«Für d'Vegis heds no zwei grossi Zucchini» – Grillieren mit der SVP

Out of the bubble: Jenseits von Klimademos, produktivem Brainstorming bei Tsüri.ch, und Urban Gardening auf dem heimischen Balkon stürzen wir uns ins Lager der SVP Zürich. Ein Erlebnisbericht.

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Höngg, die bürgerliche Hälfte des Stadtkreises 10 (neben dem eher linken Wipkingen); das ist das, was kommt, wenn man mit der 13 beim Wipkingerplatz nicht aussteigt und weiter fährt. Wo es auch schon ein bisschen nach Heu oder Jauche riechen kann, wenn man aus dem Tram steigt und wo die SVP samstags vor dem Alnatura um die Gunst der Wähler*innen buhlt. Wo die Menschen liebevoll sagen, sie gehen ins Dorf wenn sie um die Ecke in die Migros gehen, und in die Stadt, wenn sie bis zum HB fahren, und wo eines morgens ein Flyer in unserem Briefkasten verkündet: Roger Köppel spricht – im Armbrustschützenhaus Höngg und das bereits am kommenden Freitag.

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Ein Flyer, der gluschtig macht.

Schützenhausromantik all inclusive

An jenem besagten Freitag mache ich extra ein wenig früher Feierabend. Etwas nach 17 Uhr erreiche ich gemeinsam mit der Tsüri-Redaktorin Isabel Brun das Schützenhaus. Davor sind Festbänke aufgestellt, die schon gut gefüllt sind, es wird Wein aus der Höngger Zweifel-Weinkellerei ausgeschenkt und dazu gibts Chips. Später würden Würste grilliert, verspricht der Flyer. Und uns wird bildlich vor Augen geführt: Der*die durchschnittliche SVP-Wähler*in ist 60 plus, weiss und männlich. Und es sind etwa 70 Stück von ihnen heute anwesend.

Den Anfang macht Mauro Tuena, Präsident der SVP der Stadt Zürich und Nationalrat («Hoffentlich noch lange», wie er noch einwirft). Dann begrüsst uns der Köppel himself und startet gleich mit einem Witz: «Kann ich noch ein Mineral haben? Aber gerne eins ohne Kohlensäure, also ohne CO2» Fast alle fallen in das laute Gelächter ein. Dies ist uns ein erster Vorgeschmack auf das, was noch kommen soll.

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Sitzgelegenheiten waren rar an diesem Freitagabend.

Schwänzen – aber nicht fürs Klima

162 Gemeinden besucht Roger Köppel auf seiner Tournee durch den Kanton Zürich um zum Volk, und für ihn weitaus wichtiger, seinen potentiellen Wähler*innen zu sprechen. Dafür lässt er auch gerne mal die eine oder andere Abstimmung im Parlament sausen. Das sei es ihm aber allemal wert, beteuert er auch heute wieder. Wenn die Medien einen nur noch verzerrt oder gar nicht mehr zeigten, müsse man handeln, meint er. Darum sei er heute hier, damit man sich selbst ein Bild von ihm machen könne. Vor allem weil es jetzt auch so wichtig sei, wieder kompetente Politiker*innen im Ständerat zu wissen, nicht solche EU-Fans wie der Jositsch einer sei. Ja, der Roger und die EU. Neben ihr sind noch das Klima und das Asylwesen am heutigen Abend seine Lieblingsthemen. Oder wie er es nennen würde: die «grusigen» Vorgänge im Berner Bundeshaus, die auch grusige Wahlplakate begünstigten, die nationale Klima-Hypnose und die Masseneinwanderung der Wirtschaftsflüchtlinge. Vielleicht sollte jemand dem Köppel an diesem Punkt sagen, dass der Klimawandel die Migration sogar begünstigen kann.

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Den Autoaufkleber gabs gratis zum Unterhaltungsprogramm dazu.

«Nicht zu vergessen, die Gewalttätigkeit dieser Ausländer», ruft ein Herr ein, der direkt vor Köppel sitzt. «Ja und wissen Sie was», erwidert Köppel, «es gibt im Ernst Leute, die behaupten, wir hätten ein Problem mit Männergewalt gegen Frauen und nicht ein Ausländerproblem». Zustimmendes Grummeln. Der Mann neben mir schaut zum wiederholten Mal in meine Notizen und ich wünsche mir gerade sehr, ich würde Stenografie beherrschen.

EWR isch imfall nöd Eurovision Songcontest.

