Solarausbau: Das verlorene Potenzial auf Stadtzürcher Dächern
Aktuell bleiben 50 Prozent des Solarpotenzials auf Hausdächern in Zürich ungenutzt. Die Stadt legt den Fokus deshalb noch stärker auf private Eigentümer:innen. Doch die bisherigen Fördermassnahmen reichen nicht aus, um den Ausbau schnell genug voranzutreiben.
In der Sonne liegt die Kraft. Das sieht auch die Stadt Zürich so. Bis ins Jahr 2030 sollen auf Stadtgebiet 120 Gigawattstunden Strom produziert werden – mehr als doppelt so viel wie heute. So will es die Photovoltaik-Strategie aus dem Jahr 2021.
Doch ohne die Mithilfe von privaten Eigentümer:innen lässt sich dieses Ziel nicht erreichen: Der Grossteil der Gebäude ist nicht im Besitz der Stadt und eine Zubaupflicht für Solarpanels gilt per Gesetz nur für Neubauten, nicht aber für den Bestand. Entsprechend wird nur die Hälfte des Potenzials auf privaten Hausdächern genutzt, wie Berechnungen der Stadt zeigen. Um dies zu ändern, versuchen die Verantwortlichen mit neuen Mitteln, Private dazu zu bringen, vermehrt auf Sonnenenergie zu setzen.
Einerseits soll es noch ab diesem Jahr möglich sein, dass Hauseigentümer:innen ihren Solarstrom mit anderen im Quartier teilen können. Andererseits hat die Stadt zusammen mit der ETH eine Umfrage lanciert, die neue Erkenntnisse liefern soll, weshalb Private auf den Zubau von Photovoltaik-Anlagen verzichten.
Stadt lanciert Umfrage
«Wir möchten besser verstehen, warum ein Teil der Immobilieneigentümer:innen bei Dachsanierungen keine Solarpanels installiert oder nicht die ganze Fläche nutzt», erklärt die Energiebeauftragte der Stadt Zürich, Silvia Banfi Frost.
Zwar sei es in Ausnahmefällen tatsächlich nicht möglich, eine Photovoltaik-Anlage einzubauen, zum Beispiel weil das Haus verschattet ist, keine ausreichende Statik ausweist oder denkmalgeschützt ist, doch in den meisten Fällen wäre es ihr zufolge – zumindest aus baulicher Sicht – machbar. Banfi Frost geht deshalb davon aus, dass andere Faktoren für die fehlende Ausnutzung des Potenzials auf Stadtzürcher Dächern verantwortlich sind.
Während das kantonale Energiegesetz seit 2022 den Zubau von Solaranlagen bei privaten Neubauten vorschreibt, sind Dachsanierungen von der Regel ausgenommen. Deshalb versucht die Stadt Private unter anderem durch Förderbeiträge und Beratungsangebote dazu zu bringen, auf Solarpanels zu setzen. Die Nachfrage sei vorhanden, so Banfi Frost, doch es gebe noch viel Luft nach oben.
Die Zahlen zeigen: Von 2010 bis 2022 hat sich die Solarstromproduktion in Zürich beinahe verzehnfacht. Trotzdem entsprechen die rund 55 produzierten Gigawattstunden nur etwa 1,8 Prozent des Verbrauchs. Ein Bruchteil davon, was theoretisch möglich wäre. Laut einer Studie von 2021 lassen sich auf den Dächern Zürich bis zu 500 Gigawattstunden Strom produzieren. Allerdings befänden sich lediglich 11,5 Prozent des Potenzials auf Gebäuden im Eigentum der Stadt Zürich.
Hauseigentümerverband gegen Solarpflicht
Dass auch Private einen Beitrag zum Solarausbau leisten sollen, unterstützen sowohl der Hauseigentümerverband Zürich (HEV) als auch der Verband Casafair. Während sich letzterer für eine Solarpflicht bei Dachsanierungen und Aufstockungen im Bestand ausspricht, sofern eine Anlage aus «technischen, topografischen oder geografischen Gründen Sinn macht», setzt man beim HEV auf möglichst freiwillige Massnahmen.
Diese hätten sich bereits bewährt, so der Medienverantwortliche Luca Roncoroni. Laut einer Umfrage des HEV aus dem Jahr 2019 würden dessen Mitglieder schweizweit 9,5 Milliarden Franken pro Jahr in den Unterhalt und die Erneuerung investieren, insbesondere in die energetische Sanierung ihres Wohneigentums.
