Diese Konsum-Pyramide hilft dir, weniger Arschloch zu sein
Im Hinblick auf unseren Fokusmonat Netto-Null haben wir unsere vierteilige Serie zu ungemütlichen Wahrheiten des Konsumalltags wieder aufbereitet. Das Richtige zu tun, ist gar nicht so einfach. Vor allem beim Einkaufen. Damit du es trotzdem schaffst, haben wir für dich im letzten Teil eine Schritt-für-Schritt-Anleitung zusammengestellt.
Dieser Artikel erschien ursprünglich am 17. September 2019. Anlässlich zum Start unseres Fokusmonats Netto-Null am 17. November, haben wir diesen Beitrag für einen Repost ausgewählt.
Da es sich hierbei um den letzten und lösungsorientierten Teil unserer Konsum-Serie handelt, ist es an der Zeit die ungemütliche Wahrheit auf den Punkt zu bringen: Sobald wir Supermärkte, Einkaufszentren oder Online-Shops betreten, benehmen wir uns wie rücksichtslose Arschlöcher. Zum Teil unwissentlich, zum Teil wissentlich, zum Teil willentlich unwissentlich. Klingt hart, ist aber auch nicht weiter verwunderlich. Schliesslich wurden wir in eine Welt hineingeboren, in der Konsum und Konsequenzen viel zu weit auseinanderliegen. Was wir bisher getan haben, ist erschütternd und grauenhaft, aber Schuldgefühle würden uns nicht weiterbringen. Wir dürfen uns also verzeihen, uns nachsichtig an die Hand nehmen und es in Zukunft besser machen.
Damit unser Kaufverhalten endlich unseren moralischen Überzeugungen entspricht, haben wir als Leitfaden die «Pyramide des verantwortungsvollen Konsums» zusammengestellt. Sie basiert auf der «nachhaltigen Konsumpyramide» von Smarticular, geht jedoch drei Schritte weiter. Denn wer das ganze Ausmass der Konsequenzen überblickt, für den kann «Nutze, was du hast» nicht die letzte Handlungsoption sein.
1. Nachhaltig kaufen
Nachhaltiger Konsum ist besser als nichts, aber wenn wir ehrlich sind, ist es nur das mindeste, was wir tun können. Mit dem Kauf nachhaltiger Produkte «verbessern» wir nicht die Welt, sondern minimieren vor allem den Schaden, der zwangsläufig mit dem Verbrauch von Ressourcen einhergeht. Wer das nicht verinnerlicht, läuft Gefahr ein «grüner Materialist» zu werden, sich weiterhin über das eigene Kaufverhalten zu profilieren und im schlimmsten Fall umweltfreundlich mehr zu verbrauchen – auch Rebound-Effekt genannt.
Die wichtigsten nachhaltigen Kaufkriterien sind:
- Langlebigkeit: Es gibt kaum etwas Effektiveres als die Vermeidung von Neukäufen. Dies wird möglich, wenn wir bei den Produkten, die wir kaufen müssen, auf hohe Qualität, Reparierbarkeit und Zeitlosigkeit setzen. (Doku-Tipp: «Geplante Obsoleszenz - Kaufen für die Müllhalde»)
- Sozial- und Umweltverträglichkeit: Nach wie vor werden die wenigsten Produkte unter fairen und umweltschonenden Bedingungen produziert. Wenn eine Marke ihre Sozial- oder Umweltverträglichkeit nicht explizit hervorhebt, dürfen wir vom Schlimmsten ausgehen und auf Alternativen ausweichen. (Doku-Tipps: «True Cost» & «Fairtraders»)
- Saisonalität, Regionalität und Bio: Biologische Lebensmittel sind ein absolutes Must-Do. Doch nicht alle Produzent:innen, die ökologisch landwirtschaften, wollen sich das offizielle Bio-Label leisten. Hier darf man genau hinschauen. Wer auf Saisonalität setzt, verzichtet nicht nur auf unnötige Transportwege, sondern wird sich ganz automatisch von regionalen Lebensmitteln ernähren können.
- Tierwohl: Lasst uns erwachsen werden. Glückliche Nutztiere sind – genau wie der Coca Cola Weihnachtsmann – eine Erfindung der Werbeindustrie. Das glücklichste Tier ist das Tier, das überlebt. Punkt. (Doku-Tipp «Das System Milch»)
- Lokalität: Je globaler die Marke, desto undurchsichtiger werden die Lieferketten, desto dreister die Steuervermeidungsstrategien und desto höhere Summen fliessen in die Hände weniger. Deshalb: Support your local dealer! (Lese-Tipp «Paradise Papers», Doku-Tipp: «Tomorrow»)
- Ressourcenverbrauch: Mindestens so wichtig wie die ökologische Bilanz bei der Nutzung eines Produkts, ist der Ressourcenverbrauch bei der Herstellung. Wie viel Wasser, Erdöl oder seltene Erden sind nötig? Batterien für Elektroscooter, Erdbeeren aus Spanien und selbst unser geliebter Kaffee – sie alle sind leider sehr ressourcenintensiv in der Herstellung (Doku-Tipp «Die grüne Lüge», «Sand - Die neue Umweltzeitbombe» oder "Das Kongo-Tribunal»)
Weitere Hilfestellungen:
- Lokale, saisonale und nachhaltige Einkaufsmöglichkeiten haben wir für dich in unserem Tsüri Guide zusammengestellt.
