Massenkündigung

Entlassene Velokurier:innen protestieren wegen fehlendem Sozialplan

Velokurier:innen der Familie Wiesner Gastronomie (FWG) protestierten am Mittwoch gegen die verspäteten Sozialplan-Verhandlungen. Sie fordern unter anderem Abfindungen in Höhe von 24 Monatslöhnen und berufliche Unterstützung, nachdem der Lieferdienst per November eingestellt wird.

Protestaktion vor dem FWG-Restaurant Kitchen Republic an der Heinrichstrasse
Die Kurier:innen und Solidarische protestierten vor dem FWG-Restaurant Kitchen Republic an der Heinrichstrasse in Zürich. (Bild: Jenny Bargetzi)

Mehrere Dutzend Velokurier:innen haben am Mittwochmittag vor dem Zürcher Restaurant Kitchen Republic an der Heinrichstrasse demonstriert. Mit Transparenten, Reden und einem «Dienst nach Vorschrift» protestierten die Betroffenen gegen die verzögerten Verhandlungen über einen Sozialplan. Darin fordern sie unter anderem Abfindungen in Höhe von 24 Monatslöhnen und berufliche Unterstützung, nachdem die Familie Wiesner Gastronomie (FWG) den Lieferdienst per November eingestellt.

Die FWG betreibt 29 Restaurants in der Deutschschweiz und setzt jährlich 97,4 Millionen Franken um. Sie zählt zu den grössten Gastrofirmen des Landes. Mitte September kündigte die FWG an, ihren hauseigenen Lieferdienst per Anfang November einzustellen. Rund 120 Kurier:innen verlieren dadurch ihre Anstellung. Künftig sollen externe Plattformanbieter wie Uber Eats ausliefern.

Verhandlungen am zweitletzten Arbeitstag

Die Gewerkschaft Syndicom war ebenfalls an der Protestaktion anwesend und wirft der FWG vor, ihre gesetzliche Pflicht zur frühzeitigen Aushandlung eines Sozialplans zu verletzen. Erst auf Druck der Belegschaft habe sich die Unternehmensleitung zu Gesprächen bereit erklärt, sagt Dominik Fitze, Mediensprecher von Syndicom.

Diese sollen allerdings erst am 30. Oktober beginnen, zwei Tage, bevor der Dienst eingestellt wird. Dass die Verhandlungen so spät erst aufgenommen würden, sei «ein Affront gegenüber Angestellten, die über Jahre einen verlässlichen Service sichergestellt haben», heisst es in der Medienmitteilung zur Protestaktion.

Die FWG begründet den späten Termin damit, dass die Gespräche mit allen Beteiligten, inklusive einer Mediatorin, koordiniert werden mussten. Aufgrund von Ferienabwesenheiten und der Vielzahl beteiligter Parteien sei die Terminfindung nicht einfach gewesen, schreibt Manuel Wiesner, Co-Geschäftsleiter der FWG: «Uns war wichtig, dass alle relevanten Personen am Tisch sitzen, damit die Gespräche auf einer fundierten und fairen Basis geführt werden können.» Gleichzeitig weist das Unternehmen auf bereits umgesetzte Unterstützungsangebote hin, darunter Jobcoaching, Outplacement, Beratungsgespräche, Deutschkurse sowie interne Bewerbungsmöglichkeiten.

Kritik an der Einstufung als «unechte Arbeit auf Abruf»

Einige Kurier:innen kritisieren, dass sie als «unechte Arbeit auf Abruf» eingestuft werden sollen, wodurch die Lohnfortzahlung bis zum Ende der Kündigungsfrist nicht garantiert sei. Tiziano, der seit sechs Jahren für die FWG fährt, sagt: «So versucht die FWG, sich um ihre Verpflichtungen zu drücken.» Die Verhandlungen dann erst am zweitletzten Arbeitstag zu starten, seien ein Hohn. Die FWG verweist darauf, dass Arbeitsverträge auf unechtem Abruf in der Gastronomie üblich seien. «Der Landesgesamtarbeitsvertrag der Gastronomie empfiehlt explizit Arbeitsverträge auf unechten Abruf.» Das Unternehmen hätte bereits umfassende Massnahmen aufgegleist und werde im Rahmen der Sozialplanverhandlungen diskutieren, wie die Betroffenen weiter unterstützen werden könnten, heisst es weiter. 

