperioden für ein besseres Klima sorgen und die Biodiversität fördern. «Mit ihrem Schatten und dank ihrer Verdunstung werden die Pflanzen für kühlere Temperaturen im Innenraum sorgen», schreibt die Stadt in der entsprechenden Medienmitteilung. Ziel ist es, dass die Vertikalbegrünung der 16 Stockwerke einst eine Fläche von 2300 Quadratmetern abdeckt. Zwei Millionen Franken lässt sich die Stadt die Massnahme insgesamt kosten. Ausgeführt wurde das Projekt von Landschaftsarchitekt:innen. Gemäss der Machbarkeitsstudie, die im Vorfeld durchgeführt wurde, kann eine begrünte Fassade im Vergleich zu einer unbegrünten einen Temperaturunterschied von 8 bis 19 Grad ausmachen – je nachdem, wie dunkel die Fassade des betroffenen Hauses ist. Das grösste Potential sehen die Verantwortlichen in der Verbesserung der Gebäudekühlung. Welche Auswirkungen es auf das Leben in den Innenräume hat, werde genau beobachtet, heisst es vonseiten der Stadt. 

Veruska Muccione: Grüne Infrastrukturen reduzieren die Hitze und können in Kombination mit Infrastrukturen, die in ihrer Beschaffenheit optimiert wurden, das Wohlbefinden und die Lebensqualität von Menschen in der Stadt wirklich steigern. Diese Art von grünen Infrastrukturen oder naturbasierten Lösungen sind wandelbar und zukunftsweisend. Es ist jedoch wichtig zu bedenken, dass auch sie unter den steigenden Temperaturen leiden. Wir wissen, dass das Potenzial von solchen Hitzeminderungs-Projekten wie beim Triemli in einer wärmeren Welt erheblich abnimmt. Damit die Natur uns helfen kann, die mit extremer Hitze verbundenen Risiken zu verringern, müssen wir in erster Linie sicherstellen, dass wir die globale Erwärmung auf 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau begrenzen.

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Wie sich die grüne Fassade für die Bewohner:innen des Hochhauses auswirkt, werde laufend untersucht, so die Stadt. (Bild: Stadt Zürich / Walter Bieri)

Helle Strassenbeläge gleich weniger Hitze?

Wer schon einmal in der Badi barfuss über aufgeheizten Asphalt gelaufen ist, weiss, wie heiss dieser im Gegensatz zur grünen Wiese werden kann. Einerseits absorbieren dunkle Materialien die Sonneneinstrahlung besser als helle, andererseits können Beton sowie Asphalt Wärme gut speichern. Laut einer Studie von MeteoSchweiz wird es deshalb in urbanen Gegenden um bis zu 10 Grad wärmer als auf dem Land. Um dieses Phänomen zu mindern, führte die Stadt in den letzten zwei Jahren ein Pilotprojekt mit verschiedenen Strassenbelägen durch – auch, weil bereits positive Erfahrungen mit hellem Asphalt gemacht wurden. Auswertungen in der US-amerikanischen Stadt Phoenix zeigen, dass dieser zu jeder Tageszeit kühler ist als herkömmlicher Asphalt. Und in Zürich? «Die Resultate zeigen eine geringe Wirkung der hellen Beläge auf die Oberflächentemperatur», heisst es in der Medienmitteilung von Mitte Juni 2022. Lediglich zwei Grad kälter sei die helle Fläche im Durchschnitt gewesen. Doch das Ergebnis lässt sich mit Vorsicht geniessen: Auf die Referenzfläche hätte es zeitweise Schattenwurf gegeben; weswegen sie sich weniger stark erhitzt habe, so die Stadt.

Veruska Muccione: Helle Oberflächen sind besser in der Lage, die Sonneneinstrahlung zu reflektieren und absorbieren so auch weniger Wärme als Asphalt. Noch besser wäre es, helle Straßenbeläge mit weissen Dächern zu kombinieren, da der Wärmeschutz in Innenräumen, insbesondere während der Nacht, von grosser Bedeutung ist. In der Nacht erholt sich unser Körper nämlich von der Tageshitze und wenn die Innentemperatur zu hoch ist, kann dieser Prozess nicht stattfinden. In Zürich gibt es viele Gebäude mit Dachwohnungen, die sich in Hitzeperioden stark aufheizen. Ein weiss gestrichenes Dach würde hier viel helfen – sofern dies aus Denkmalschutz-Gründen möglich ist.

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Sollten die Hitze in der Roggenstrasse mindern: Der rote sowie der beige Strassenbelag. (Bild: Stadt Zürich / Albi Massalongo)

Heiter bis wolkig auf dem Turbinenplatz

Die Kritik war laut, als Anfang Juli «Alto Zürrus» in Betrieb genommen wurde: Wasserverschwendung und nutzlos sei die Nebelwolke, welche die Hitze auf dem Zürcher Turbinenplatz erträglicher machen soll. Die Installation springt ab 30 Grad Aussentemperatur automatisch an und sprüht in einem Aluminiumring unter Hochdruck Wasser durch 180 Düsen. Dadurch wird dieses in Mikroteilchen zerstäubt und verdunstet sofort. Das soll die Umgebungsluft um bis zu zehn Grad abkühlen, heisst es bei der Stadt. 7,5 Liter Wasser würde die Wolke ungefähr pro Tag verbrauchen – das entspricht etwa einem Zehntel des Verbrauchs eines Trinkbrunnens. Das Projekt läuft bis im September 2024, währenddessen werden Daten zur Luftqualität und die Temperatur gesammelt, um den Hitzeminderungs-Nutzen bewerten zu können. Die Kosten für die Nebelwolke belaufen sich auf 140’00 Franken. 

