Francesca Albanese: «Wir beobachten in Gaza das Begräbnis humanitärer Werte»

Die Uni Bern liess sie nicht auftreten, die Stadt Zürich schon: Am Freitag sprach die umstrittene UN-Sonderberichterstatterin Francesca Albanese in der Zentralwäscherei und moderierte den Abend gleich selbst.

Francesca Albanese am Podium in der Zentralwäscherei
An dem Podium in der Zentralwäscherei wurde die Finanzwelt scharf kritisiert. Von links nach rechts: Saleh Hijazi, Carlo Sommaruga, Francesca Albanese, Melissa O'Donnell und Fadi Kassis. (Bild: Jairo N'tango)

Während mehrere Bildungseinrichtungen sie nicht einladen wollten, führte die Zwischennutzung Zentralwäscherei eine Diskussionsrunde mit UN-Sonderberichterstatterin Francesca Albanese durch. Dabei ging es um «die Rolle Schweizer Finanzinstitutionen und die rechtliche und moralische Verantwortung der Schweiz», organisiert wurde der Abend von Palestine Solidarity Switzerland.

Im Vorfeld war Stadtrat Raphael Golta, der frisch gebackene Kandidat für das Stadtratspräsidium, unter Druck geraten, das Event zu verhindern. So hatte der GLP-Politiker Ronny Siev die UN-Sonderberichterstatterin an der Ratssitzung vom letzten Mittwoch als «klar antisemitisch» bezeichnet und ein Einschreiten von Golta gefordert, wie der Tages-Anzeiger berichtete.

Als Vorsteher des städtischen Sozialdepartements ist Golta auch für die Zentralwäscherei zuständig. Das Kulturzentrum im Kreis 5 wird von der Stadt unterstützt, agiert jedoch unabhängig.

Golta lässt Albanese gewähren

Auch Walter L. Blum, Zentralsekretär der Gesellschaft Schweiz-Israel, forderte gegenüber der NZZ: «Der Anlass in der Zentralwäscherei muss abgesagt werden.» In einer E-Mail, die der Zeitung vorliege, habe Golta geantwortet: «In einem von der Stadt selbst betriebenen Veranstaltungslokal wäre diese Veranstaltung so nicht durchgeführt worden.»

Doch stoppen liess er die Veranstaltung nicht. Die Organisation «Jüdische Stimme für Demokratie und Gerechtigkeit in Israel/Palästina» kritisierte in einer Medienmitteilung den Druck, der auf die Veranstalter:innen ausgeübt wurde und «begrüsst den positiven Entscheid von Stadtrat Golta». 

Die Universität Bern hatte wenige Tage zuvor eine Veranstaltung von Amnesty International mit Albanese kurzfristig absagen lassen, weil deren «Ausgewogenheit nicht gewährleistet» gewesen sei, wie es in einer Medienmitteilung hiess. Von der US-Regierung und anderen Kritiker:innen wird Albanese immer wieder vorgeworfen, dass sie bei ihrer Arbeit nicht neutral bleibe. In der Vergangenheit gab es Antisemitismus-Vorwürfe gegen sie.

Die UN-Sonderberichterstatterin selbst zeigte sich nach der Absage der Uni Bern gegenüber dem Onlinemagazin Republik «schockiert, dass mitten im gewalttätigsten Krieg, den Israel je gegen die Palästinenser:innen geführt hat, Debatten über Palästina unterdrückt werden».

Francesca Albanese am Podium in der Zentralwäscherei
Der US-Regierung ist sie ein Dorn im Auge. Am Podium in der Zentralwäscherei gibt sich Francesca Albanese kämpferisch. (Bild: Jairo N'tango)

Albanese stellt die Fragen selbst

In der Zentralwäscherei heisst es vor Beginn des Podiums: «Wir lehnen alle Formen von Rassismus, inklusive Islamophobie und Antisemitismus ab.» Und wohl spontan ergänzte noch eine auf der Ticketseite unangekündigte fünfte Person die Gesprächsrunde – der SP-Politiker Carlo Sommaruga, von 2003 bis 2019 Nationalrat, seither Ständerat und Vorsitzender der parlamentarischen Gruppe Schweiz-Palästina. 

Nachdem Francesca Albanese zum Einstieg die zentralen Erkenntnisse ihres Berichts vorgestellt hat, moderiert sie den Abend gleich selbst und gibt auf dem Panel den Ton an.

In ihrem jüngsten Bericht mit dem Titel: «Von der Wirtschaft der Besatzung zur Wirtschaft des Genozids» geht es insbesondere um die anhaltende wirtschaftliche Zusammenarbeit internationaler Unternehmen mit Israel, ohne welche das israelische Vorhaben im Gaza-Streifen gemäss Bericht nicht möglich wäre.  

Die internationalen Investment-Giganten BlackRock und Vanguard seien die wichtigsten Investmentunternehmen, die Israel finanziell unterstützen, berichtet Albanese. Auch der norwegische Staatsfonds – der grösste Fonds der Welt – habe seit dem Oktober 2023 seine Investitionen in israelische Firmen um 32 Prozent auf 1,9 Milliarden erhöht, heisst es in dem knapp 40-seitigen Papier. 