Veloblitz Kurier:innen
Mehrere Kurier:innen des Veloblitz waren anwesend, um die Branchenkolleg:innen zu unterstützen. (Bild: Jenny Bargetzi)

Wütend, aber solidarisch

Ein weiterer Punkt, sagt Dominik Fitze, Syndicom-Mediensprecher, sei, wie die Geschäftsleitung der FWG den Entscheid umsetzt habe. «Seit Mai wurden häppchenweise Standorte geschlossen – aber immer unter der Massenentlassungsschwelle. Erst als die Angestellten Druck machten, legte die Firma die Karten auf den Tisch. Das war Salamitaktik.»

Auch andere Kurier:innen berichten von schlechter Kommunikation und Unsicherheit. Mads, der in einem 60-Prozent-Pensum arbeitet, sagt: «Die Info kam tröpfchenweise. Im Mai ging es los, im Juni wurde es klarer. Ende September erhielt ich die Kündigung. Die Art, wie es ablief, war mies.» Ein anderer Kurier fasst die Stimmung in einer Rede zusammen: «Wir sind wütend. Lange war unklar, ob wir überhaupt entlassen werden. Jetzt wissen viele nicht einmal, wie viel sie diesen Monat verdienen. Die FWG spielt auf Zeit.»

Bei der Kundgebung zeigten auch ehemalige Kurier:innen und solche anderer Betriebe wie Veloblitz ihre Solidarität. Ein Ex-Kurier sagt: «Wir sind in der Branche gut vernetzt, wenn so etwas passiert, halten wir zusammen.»

Belegschaft fordert zwei Jahreslöhne pro Kurier:in

Im Sozialplan fordern die Syndicom und die Kurier:innen eine finanzielle Abgeltung in Höhe von 24 Monatslöhnen sowie Lohnsicherheit bei internen Versetzungen, kostenlose Deutschkurse, Jobcoaching und faire Arbeitszeugnisse. Die Anforderungen seien gerechtfertigt, sagt Fitze. Denn: «Velokurier:in zu sein ist ein Beruf, kein Hobby.»

Die FWG erklärt, dass der Sozialplan Abfindungsentschädigungen enthalten werde, zusätzlich zu bestehenden Unterstützungsmassnahmen und einem Härtefallfonds von 50'000 Franken, der insbesondere Mitarbeitende mit höheren Pensen und Kindern unterstützen soll.

Die Entscheidung, künftig über Plattformen wie Uber Eats auszuliefern, begründet die FWG mit den veränderten Marktbedingungen. «Das Delivery-Geschäft ist anspruchsvoll geworden», schreibt Wiesner. «Neue, grosse Anbieter wie Uber und eat.ch haben das Marktumfeld stark beeinflusst und sind zu unverzichtbaren Lieferkanälen geworden.» Ohne diese Partner:innen würde die FWG einen namhaften Teil der Delivery-Umsätze verlieren, was wiederum Arbeitsplätze gefährden würde. Gleichzeitig, schreibt Wiesner, würde das Unternehmen die Arbeitsbedingungen der Partner:innen regelmässig überprüfen.

Die Protestaktion am Mittwoch ist Teil einer koordinierten Kampagne in Zürich, Bern, Basel und Zug. Statt wie gewohnt unter Zeitdruck zu fahren, arbeiteten die Kurier:innen im «Dienst nach Vorschrift» und hielten sich strikt an alle Verkehrsregeln. «Wir lassen uns Zeit», sagte ein Kurier. «Verzögerung ist schliesslich auch ein Grundsatz der FWG.»

Ohne Deine Unterstützung geht es nicht.

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Medien. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Mittlerweile sind 2700 Menschen dabei und ermöglichen damit den Tsüri-Blick aufs Geschehen in unserer Stadt. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 3000 – und mit deiner Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für Tsüri.ch und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 8 Franken bist du dabei!

Jetzt unterstützen!
jenny

Bachelorstudium der Psychologie an der Universität Zürich und Masterstudium in politischer Kommunikation an der Universität von Amsterdam. Einstieg in den Journalismus als Redaktionspraktikantin bei Tsüri.ch. Danach folgten Praktika bei der SRF Rundschau und dem Beobachter, anschliessend ein einjähriges Volontariat bei der Neuen Zürcher Zeitung. Nach einigen Monaten als freie Journalistin für den Beobachter und die «Zeitung» der Gessnerallee seit 2025 als Redaktorin zurück bei Tsüri.ch.

tracking pixel

Das könnte dich auch interessieren

Kommentare