Roger Köppel

«Wisst ihr, den Leuten in Bern ist der Volkswille egal. Die kübeln dann eure Initiativen auch gerne mal, wenn es ihnen nicht passt», sagt er und spielt damit auf die Annahme und Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative 2014 an. «Wer die Aufgaben auf der Arbeit nicht richtig macht, wird auch früher oder später entlassen. Und es ist an der Zeit, dass ihr die Mitarbeiter im Bundeshaus auswechselt». Das Publikum ist begeistert. Eine ältere Frau läuft an der Menge vorbei, schüttelt verärgert den Kopf und beschleunigt ihren Schritt.

«Und an alle unter 50-Jährigen, die bestimmt den Begriff EWR nicht kennen – das isch imfall nöd Eurovision Songcontest!», holt Köppel erneut zum Schlag aus. Soll ich ihm jetzt echt sagen, dass das zum Grundstoff der Geographie im Gymnasium gehört? Aber dann wär ja der nice Gag dahin. Lieber nicht. Es soll auch nicht das letzte Mal sein, dass er der jungen Generation ihre Kompetenzen abspricht.

Geschosse gegen Greta

Den Namen Balthasar Glättli braucht er nur auszusprechen, und schon stimmen alle in schallendes Gelächter ein. «Der gute Mann ist von der Uni direkt in eine geschlossene Politik-Abteilung geschoben worden und hat noch nie in seinem Leben etwas verkauft. Der hat keine Ahnung.» Wieso man etwas verkauft haben muss, um Politik zu machen, bleibt ungeklärt. Auch an Greta Thunberg lässt er kein gutes Haar: «All diese Menschen kleben dieser 16-Jährigen an den Lippen. Einer 16-Jährigen!» wieder lautes Gelächter aus allen Reihen. «Würden Sie sich von einem 16-Jährigen ein Haus bauen lassen, der in seinem Leben vielleicht mal eine Sandburg gebaut hat?»

Für meine Generation geht es um mehr, als um Abgaben auf Flugzeugtickets.

findet unsere Autorin

Ja, ein*e 16-Jährige*r ist noch kein*e gemachte*r Architekt*in. Aber um das geht es hier gar nicht. Man muss nicht studiert haben und auch nicht 30 Jahre lang in der Politik gewesen sein um zu verstehen, dass wir ein Problem haben, wenn sich praktisch alle Wissenschaftler*innen einig sind, dass uns unser Planet in naher Zukunft gewaltig um die Ohren fliegt, wenn wir nicht sofort etwas an unserem Verhalten umstellen. Falls wir überhaupt noch etwas daran ändern können. Für meine Generation geht es um mehr, als Abgaben auf Flugzeugtickets. Es geht um unsere Lebensgrundlage; uns wird die Luft abgeschnitten. Und wir müssen mit ansehen wie sich unsere gewählten Volksvertreter*innen gegenseitig die Köpfe einschlagen statt überparteiliche und nachhaltige Lösungen zu erarbeiten. Darum gehen wir auf die Strasse.

Aber ich schweife ab.

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Laut und berauschend: Roger Köppel in Aktion.

Bauchpinseln à la Köppel

Köppel weiss, wie er die Zuhörer*innen für sich gewinnt. Er schwingt Dankesreden an die Anwesenden («Ich will mich einfach mal bei der älteren Generation bedanken. Dafür, dass ihr die Schweiz so reich und stark gemacht habt mit eurer Arbeit»), füttert sie mit den Sorgen und Befürchtungen, die sie eh schon haben («Sanktionen für den Klimaschutz bedeuten mehr Belastungen für das ohnehin kleine Portemonnaie der Rentner») und («dazu dürft ihr auch nicht mehr Autofahren. Wie kommt dann das Grosi zum einkaufen?»), will ihnen weismachen, dass Sanktionen fürs Klima für die Katz sind («was macht es denn schon für einen Unterschied wenn unsere kleine Schweiz Netto Null Treibhausgasemissionen hat») und überhaupt wer schaut denn noch zu den Renten?