Später ergreift Saleh Hijazi, ein ehemaliger Amnesty International Mitarbeiter und Vertreter der BDS-Bewegung (Boykottieren, De-Investieren, Sanktionieren), das Wort. Vom Deutschen Bundestag wurde diese Organisation als antisemitisch eingestuft. Hijazi spricht auf dem Podium unter anderem die Verwicklung von Tech-Unternehmen wie Microsoft und Google und Grossbanken wie Barclays mit Israel an.

«In England richten sich aktuell viele BDS-Bemühungen gegen die britische Grossbank Barclays, gegen die es auch schon im Zusammenhang mit dem südafrikanischen Apartheidregime eine BDS-Kampagne gab», sagt er. Der Schweizer BDS-Ableger hingegen hat Hijaz zufolge die UBS wegen geschäftlicher Verstrickungen auf dem Radar. Auch Albaneses Bericht zeigt auf, dass Banken wie Barclays und BNP Paribas trotz einer Herabstufung der israelischen Kreditwürdigkeit in grossem Ausmass israelische Staatsanleihen gekauft haben. Die UBS hingegen wird im UN-Bericht nicht erwähnt

Schweiz füttert israelische Kriegskasse

Wie verschiedene Recherchen zeigten, macht auch die Schweizer Regierung Geschäfte mit israelischen Rüstungsunternehmen: Erst kürzlich berichtete die Wochenzeitung WOZ darüber, wie die Schweiz Drohnen und Funkgeräte im Wert von 600 Millionen Franken vom israelischen Rüstungsunternehmen Elbit Systems gekauft hat. 

Im Artikel wird Elbit Systems, das vor allem Drohnen, Munition und Bomben herstellt, als «die wahrscheinlich tödlichste Waffenfirma unseres Planeten» bezeichnet. So füttert die Schweiz die Kasse israelischer Waffenkonzerne mit und exportiert gemäss einem SRF-Bericht auch weiterhin sogenannte «Dual-Use-Güter» im Millionenwert, die sowohl zivil wie militärisch genutzt werden können. 

Neben Hijazi, Albanese und Sommaruga sitzen noch Melissa O’Donnell und Fadi Kassis auf der Bühne. O’Donnell arbeitet an der SOAS Universität London und hat an dem UN-Bericht mitgewirkt, ist jedoch im Finanz-Jargon nicht immer sattelfest und bezeichnet ETF's fälschlicherweise als «electronically traded funds». 

Fadi Kassis ist Gründer eines Londoner Finanzunternehmens und soll stellvertretend für die Branche sprechen. Im dreiteiligen Anzug tupft er sich ruhig den Schweiss von der Stirn und reagiert gelassen, als Albanese ihn angeht: «Was zur Hölle macht ihr?» 

Dann findet Kassis selbst klare Worte: «Niemand leugnet, dass in Gaza ein Genozid stattfindet. Die Finanzwelt ist nicht naiv. Aber Gier ist ein starker Antrieb.» In der Folge spricht er sich für Strafen von Unternehmen aus, die mit dem israelischen Militär kooperieren, und fordert stärkere staatliche Regulierungen des Finanzmarkts. 

Fast den meisten Beifall in der Zentralwäscherei erhält der SP-Ständerat Carlo Sommaruga. Er darf in Erinnerungen schwelgen, wie man vor 40 Jahren eine BDS-Kampagne gegen das Apartheidregime in Südafrika geführt hat und aus dem Nähkästchen über Ignazio Cassis' Sympathien für Israel plaudern. 

Tatsächlich war der Bundesrat Mitglied und zeitweise Vizepräsident der parlamentarischen Freundschaftsgruppe Schweiz-Israel. Weiter erzählt Sommaruga, dass israelfreundliche Lobbyist:innen in Bundesbern Einfluss auf Parlamentarier:innen nehmen würden. 

Carlo Sommaruga am Palästina-Podium in der Zentralwäscherei
Erhielt immer wieder Beifall: Der SP-Ständerat Carlo Sommaruga. (Bild: Jairo N'tango)

Albanese spricht von Mafia-Zuständen

Francesca Albanese, das wird an diesem Abend deutlich, ist von Natur aus kämpferisch. So legt sie sich vom Podium aus auch noch mit den Organisierenden der Zentralwäscherei an, weil das Publikum nur gefiltert über einen QR-Code Fragen stellen darf. Erneut betont sie den massiven politischen Druck auf diesen Event, spricht von «Mafia ähnlicher Einschüchterung» und fordert das Publikum auf, nicht «Free Palestine», sondern «Free Zurich» zu rufen.

Sechs Schweizer Bildungseinrichtungen hätten ihre Anfrage abgelehnt, das Panel durchzuführen. «Von der Schweiz als Wiege des humanitären und internationalen Rechts hätte ich eine andere Reaktion erwartet. Denn wir beobachten aktuell in Gaza das Begräbnis von Neutralität und humanitären Werten», sagt sie. 

Die «Free Palestine»-Rufe gibt es zum Schluss dann doch, begleitet von einer Standing Ovation. Den Besucher:innen, die seit bald zwei Jahren die grauenhaften Bilder aus Gaza live am Handy verfolgen können, scheint es gutgetan zu haben, eine solche Diskussion und die klare Haltung der Redner:innen miterleben zu können. 

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