Eine Nachrüstungspflicht von Photovoltaik-Anlagen würde lediglich dazu führen, dass Sanierungen teurer werden. Gerade bei älteren Liegenschaften komme es oft vor, dass zuerst das Dach saniert werden müsse, ehe Anlagen für die Solarstrom- oder Solarwärmeerzeugung installiert werden könnten.
Roncoroni spricht von Mehrkosten von teilweise bis zu 100’000 Franken. Diese müssten die Mieter:innen fallweise mittragen, was sich schliesslich auf den Mietzins auswirke. «Dadurch dürfte gerade in den Städten weiterer günstiger Wohnraum verloren gehen», resümiert der HEV-Sprecher.
Beim Verband Casafair gebe es kaum Mitglieder, die sich nach einer Beratung gegen eine Photovoltaik-Anlage entscheiden würden, schreibt die Medienverantwortliche Eva Schumacher. Ihr sei einzig von einem Fall bekannt, bei dem es sich wirtschaftlich nicht gelohnt hätte. Zum einen aufgrund der kleinen Dachfläche.
Zum anderen, weil es bereits einen Fernwärmezugang zum Haus gegeben habe. Ansonsten nennt Schumacher die Einspeisevergütung als einen möglichen Knackpunkt: Mit 12,9 Rappen pro Kilowattstunde sei diese in der Stadt Zürich recht tief. In anderen Gemeinden erhalten Hauseigentümer:innen deutlich mehr für Sonnenenergie, die sie über ihr Dach ins Stromnetz einspeisen.
Strom fürs ganze Quartier
Auch Silvia Banfi Frost von der Stadt kann sich vorstellen, dass die Rückvergütung für den überschüssigen Solarstrom den Ausbau beeinflussen könnte. Immerhin: Um die Wirtschaftlichkeit zu verbessern, vergütet das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (EWZ) seit Anfang 2023 Hauseigentümer:innen pro Kilowattstunde Strom fünf Rappen zusätzlich; also insgesamt 12,9 Rappen.
Eine weitere Massnahme, um das Problem mit zu tiefen Vergütungen zu entschärfen, steht aktuell in der Pipeline. Im Herbst wird das Bundesamt für Energie sich zu den Verordnungen rund um das Stromgesetz äussern, das vergangenen Juni von der Stimmbevölkerung angenommen wurde. Im Raum steht auch die Idee, dass Private den überschüssigen Solarstrom mit ihrer unmittelbaren Nachbarschaft teilen können. Bisher konnte die gewonnene Energie nur innerhalb einer Liegenschaft genutzt werden.
«Nur wenn wir genauer wissen, warum ein Teil der Hauseigentümer:innen keine Solaranlagen baut, können wir entsprechend reagieren.»
Silvia Banfi Frost, Energiebeauftragte der Stadt Zürich
Der EWZ-Sprecher Thöme Jeiziner verspricht sich viel von solchen lokalen Elektrizitätsgemeinschaften – kurz LEG: «Wir glauben, dass diese Neuerung den Zubau von Photovoltaik-Anlagen für Hauseigentümer:innen noch attraktiver macht – und das Potenzial dadurch besser ausgenutzt wird.»
Die Rechnung ist einfach: Je höher der wirtschaftliche Nutzen, desto eher entscheidet man sich für Solarpanels. Jeiziner zufolge haben sich bereits mehrere Interessierte gemeldet; Solarstromproduzierende sowie Konsument:innen, die diesen Strom abnehmen würden.
Bei den Verbänden der Hauseigentümer:innen findet die Idee von Elektrizitätsgemeinschaften ebenfalls Anklang. «Es ist sehr sinnvoll, wenn sich Nachbarschaften bei der Energiegewinnung unterstützen und den Solarstrom nicht zwingend ans EWZ liefern müssen; somit nicht von schwankenden Marktpreisen abhängig sind», schreibt Eva Schumacher von Casafair.
Geht es nach der Stadt, sollen bereits nächstes Jahr erste Häuserzeilen davon profitieren können. Auch die Ergebnisse der Umfrage zur Haltung der Immobilieneigentümer:innen werden in wenigen Monaten erwartet.
Silvia Banfi Frost erhofft sich davon zusätzliche Erkenntnisse: «Nur wenn wir genauer wissen, warum ein Teil der Hauseigentümer:innen keine Solaranlagen baut oder beim Bau einer Solaranlage die geeigneten Dachflächen nicht vollständig belegt, können wir entsprechend reagieren und Massnahmen gegebenenfalls anpassen.»
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