Emilio*: Luzerner, Wagenbewohner und Tsüri-Member

Emilio ist der lebendige Beweis dafür, dass man auch Tsüri-Member werden kann, wenn man nicht in Zürich lebt. Tsüri-Redaktorin Isabel Brun hat den Luzerner in seinem ungewöhnlichen Zuhause besucht.

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Die Luft im umgebauten Bauwagen ist frisch: «Sorry, ich habe noch nicht eingeheizt», entschuldigt sich Emilio. Dass es am Morgen drinnen so kalt ist wie draussen, daran habe er sich bereits gewöhnt. «Dafür bin ich dann auch gleich wach», scherzt der 27-Jährige. Seit einem halben Jahr wohnt Emilio nun in diesem Zimmer auf vier Rädern. Wenn er nicht gerade am Wagen rumwerkelt, unterrichtet er als Stellvertretung Primarklassen, engagiert sich für Geflüchtete oder tanzt in Luzerner Klubs.

Zweierlei Kollektivgüter

Dass Emilio in einem Wagen und nicht im benachbarten Haus wohnt, hat verschiedene Gründe. «Erstens leben bereits viele meiner Freund*innen in umgebauten Zirkus- oder Bauwagen – mit guten Erfahrungen», sagt er, «zweitens hat sich hier die Möglichkeit aufgetan, das Leben in einem Wagen mal auszuprobieren, ohne gleich einen eigenen kaufen zu müssen.» Besagter Wagen gehört der ganzen Wohngemeinschaft des Nachbarhauses, in dem Emilio auch lange Zeit gewohnt hatte.

Es leben bereits viele meiner Freund*innen in umgebauten Zirkus- oder Bauwagen – mit guten Erfahrungen.

Emilio, Tsüri-Member

Im Frühling 2018 zog der junge Lehrer in’s Eichwäldli, wie Luzerner*innen das Haus unmittelbar neben der Allmend liebevoll nennen. Die ehemalige Soldatenstube mit angrenzendem Wohnhaus war gemäss der Stadt Luzern stark baufällig und wurde deshalb ursprünglich nur bis Ende 2018 vermietet. «Ja, das Haus ist alt, aber es ist sicher nicht unbewohnbar», findet Emilio auch heute noch. Trotzdem habe sie das städtische Bauamt draussen haben wollen – und dass, obwohl es noch keinen Plan für die weitere Nutzung des Gebäudes gegeben hatte.

Du musst nicht in Luzern in einem umgebauten Bauwagen wohnen, um Tsüri-Member zu werden!

«Eichwäldli bebt»

In Luzern sei das ein heikles Thema: «In der Stadt fehlen öffentliche Räume, wo Begegnungen stattfinden können», so Emilio. Die grosse Stube des Eichwäldlis habe sich für Veranstaltungen aller Art perfekt angeboten, erinnert er sich: «Vom Mittagstisch über gemeinsame Yogakurse bis hin zu Konzerten organisierten wir hier alles, worauf wir gerade Lust hatten. Meistens kostenlos.» Das Quartier reagierte durchaus positiv auf das Engagement des jungen Kollektivs. Nachbar*innen seien regelmässige Gäste am wöchentlichen Mittagstisch gewesen.

Das Eichwäldli ist und war für Emilio weit mehr als nur ein Dach über dem Kopf – Küche und Badezimmer benutzt er auch heute noch mit. Deshalb sei er auch bei den Versuchen der Bewohner*innen, das Haus weiterhin beleben zu dürfen, an vorderster Front mit dabei gewesen. Auch, als der Vertrag vergangenen Januar auslief und sie weiterhin im Haus wohnen blieben. «Daraufhin wurden wir total kriminalisiert», so der junge Luzerner. Zwar habe die Aktion offiziell als «Bsetzi» gegolten, die Miete hätten sie jedoch wie gewohnt auf das Konto der Stadt überwiesen.

Neben statt im Haus

«Die Stadt war zu Beginn wenig kompromissbereit», so Emilio. Erst durch das zunehmende Interesse der Lokalmedien habe sich die Baudirektion auf ein Gespräch eingelassen. Mit Erfolg: Bis auf die Soldatenstube darf das Haus auch weiterhin benutzt werden. Zwar gebe es wieder einen befristeten Vertrag, «wir müssen aber nicht mehr darum kämpfen, dass wir hier sein können, sondern WIE wir das können», sagt Emilio. Veranstaltungen, wie es sie vor einem Jahr gegeben hatte, seien allerdings nicht mehr möglich, weil die Stube als solche nicht mehr genutzt werden darf.

Also wurde kurzerhand eines der Schlafzimmer zum Gemeinschaftsraum umfunktioniert, was Emilio das Zimmer auf vier Rädern besorgte. Trotzdem sei das Leben im Wagen eine bewusste Entscheidung gewesen. «Wenn im Haus viel los ist, kann ich mich hierhin zurückziehen», sagt er. Und manchmal, da fühle es sich an wie in einem Lager, wenn der kalte Morgen ins Zelt krieche und der Gang zur Toilette doppelt abgewägt werde.

Mutig und motiviert

Bewusst einen neuen Weg einschlagen will Emilio auch kommenden Winter: «Im Februar gehe ich mit Freund*innen nach Indien.» Dass sie aber nicht einfach dahin fliegen, sondern via Autostopp und Fusswegen in den Osten gelangen möchten, liegt auf der Hand. Wie lange er weg sein wird? «Ein halbes Jahr mindestens. Vielleicht auch ein ganzes.» Nach zweieinhalb Jahren als Lehrer sei es an der Zeit für etwas Neues. Deshalb werde er auch nach der Reise nicht mehr zurück ins Schulzimmer gehen – weder als Ausbildner noch als Schüler, ist sich Emilio sicher.

Luzern hat eine solche Form von Journalismus (noch) nicht.

Emilio, Tsüri-Member

Im Journalismus mehr Erfahrungen zu sammeln, das hingegen könne er sich gut vorstellen. Nach einem Praktikum bei Nau.ch vor zwei Jahren weiss er zwar, dass News-Journalismus nicht sein Metier wird, trotzdem habe ihn den Gedanken, wieder in einer Redaktion zu arbeiten, nicht losgelassen. Mittlerweile verfasst er für Ron Orp den Newsletter seiner Heimatstadt und plant für die Plattform Veranstaltungen. «Gestern haben wir ein Public Viewing vom Luzerner Tatort organisiert – und Nau.ch hat darüber berichtet!», lacht Emilio. Der Krimi sei aber leider «wie erwartet ernüchternd» gewesen.

Bei «Tsöri ponkt ch», wie der Luzerner den Magazinnamen ausspricht, hoffe er auf weniger Ernüchterung: «Ich bin erst seit kurzem Member und mega gespannt darauf, was mich erwartet!» Events wie die Pitch Night, für welche er den Weg von Luzern auf sich genommen hatte, seien ausschlaggebend für seine Mitgliedschaft gewesen. «Luzern hat eine solche Form von Journalismus (noch) nicht», sagt Emilio. Und so nehme er auch gerne die Anfahrt von 50 Minuten in Kauf – auch, weil die Bahn Tag und Nacht zurück in seine Lieblingsstadt fährt.

*aus persönlichen Gründen wünschte sich Emilio, ohne seinen Nachnamen aufzutreten.

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