- Ein Überblick aller Labels findest du auf labelinfo.ch, die vertrauenswürdigsten haben wir hier für dich recherchiert.
- Barcodes scannen und Produkte auf umweltschädliche Inhaltsstoffe prüfen kannst du mit Hilfe der Codecheck App.
Merke: Das nachhaltigste Produkt ist immer noch das Produkt, das du nicht gekauft hast.
2. Gebraucht kaufen
Wer Second-Hand kauft, vermeidet Erstkäufe und damit die direkte Verantwortung für ausgebeutete Arbeiter:innen, in Flüsse geleitete Chemikalien oder ausgestossenes Kohlenstoffdioxid. Doch die Möglichkeit mit dem Verkauf der eigenen Kleider und Besitztümer Geld zu verdienen, macht es heute noch viel einfacher den neuestens Fashion Trends und iPhone Releasezyklen hinterher zu rennen. Unsere Wegwerfmentalität zahlt sich aus und schafft durch den Second Hand Handel neue finanzielle Ressourcen. Neu kaufen, verkaufen, neu kaufen, verkaufen – je nachdem wo und bei wem man gebrauchte Dinge erwirbt, unterstützt man genau dieses Verhalten. Natürlich sind Second-Hand-Käufe immer noch besser als Neukäufe, ein Freifahrtschein für masslosen Konsum sind sie jedoch nicht.
Second-Hand-Adressen in Zürich:
- In einem Brockenhaus der Caritas oder der Heilsarmee (Hier spenden Konsument*innen ihre Kleider)
- Auf dem Kanzlei-, Bürkliplatz- oder Bullingerhof-Flohmi
- In einem Brockenhaus bzw. Second-Hand-Laden
- Online auf Ricardo, Revendo oder Ronorp
Merke: Wenn du Second-Hand-Mode von konsumfreudigen Privatpersonen kaufst, bleibst du Teil des Problems.
3. Verschenken, Tauschen, Leihen
Besser als Second Hand sind Leihgaben oder Geschenke. Irgendjemand in unserem Freundeskreis hat mit grossen Wahrscheinlichkeit bereits den schicken Anzug gekauft, der für diese eine Hochzeit zum Einsatz kam und nun im Schrank vor sich hin vegetiert. Warum nicht leihen? Je öfter wir unsere Freund:innen nach Dingen fragen, desto stärker etablieren wir eine Tausch- und Leih-Mentalität in unserem Freundeskreis und bringen auch andere auf die Idee, an unsere Tür zu klopfen.
Leihen, tauschen und verschenken geht am besten mit:
- Deinen Freund:innen oder Nachbar:innen (pumpipumpe.ch hilft beim Vernetzen)
- Fremden auf shareley.ch oder Hätt öpper/Will öper auf Facebook
- Im Kleihd, Idastrasse 28, 8003 Zürich
- Auf Mobility oder sharoo.ch
Vorsicht: Bei geliehener Mobilität ist nicht alles so grün, wie es scheint. Auch hier gibt es den sogenannten Rebound-Effekt, sprich Konsument:innen die «umweltfreundlich» plötzlich mehr verbrauchen. Besonders deutlich wird dies beim ausufernden Elektro-Scooter-Angebot in Zürich. Mit ihrer Existenz wurde nicht nur ein Bedürfnis erschaffen, dass vorher nicht existierte, sondern auch eine Quelle für lieblosen Umgang und Vandalismus. Letzteres führt schnell zu einer negativen Umweltbilanz, schliesslich braucht es viele Kilometer damit der hohe Ressourcenverbrauch in der Herstellung ausgeglichen wird.
Merke: Teilen und Tauschen is King. Und geliehene E-Mobilität nicht zwangsläufig umweltfreundlich.
4. Reparieren, Upcyclen, Selbermachen
Wir haben doch keine Zeit für Rumgebastle – ich weiss. Doch vielleicht sollten wir das Thema aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Im Akt des Reparierens steckt eine Selbstwirksamkeit, die für kein Geld der Welt zu kaufen ist. Der emotionale Wert von Dingen wird gesteigert. Und es entsteht Geschichte. Nicht ohne Grund hat sich in Japan das Reparieren von Geschirr zu einer Kunstform entwickelt.
Falls du beim Reparieren und Selbermachen Hilfe brauchst, kannst du dich hier melden:
- In einem repair-cafe.ch
- Handydoktor, Bahnhofstrasse 106, 8001 Zürich
- Arche Zürich, Hohlstrasse 489, 8048 Zürich
- Und selbstverständlich hält auch Youtube allerlei DIY-Videos für dich bereit
5. Verzichten
«Am reichsten sind die, die auf das meiste verzichten können» sagte der Nobelpreisträger Rabindranath Tagore. Und es stimmt. Viele Menschen verwechseln Konsumfreiheit mit innerer Freiheit. Doch in einer Gesellschaft, in der wir uns früher oder später so ziemlich alles leisten können, stellt Verzicht den grösseren Befreiungsakt dar.