Veruska Muccione: Von dieser Hitzeminderungs-Massnahme bin ich nicht überzeugt. Zum einen wird es schwierig sein, das Projekt auf alle betroffenen Gebiete auszudehnen – und diese werden in Zukunft mehr werden –, zum anderen ist es auf Wasserressourcen angewiesen. Diese wird vermutlich mit jedem Jahr knapper. Es ist wichtig, eine langfristige Wirksamkeit von Massnahmen anzustreben, das bedeutet auch, dass man potenzielle Risiken stärker berücksichtigt. Die Nebelwolke scheint eher eine kurzfristige Lösung zu sein. Um eine klare Meinung dazu zu haben, ist es noch zu früh, aber ich bin gespannt, was die Ergebnisse des Projekts sein werden. Es ist richtig und wichtig, dass die Stadt es wissenschaftlich begleitet und Daten sammelt: Das ermöglicht eine spätere Anpassung der Massnahme. 

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Am 5. Juli 2022 wurde «Alto Zürrus» eingeweiht. (Bild: Stadt Zürich / Tabea Vogel)

Kaltluftsystem: Standort mit viel Potential 

Es gibt auch Massnahmen, bei welchen «weniger ist mehr» gilt: Für die Erhaltung des sogenannten Kaltluftsystems in der Stadt sollen nämlich so wenig im Weg stehen wie möglich. Bei solchen Luftschleusen geht es in erster Linie um die Abkühlung während der Nacht: Gemäss Fachplanung Hitzeminderung entsteht kühle Luft an den Hängen und wird durch das Kaltluftsystem in die Innenstadt transportiert. Die Stadt hat also eigentlich gute Voraussetzungen, die natürliche Temperaturregulierung zu nutzen. Bei städtischen Bauten werde darauf geachtet, diese nicht negativ zu beeinflussen. Das Problem: Nur 30 Prozent des Stadtgebiets liegt in den Händen der Gemeinde – der Rest gehört Privaten oder Genossenschaften. Und dort greift das kantonale Planungs- und Baugesetz, das wiederum das Kaltluftsystem Zürichs nicht berücksichtigt. Die Stadt ist momentan auf den Goodwill der Eigentümer:innen angewiesen. Ein Online-Tool soll Planende und Bauherr:innen bei ihren Entscheidungen unterstützen.

Veruska Muccione: Das ist eine tolle Massnahme: Sie braucht wenig Aufwand und hat einen sehr grossen Effekt auf die Kühlung der Stadt. Das Problem ist, dass viele Gebäude in Privatbesitz sind. Deshalb ist es wichtig, dass die Stadt in die Aufklärung von private Eigentümer:innen investiert. Denn sie sind Teil der Lösung. Die Schaffung von Wissen sowie einem intensiven Austausch tragen dazu bei, dass diese Massnahme möglichst effektiv ist. 

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Kalten Luftströmen sollte Platz gelassen werden, so will es die Fachplanung Hitzeminderung. (Bild: Stadt Zürich )

Die Stadt, ein Schwamm

Auf natürliche Materialien setzt man auch bei der Idee der Schwammstadt. Ursprünglich für die Verhinderung von Hochwasser konzipiert, hilft es auch gegen überwärmte Städte. Anders als beim üblichen Abwassersystem soll Regenwasser in Beeten, Grasflächen, mit Bäumen, Dach- oder Vertikalbegrünungen zurückgehalten werden und bei hohen Aussentemperaturen langsam verdunsten; dadurch wird diese heruntergekühlt. Das Prinzip ist ähnlich wie bei der Nebelwolke auf dem Turbinenplatz – nur natural made. Ein entsprechendes Projekt hat die Stadt bereits im Herbst 2020 in Zusammenarbeit mit der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften lanciert. An der Giessereistrasse wurden neun Bäume in ein spezielles Substrat gepflanzt, welches das Abwasser wie ein Schwamm aufsaugt. Nur während den Wintermonaten, in denen Streusalz gegen Eis eingesetzt wird, fliesst das Wasser in die Kanalisation ab. Wie stark das System gegen Hitze hilft, darüber gibt sich die Stadt sowie die ZHAW verschlossen, da man sich noch in der Testphase befände. Erst 2024 wird es einen Bericht zum Projekt geben, das den Nutzen und die Machbarkeit analysiert. Laut Mitteilung der Stadt kostet der Pilot insgesamt 680’000 Franken.

Veruska Muccione: Die Idee einer Schwammstadt ist vielversprechend, solange die sich ändernden natürlichen Bedingungen berücksichtigt werden. Auch die Natur ist von der globalen Erwärmung betroffen, wir werden mehr Trockenperioden haben und Wasser wird eine immer wichtigere Ressource werden, die es zu erhalten gilt. Bei der Bewertung der Wirksamkeit dieser Hitzeminderungs-Massnahmen muss daher auch die Durchführbarkeit berücksichtigt werden. Lohnt sie sich finanziell, ist sie verträglich für die Umwelt und wird sie von der Bevölkerung akzeptiert? 

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Ab 2023 sollen laut der Stadt auch in anderen Strassen Zürichs Schwammstadt-Projekte umgesetzt werden. (Bild: Stadt Zürich)
2024-02-27 Isabel Brun Redaktorin Tsüri

Ausbildung zur tiermedizinischen Praxisassistentin bei der Tierklinik Obergrund Luzern. Danach zweiter Bildungsweg via Kommunikationsstudium an der ZHAW. Praktikum bei Tsüri.ch 2019, dabei das Herz an den Lokaljournalismus verloren und in Zürich geblieben. Seit Anfang 2025 in der Rolle als Redaktionsleiterin. Zudem Teilzeit im Sozialmarketing bei Interprise angestellt.  

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