Erstes Clubbing-Wochenende in Zürich: Ein Flop
Die Clubs öffneten endlich wieder ihre Türen – jedoch nicht für alle. Unser Autor erzählt, wieso das Chaos bei der Ausstellung seines Impfzertifikates nicht das Einzige war, das ihm einen Strich durch die Rechnung machte.
«Es tut mir leid», sagt eine nette Stimme am Freitagabend auf der offiziellen Impfhotline des Kantons Zürich. «Wir sind ein wenig überrollt worden», erklärt mir eine andere freundliche Stimme auf der Hotline des Impfzentrums des Universitätsspitals Zürich. Es sei frühestens am nächsten Wochenende möglich, ein digitales Zertifikat auszustellen, welches belege, dass ich doppelt geimpft bin und weiter: «Versuchen Sie es bei einer Apotheke. Es muss doch sicher irgendwie möglich sein, ein solches Zertifikat zu erhalten».
Leider liegt die Person auf der anderen Seite des Hörers falsch. Denn genau das ist nicht möglich. Der Kanton Zürich und das Bundesamt für Gesundheit blamieren sich am letzten Juni-Wochenende sondergleichen. Es herrscht totales Chaos. Menschen ohne Impfung, dürfen nur mit Zertifikat (negativeses Testresultat oder doppelte Impfung) in den Clubs feiern. Doch damit nicht genug: Während Clubs wie beispielsweise das Hive offenkundig ein digitales Impfzertifikat verlangen, ist es Personen, welche vor Mai ihre erste Impfung erhalten haben, noch nicht möglich, ein solches Zertifikat ausgestellt zu bekommen.
Sobald das Klima wieder etwas besser war, präsentierte man sich als Retterin der Szene und liess die Clubs wieder öffnen, nur um dann sobald die Zahlen wieder stiegen, erneut die Clubs dafür verantwortlich zu machen.
Den Eintritt für den Club direkt bei der Pharma bezahlen
Meine einzige Chance an diesem Samstag richtig feiern gehen zu können, ist also eine Apotheke, welche digitale Covid-Zertifikate ausstellt. Doch auch da hapert es. Denn ich finde keine Apotheke, die an einem Samstag noch Antigen-Tests durchführt und danach ein Zertifikat ausstellen kann. Auf der Website des Hives werde ich auf die Website von Apodoc weitergeleitet. Freie Termine gibt es dort erst am Montag wieder. Stossend: jede:r Besucher:in ohne Impfung, macht neben dem Preis für den Eintritt nun offenbar auch gleich eine Zahlung an ein Pharmaunternehmen. Momentan zahlt diesen zusätzlichen Betrag noch der Bund. Dass Clubs Antigen-Tests anbieten oder mit Apotheken zusammenarbeiten, ist dennoch verständlich.
Mutation zum politischen Instrument
Das Thema Clubbing wurde im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie während der letzten zwei Jahre nicht selten als politische Inszenierung verwendet. Politiker:innen machten zeitweise die Clubs für den Anstieg der Infektionszahlen verantwortlich und verlangten deren sofortige Schliessung. Sobald das Klima wieder etwas besser war, präsentierte man sich als Retterin der Szene und liess die Clubs wieder öffnen, nur um dann sobald die Zahlen wieder stiegen, erneut die Clubs dafür verantwortlich zu machen.
Wirtschaftlich ein Etablissement zu betreiben, wurde den Clubs derweil stets verunmöglicht. Nun, da ich endlich Licht am Ende des Tunnels zu sehen meine, stolpert die Politik erneut auf den letzten Metern. Und es würde mich nicht wundern, wenn den Betrieben – welche als letztes öffnen durften und voraussichtlich wieder als erstes schliessen werden müssen – auch im kommenden Herbst die Mitschuld für die ansteigenden Infektionen in die Tanzschuhe geschoben würde.
Zürich als eine der reichsten Städte der Welt stellt sich bloss
Zugegeben, ob ich nun schon dieses Wochenende einen Rave besuchen kann oder erst die Woche darauf, scheint auf den ersten Blick irrelevant. Wenn es im Juli tatsächlich möglich sein sollte, sich ein Zertifikat ausstellen zu lassen, welches Privilegien mit sich bringt, habe ich bestimmt noch genug Zeit, mir die Zehen wund zu tanzen. Doch es sind genau diese Momente der politischen Inkompetenz, die ein schlechtes Licht auf die Zürcher Regierung werfen, zumal es nicht das erste Mal ist, dass eine digitale Scheinlösung während dieser Pandemie so richtig in die Hose geht.
