François Bausch: «Ein günstiger ÖV stärkt den Wirtschaftsstandort»

François Bausch hat als Verkehrsminister den kostenlosen Zugang zum öffentlichen Verkehr in Luxemburg eingeführt. Welche Folgen das hatte und wie er auf die 365-Franken-Initiative der Stadtzürcher SP blickt, erklärt er im Gespräch.

François Bausch, ehemaliger Verkehrsminister Luxemburgs, in Zürich
Er wurde als Verkehrsminister von Luxemburg weltweit bekannt: François Bausch (Die Grünen). (Bild: Kai Vogt)

Kai Vogt: Wir sitzen hier am Röschibachplatz in Wipkingen. Wer hier in den Bus oder Zug einsteigen will, braucht ein Ticket, das mindestens knapp drei Franken kostet. Finden Sie das richtig?

François Bausch: Das hängt ganz davon ab! Ich bin nicht grundsätzlich für einen kostenlosen öffentlichen Verkehr (ÖV). Entscheidend ist, welche Ziele man mit einer Abschaffung der Tickets verfolgt – und welche Voraussetzungen vor Ort bestehen.

Welche müssen gegeben sein?

Erstens braucht es ein gut ausgebautes und zuverlässiges Nahverkehrsnetz, damit die Menschen den ÖV als echte Alternative sehen. Zweitens darf ein Gratis-ÖV nicht zulasten der Qualität oder notwendiger Investitionen in Ausbau und Modernisierung gehen. Dabei ist für die Bevölkerung wichtig zu verstehen: Der ÖV ist nicht gratis, nur der Zugang dazu.

Sie haben als Verkehrsminister in Luxemburg 2020 den Gratis-ÖV eingeführt. Weshalb?

Das war nur eine von vielen Massnahmen im Rahmen der Verkehrswende. Der Grundgedanke lautet: Wir wollen Menschen bewegen, nicht Fahrzeuge. Kostenloser ÖV unterstützt dieses Ziel und ist sozial gerecht, weil er über Steuern finanziert wird. Wer mehr verdient, zahlt auch mehr. Ausserdem vereinfacht es die Mobilität enorm.

Wie meinen Sie das? 

Man kann einfach einsteigen, ohne über Tickets oder Tarife nachzudenken. Viele Menschen kommen dadurch erst in Berührung mit dem ÖV. Sie steigen ein und stellen fest, dass das ja erstaunlich gut funktioniert.  

Ist dadurch die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel gestiegen?

Zu Beginn hatten wir ein wenig Pech. Die Änderung kam am 1. März 2020 und zwei Wochen später folgte der Lockdown, sodass viel weniger Menschen den öffentlichen Verkehr nutzten. Blickt man aber auf den langfristigen Trend, sehen wir ganz deutlich, dass die Nutzung angestiegen ist. Das hat aber nicht nur mit dem kostenlosen Zugang zu tun.

Sondern?

Mit den vielen Investitionen. Es gab neue Verknüpfungen, neue Vertaktungen, neue Verkehrsmittel. Die Verkehrswende ist der Kuchen, den man backen muss, der kostenlose ÖV ist das Sahnehäubchen darauf.

Am 28. September stimmt Zürich über eine SP-Initiative ab: Die Ticketpreise im städtischen ÖV sollen mehr als halbiert werden – mit dem Ziel, die Bevölkerung finanziell zu entlasten und die Mobilitätswende voranzubringen. Befürworten Sie diese Initiative?

Ja – auch wegen des Wachstumspotenzials, das Zürich noch hat. In Luxemburg haben wir pro Tag 240'000 Pendler:innen, die von Frankreich, Belgien und Deutschland einfahren, um bei uns zu arbeiten. Ihnen einen Gratis-ÖV anbieten zu können, hat die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts gestärkt. Dies wäre in Zürich auch der Fall.

Wieso sollte Zürich nicht auch vollständig auf ÖV-Tickets verzichten?

Ich finde die Idee, nur einen Franken pro Tag bezahlen zu müssen, symbolisch attraktiv. Und bereits diese Preisreduktion würde viele Haushalte entlasten. Aber ja, natürlich könnte das auch der erste Schritt sein, bevor man den ÖV komplett kostenlos macht.

Bürgerliche befürchten Qualitätsverluste: überfüllte Züge, sinkender Komfort. Teilen Sie diese Sorge?

Nein, sofern gleichzeitig die Qualität hochgehalten wird. In Luxemburg haben wir keine Verschlechterung erlebt. Es gibt klare Regeln: Der ÖV ist dazu da, um von A nach B zu kommen – nicht, um darin Partys zu feiern oder zu übernachten. Befürchtungen wie steigender Vandalismus haben sich nicht bestätigt. Zusätzlich liegt dem Parlament nun ein Gesetzesentwurf vor, der den Ausschluss von Störenfrieden ermöglicht.

Sie halten also nichts von der Aussage «Was nichts kostet, hat keinen Wert»? 

Dann müsste man auch andere wertvolle Angebote, die der Staat stark subventioniert, kostenpflichtig machen, zum Beispiel Schule. Es ist wichtig, dass dort alle den gleichen Zugang haben, dasselbe gilt für Mobilität. Es ist heutzutage ein Grundbedürfnis der Menschen. Auf dem Arbeitsmarkt ist man verloren, wenn man nicht mobil ist. 

Und was ist mit der Kritik, dass auch Millionär:innen profitieren – und das ungerecht sei?

Ein Gegenmodell mit vergünstigtem ÖV nur für die Ärmeren oder mit höheren Preisen für Reiche wäre kompliziert und würde weniger Akzeptanz finden. Die Stärke der Idee liegt in ihrer Einfachheit und Universalität.

Der Zürcher Stadtrat rechnet bei Annahme der Initiative mit Mehrkosten von 140 Millionen Franken jährlich, die SP mit 110 Millionen.

Klar verursacht ein solcher Entscheid Mehrkosten. Doch die Frage ist, wie diese finanziert werden, womit wir bei der klassischen Umverteilungsdebatte wären. Da gibt es etliche Möglichkeiten, etwa eine spezifische, sozial gestaffelte Steuer für den öffentlichen Verkehr. In Luxemburg speisen wir einen Fonds für Infrastrukturprojekte direkt aus dem Staatshaushalt, in Frankreich finanziert eine «taxe transport» den öffentlichen Verkehr.

Wenn Sie Zürcher Stadtrat wären: Welche weiteren Massnahmen würden Sie neben einem Gratis-ÖV ergreifen?

Ich würde die Stadt noch stärker menschengerecht gestalten. Zürich hat zwar schon viel erreicht, doch auch hier wurden die letzten Jahrzehnte stark auf das Auto ausgerichtet. Mir geht es nicht darum, gegen das Auto zu sein. Aber Strassenräume müssen allen gehören – auch Fussgänger:innen und Velofahrenden. Da gibt es noch einiges zu tun.

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