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Auf keinem Weg lässt sich das eigene Konsumverhalten besser transformieren, als auf einem kalten Entzug. Aus eigener Erfahrung empfehle ich einen 3-monatigen Shopping Detox – Lebensmittel ausgeschlossen. Die konsequente Pause und die damit einhergehenden Entzugserscheinungen, machen es einfacher, Abhängigkeiten zu durchschauen, neue Gewohnheiten zu etablieren und sich immer wieder die alles entscheidende Frage zu stellen: Brauche ich das oder will ich das nur? Zudem gewinnt man viel Zeit, in der man die persönlichen und gesellschaftlichen Motive reflektieren kann. Verzicht kann sich in Bereicherung verwandeln und eine Quelle für echte Freiheit sein.
Verzicht sollte jedoch nicht mit Minimalismus verwechselt werden. Beim Minimalismus geht es in erster Linie um das eigene Wohlbefinden und bei weitem nicht um Nachhaltigkeit. Aus einer Nachhaltigkeits-Perspektive macht es nämlich wenig Sinn, Besitztümer wegzuschmeissen und sich auf so wenige zu reduzieren, dass der intensive Gebrauch zu ständigen Neukäufen führt.
Merke: Am reichsten sind die, die auf das meiste verzichten können. Frag dich bei jedem Kauf: Brauche ich das oder will ich das nur?
6. Echte Alternativen finden
Wichtiger als die Frage was wir konsumieren, ist letztlich die Frage warum wir konsumieren. Habenwollen ist selten ein Selbstzweck und wer sich die wahren Beweggründe hinter Konsumwünschen eingesteht, bei dem:der erübrigen sich viele Käufe von selbst.
Oft stecken hinter dem Wunsch zu konsumieren Bedürfnisse, die man paradoxerweise mit dem Kauf von Dingen gar nicht befriedigen kann. Wenn wir uns das eingestehen, eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung. Diese liegen jenseits von Warenhäusern. Zum Beispiel in sozialen Beziehungen, in den Künsten oder in der Natur.
Merke: Vielleicht brauchst gar keine neuen Schuhe, sondern eine Umarmung von einem Menschen, den du magst.
7. Sich und andere aufklären
Die Welt ist weitaus komplizierter, als sie auf den ersten Blick scheint und es ist immer wieder erstaunlich, wie wenig man weiss, wenn man anfängt sich zu informieren. Wenn wir uns nicht mit Scheinlösungen zufrieden geben wollen und ernsthaft etwas an den Verhältnissen ändern möchten, müssen wir uns tiefergehend informieren, die grösseren Zusammenhänge verstehen und den Status Quo hinterfragen. Wie sehen die Produktionsbedingungen im Kongo tatsächlich aus? Wie funktioniert Werbung? Welche psychischen und soziologischen Faktoren prägen mein Konsumverhalten? Auf welchen Paradigmen beruht unser Wirtschaftssystem und: Gibt es Alternativen?
Wir sind da schon mal in Vorleistung gegangen:
Merke: Ich weiss, dass ich nichts weiss. Also wäre es gut, mich zu informieren.
8. Rahmenbedingungen verändern
Ja es stimmt, bis zu einem gewissen Grad sind wir als Menschen zum Konsumieren verdammt. Ganz gleich wie sehr wir leihen, tauschen, reparieren, verzichten oder verstehen: Auf gewisse Umstände haben wir als individuelle Konsument:innen keinen Einfluss. Doch es gibt einen Ausweg: Wir können die Rolle des:der Konsument:in hinter uns lassen und als Bürger:innen aktiv werden.
Ob mit Petitionen, Streiks, Demonstrationen, Engagement in Organisationen, zivilem Ungehorsam oder Volksinitiativen – der Druck auf Unternehmen und Parteien muss steigen, damit sich nicht nur Produkte und Dienstleistungen, sondern auch die Rahmenbedingungen ändern.
Konsumkritische Vereine und Organisationen sind:
- Public Eye
- Amnesty International
- Clean Clothes Campagin
- Biovision
- Transition Zürich
- Attac Schweiz
- Verein Fossil-Free.ch
- Extinction Rebellion
Merke: Auch wenn du zum Konsum verdammt bist, bleibst du in erster Linie Mensch und Bürger*in.
Oft wird über die Frage gestritten, wer denn nun verantwortlich sei – wir Konsument:innen, die Wirtschaft oder die Politik. Doch wer ehrlich zu sich ist, kennt die Antwort:
Nur wenn wir uns als Konsument:innen bereit für Veränderungen zeigen, haben Politiker:innen den Mut, Vorstösse voranzutreiben, die Unternehmen in die richtige Richtung lenken. Sind wir das nicht, verlieren sie unsere Stimme. Und damit ihren Job. Insofern ja, natürlich müssen wir Druck auf Politik und Wirtschaft ausüben – wir müssen aber auch zeigen, dass wir mit den Veränderungen leben könnten.
Diese Pyramide hilft dir hoffentlich dabei.
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