Abermals fühle ich mich an diesem Abend an Gespräche mit meinem Grossvater erinnert. «Ihr Jungen macht die Schweiz kaputt!», pflegte er immer zu sagen. Wir seien zu links, zu sozial, zu öko, zu egoistisch, zu idealistisch. Er erwähnte auch oft, dass er an Heiligabend nur jeweils ein Mandarinli als Geschenk bekommen hat. Was mir immerzu vor Augen halten sollte, wie gut, dass ich es habe. Ich verstand seinen Standpunkt (je älter ich wurde, umso mehr) und ich beteurte stets, dass ich meine Privilegien zu schätzen weiss. Diese Gespräche machten mir aber auch extrem bewusst, in was für unterschiedlichen Welten und Zeiten wir aufgewachsen sind und wie unterschiedlich unsere Werte aber auch Anforderungen an die Politik sind. Und, dass wir vor völlig anderen Herausforderungen stehen, als unsere Grosseltern vor 50 Jahren. Es wird immer enger, es wird wärmer, Roboter erledigen unsere Arbeit und die AHV ist laut heutigem Stand im Jahr 2030 pleite. 2030. Das ist in 11 Jahren.

Für d'Vegis häts no zwei grossi Zucchini im Chüelschrank!

Veranstalter

Das würde ich gerne auch einem älteren Herren erläutern, der sich nach Köppels Vortrag neben uns setzt und uns fragt, warum wir hier sind und ob es uns gefallen hat. Wir sagen ihm, dass wir mal das «andere Lager» auschecken und Meinungen hören wollen, die wir sonst eher nicht hören. Als ich ausführen will, dass ich imfall auch ein kleines Portemonnaie habe und mich Sanktionen auch belasten würden, aber ich statistisch gesehen eben noch einige Jahre mehr auf diesem Planet verbringe und ich mir (und möglichst vielen anderen Menschen) wünsche, dass wir diese in Würde erleben können, steht er abrupt auf und entschuldigt sich mit den Worten: «Sorry, ich muss gschwind noch Gäste bedienen.»

Leider kommt er nicht mehr zurück.

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Wasser (mit und ohne CO2) und Wein gehen aufs Haus.

Vor dem Grill hat sich schon eine lange Schlange gebildet, der Duft von Cervelats liegt in der Luft. Die Salate stehen bereit. «Für d’Vegis häts imfall zwei grossi Zucchini im Chüelschrank!», lässt uns ein Mann wissen, der gerade Krustenkränze herum reicht. Doch der gutbürgerliche Schweizer besteht auf seine Wurst. Mauro Tuena verteilt Visitenkarten und Flyer. Von Therese Schläpfer bekommen wir SVP-Pflaster gegen Pflästerli-Politik. Für unsere Autos kriegen wir Autoaufkleber mit den Worten «Roger Köppel Ständerat». Vielleicht klebe ich mir den auf mein Velo.

Die SVP – keine Partei des Mittelstandes

Werden wir anfangs noch misstrauisch beäugt, kommen jetzt einige Leute zu uns und beteuern, wie schön es ist, hier junge Gesichter zu sehen. «Das glauben wir ihnen gerne», erwidern wir wiederholt. Denn der SVP schwimmen allmählich die Felle davon. Auch Bauern wenden sich immer mehr von ihr ab. Weil sie den Klimawandel spüren. Konkret gesagt: Ihnen geht das Wasser auf der Alp aus, ihre Felder vertrocknen. Und sie wissen, dass man dieses Problem nicht mit witzigen CO2- und Greta-Sprüchen lösen kann.

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Grill-Spass für (Jung und) Alt.

Der Umwelt geht es nun mal nicht gut, wie ihr im Umwelt-Dossiers eures Parteiprogramms zu erklären versucht. Es ist nicht lustig, dass bald jeder südlich von Chiasso Klimaflüchtling wird. Und es ist falsch, sich aus der Verantwortung ziehen zu wollen «weil die Schweiz nur ein kleiner Furz ist, was den CO2-Ausstoss angeht». Und es ist falsch, die Gewaltbereitschaft von Männern gegenüber Frauen herunterzuspielen.

<div style="background-color:#3dafe8;color:white;font-weight:bold;padding:10px"> Aufruf der Redaktorin</div> <div style="font-size:18px;padding:10px;background-color:#dddddd"> Als sich Roger Köppel verabschiedet, sagt er noch: «Wählt alle die SVP und sagt es allen weiter. Nein, am besten nehmt ihr gleich zehn Leute selbst mit zum Wählen.» Laut aktuellen Zahlen besuchen pro Monat 40'000 Unique Clients die Tsüri.ch Webseite. Wir sind mehr. Und ich fordere euch nun dazu auf: Wählt Politiker*innen (vor allem viele *innen), die ökologische, feministische und soziale Politik betreiben. Die für alle schauen wollen, und nicht nur für die obere Mittelschicht und alles was darüber ist. Und nehmt am besten noch 20 Freund*innen mit.</div>

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Alle Bilder: Isabel Brun

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