Bedenkt man, dass Zürich einer der reichsten Städte auf diesem Planeten ist, ist es deshalb nicht zu viel verlangt, dass Zertifikate für alle Einwohner:innen des Kantons zu denselben Bedingungen beantragt werden können. Da ich bereits doppelt geimpft bin, hätte es mich auch ziemlich genervt, einen zusätzlichen Antigen-Test zu machen, nur damit ich eine Nacht durchtanzen kann.
Die Zürcher Clubkommission bleibt diplomatisch
«Auch wenn es sich um ein wichtiges erstes Signal nach Monaten der Perspektivlosigkeit handelt, bedeutet die Zertifikats-Zutrittsbeschränkung noch lange keine Normalität. Musik-Clubs sind die einzigen Orte in der Schweiz, wo eine Zertifikatspflicht besteht. Trotz der Möglichkeit sich kostenlos für das Zertifikat testen zu lassen, werden Menschen ausgeschlossenen, was der nächtlichen Kultur der Offenheit widerspricht», nimmt die Bar und Club Kommission Zürich in einer Medienmitteilung Stellung. Deren Pressesprecher Alex Bücheli rechnet für dieses Wochenende noch mit keinem grossen Ansturm, wie er gegenüber Watson verrät: «Einerseits können in dieser Schnelle nur spontan geplante Veranstaltungen stattfinden, andererseits dürften viele Nachtschwärmer:innen Mühe haben, an ein Covid-Zertifikat zu gelangen.»
Zu guter Letzt trifft eine Art von Ungerechtigkeit ein, die ich schon seit einer Dekade kenne: First come, first serve. Vielleicht war es mit den digitalen Zertifikaten ähnlich.
Riesen Ansturm auf die Zürcher Clubs
Bereits kurz vor Mitternacht reicht die Schlange vor dem Hive bis zum Viadukt. Ich schätze sie auf etwas weniger als einen Kilometer. Ich meine mich zu erinnern, dass nicht einmal an der Streetparade derart viele Menschen vor dem Club warteten. Viele haben ihre Getränke dabei, saufen, grölen und flirten während sie darauf warten, dass es endlich wieder ein Schrittchen voran geh. Damit habe ich nicht gerechnet. Wer hätte gedacht, dass letztendlich nicht das Zertifikat, sondern die schlichte Nachfrage darüber entscheiden würde, ob ich an diesem Abend clubben gehen kann?
Auch vor dem Club Klaus an der Langstrasse stehen die Gäste teilweise eine gefühlte Ewigkeit an, um feiern zu gehen. Eigentlich wäre ich bestens vorbereitet gewesen, mit den zuständigen Türstehern zu streiten. Mit meinem Impfbüchlein und den schriftlichen Bestätigungen für meine beiden Impfungen wollte ich argumentieren und sie davon überzeugen, mich in den Club zu lassen. Zu guter Letzt trifft eine Art von Ungerechtigkeit ein, die ich schon seit einer Dekade kenne: First come, first serve. Vielleicht war es mit den digitalen Zertifikaten ähnlich. Der frühe Vogel fängt den Wurm.
Gute Nacht
Tanzlokale in Zürich haben es schwer. Sie werden von der Politik regelrecht zu Pragmatismus gezwungen. Weiterhin die Türen geschlossen zu halten und in die Miesen zu rutschen oder ein Impfzertifikat zu verlangen und damit Menschen zu benachteiligen – eine Entscheidung, die ich nicht treffen möchte. Gerade weil Pragmatismus in gewisser Weise frei von Moral und Ethik ist, können die Betreibenden nur verlieren.
Die Fakten sind: gemäss dem Beschluss des Bundesrats dürfen die Clubs ab dem 26. Juni ihre Tore wieder öffnen. Wenn die Besucher:innen über ein digitales Zertifikat verfügen, dürfen sie ohne Maske in einem geschlossenen Raum feiern. Deshalb muss die Ausstellung der Zertifikate aber so schnell wie möglich optimiert werden, damit möglichst wenige Leute benachteiligt werden. Über einen Besuch am ersten Abend, an dem das Hive endlich wieder öffnen darf, hätte ich mich wahnsinnig gefreut. Es hätte an diesem Wochenende jedoch einfach nicht sein sollen. In meinem Fall war glücklicherweise nicht das Versagen der Politik dafür verantwortlich.
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