Fasnachtsauftakt in Zürich – auf Beizentour mit den «11er Frösch»
Wer meint, Fasnacht gäbe es nur in Luzern oder Basel, irrt sich. Am 11. November tingelten Guggenmusiken und Schaulustige durchs Zürcher Niederdorf und feierten gemeinsam den Start in die fünfte Jahreszeit.
Schon um sieben Uhr in der Früh geht es los: In der Nähe vom Triemli versammelt sich die Guggenmusik «11er Frösch» und verwandeln sich mit Airbrush und selbst genähten Kostümen in grüne Reptilien. Ihr Ziel für heute? Zehn Konzerte in den traditionellen Beizen Zürichs, das letzte davon kurz vor Mitternacht in der Bierhalle Wolf im Niederdorf.
Zur Tradition gehört auch das ungewöhnliche Frühstück, das die «Frösche», wie sie sich selbst nennen, zelebrieren. Mit roten, grünen oder silbrig bemalten Gesichtern und den Instrumenten im Schlepptau essen sie Fondue und stossen mit Wein auf den bevorstehenden Tag an.
Dabei lachen sie über Witze wie: «Ich habe einen Tinnitus im Auge, denn ich sehe nur Pfeifen.» Aber kaum ist der Käse aus, steigt die Spannung. Um elf nach elf beginnt das grösste Ereignis des Tages: der Startschuss in die fünfte Jahreszeit.
«Spielfähig bleiben bis zum Schluss»
Das Tram bringt die 20-köpfige Gruppe zum heutigen Epizentrum der Guggenmusik – dem Hirschenplatz. Mehrere hundert Fasnächtler:innen, darunter über zehn Guggenmusiken formieren sich da und setzen Punkt 11.11 Uhr gemeinsam zu einem kräftigen Crescendo an, das den Beginn der Zürcher Fasnacht markiert. Der Brauch verbiete es, die Instrumente vor der Schnapszeit zu spielen, erklärt eine der «Frösche». Die Stimmung ist ausgelassen, der Platz gut gefüllt.
Während der Pandemie sei klar geworden, dass es sich bei dem Spektakel eigentlich um eine unbewilligte Demonstration handle, die geduldet werde, sagt ein anderes Mitglied. «Es organisiert sich Jahr für Jahr selbst, dass sich alle auf dem Platz treffen und gemeinsam die Hymne spielen.»
Seine Guggenmusik ist schon lange Teil dieser Veranstaltung: Seit 1964 gibt es die «11er Frösch». Wobei sie sich vergangenes Jahr neu gründen mussten. 2019 wurde der Verein aufgrund zu kleiner Mitgliederzahl aufgelöst.
Nach dem kollektiven Auftritt auf dem Hirschenplatz setzt die Formation ihre Reise fort. Der nächste Stopp: die Brasserie Johanniter. Der fünfminütige Fussmarsch dient als kurze Verschnauf- und vor allem Trinkpause. Wein, Bier, Prosecco oder ein schneller Whisky, auch hier sei alles erlaubt, solange die Hobby-Musiker:innen «spielfähig bis zum Schluss bleiben», so ein Fasnächtler. Noten würden die meisten von ihnen sowieso nicht lesen können – man spiele nach Gefühl.
Wurst und Guggenmusik zu Mittag
Im Johanniter servieren die beiden Kellner ihren Gäst:innen gerade Mittagessen. Heute gibt es zur Bratwurst und Rösti musikalische Begleitung der Guggen. «Jetzt wird es lustig», sagt der Kellner, als die «Frösche» mit ihren Pauken und Tubas das Lokal betreten. Sie blasen, trommeln und rasseln erneut die Melodie des Hits «Tequila». Alle 30 Sekunden hallt ein lautes «Tequila» durch das Restaurant.
«Als Nächstes spielen wir ‹Tequila› und dann gibt es erst mal etwas zu trinken!»
Tambourmajorin der «11er Frösch»
Einige Gäst:innen wippen und klatschen vergnügt im Takt, gesprochen wird nicht mehr. Vielleicht, weil ihnen die Musik so sehr gefällt und vielleicht aber auch, weil es die Lautstärke nicht zulässt. Nach fünf Liedern ist die Vorstellung beendet und die «Frösche» verlassen, noch während sie auf ihren Instrumenten spielen, die Brasserie.
Sie müssen weiter zum Sternen Albisrieden. Auf dem Weg legen sie am Central spontan noch ein kleines Konzert für die wartenden Fahrgäst:innen ein, bevor das Tram sie endgültig zur nächsten Spielstätte bringt.
«Hit The Road Jack! Eins, Zwei, Drei, Vier», ruft die Tambourmajorin durch das gut gefüllte Restaurant und die Guggenmusik setzt lautstark ein. Zuhörer:innen zücken das Handy, filmen die Darbietung. «Als Nächstes spielen wir Tequila und dann gibt es erst mal etwas zu trinken», hallt ihre Stimme durchs Lokal. Der anschliessende Applaus läutet ihre wohl verdiente Pause ein.
Für die «11er Frösch» ist der Tag noch jung. Noch nicht einmal die Hälfte aller Konzerte ist geschafft und doch sind die Lippen derjenigen mit Blasinstrumenten bereits geschwollen, als hätten sie eine Portion Botox erhalten. Nach einem strengen 11. November haben sie danach aber Pause bis Anfang März. Dann geht das bunte Fastnachtstreiben erst richtig los.
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