Die Stadt Zürich feiert den Stadttunnel und sich selbst

Am Donnerstag, 22. Mai, eröffnet Stadträtin Simone Brander den Stadttunnel. Dieser ermöglicht eine zügige Unterquerung des Hauptbahnhofs mit dem Velo und ist der schnellste Weg zu den Gleisen.

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Der Stadttunnel bringt die Velofahrenden noch schneller zu den Gleisen und stärkt so die effiziente und nachhaltige Mobilität in der Stadt. (Bild: Yann Bartal)

«Es ist ein Meilenstein für unsere Veloförderung», so beschreibt Stadträtin Simone Brander am Dienstag die Eröffnung des Velotunnels unter dem Zürcher Hauptbahnhof. Es ist das erste Stück Autobahn, das für den Fahrradverkehr umgenutzt wird und trägt den gewichtigen Namen «Stadttunnel».

Es kommt nicht oft vor, dass die Regierung einen Tunnel einweihen kann. Mit Simone Brander, Karin Rykart und Michael Baumer sind gleich drei Stadträt:innen anwesend, um für diesen historischen Moment Beifall zu erhalten.

Entsprechend gross ist auch das Interesse der Medien bei der ersten Befahrung des Tunnels. «Ich freue mich, im Herzen von Zürich diese zentrale Veloverbindung zu eröffnen», sagt Stadträtin Simone Brander, Vorsteherin des Tiefbau- und Entsorgungsdepartements.

Drei Rampen führen in den neuen Velotunnel

Wo Velofahrer:innen ihr Fahrrad bisher durch den Hauptbahnhof schieben mussten, verbindet nun ein Tunnel die Stadtkreise 4 und 5. Der rund 440 Meter lange Stadttunnel ermöglicht eine zügige und direkte Querung des Hauptbahnhofs. Über drei Zugänge – an der Kasernenstrasse, der Konradstrasse und am Sihlquai – erreicht man die schnellste und sicherste Verbindung zum Bahnhof.

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Karin Rykart, Simone Brander, und Michael Baumer (v.l.n.r) zeigen stolz den neuen Stadttunnel. (Bild: Yann Bartal)

Der Velotunnel ist Teil eines weitreichenden Ausbaus des Velonetzes. Innerhalb der Velostrategie 2030 plant die Stadt ein 130 Kilometer umfassendes Netz aus Velowegen. 50 Kilometer davon sollen als Velovorzugsroute umgesetzt werden, dafür hatte sich die Stadtzürcher Stimmbevölkerung im Herbst 2020 mit einer klaren Mehrheit ausgesprochen.

Bislang umgesetzt sind jedoch erst 4,3 Kilometer. Auch Brander wünscht sich, dass die Umsetzung der sicheren Velorouten schneller vorangehe. «Aber ich bin mir sicher, dass wir unser Ziel erreichen werden», so die Stadträtin.

Bei den Mitgliedern des Stadtrats herrscht an diesem Tag spürbare Heiterkeit. Nur ein vorsichtiges Bedenken bleibt: «Man kann ziemlich hohe Geschwindigkeiten erreichen», mahnt Michael Baumer schmunzelnd. Ein Selbstversuch zeigt: weniger als 30 Sekunden geht die Durchfahrt – ohne Gegenverkehr. 

Das Kernstück der Unterführung ist die neue Velostation mit Platz für rund 1240 Fahrräder, Ladestationen für E-Bikes und Abstellplätzen für Elektroroller. Diese Gratis-Parkplätze ergänzen das bestehende Bezahl-Angebot der SBB und soll die Velofahrenden näher an die Gleise führen. Ganz im Sinne einer nachhaltigen und effizienten Mobilität. 

Der Verkehrsmoloch ist gebändigt

Die Eröffnung des Stadttunnels zeigt, wie viel politischer Widerstand nötig war, um den Wandel vom motorisierten Verkehr hin zu einer umweltfreundlichen Veloinfrastruktur zu ermöglichen, wie der Mobilitätsexperte Thomas Hug-Di Lena in seiner Kolumne schreibt.

Im Jahr 1954 schlugen zwei deutsche Verkehrsexperten vor, den Hauptbahnhof zu untertunneln, beim Platzspitz einen riesigen Verkehrskreisel zu bauen und ein Y-förmiges Schnellstrassensystem zu errichten. Dieses sollte die drei Autobahnen, die nach Zürich führen, miteinander verbinden.

Der Zürcher SP-Kantonsrat Otto Nauer nannte das Projekt 1971 in der NZZ treffend einen «nicht mehr zu bändigenden Verkehrsmoloch», der wie ein Ypsilon in die Stadt eindringen würde. Wären die Pläne umgesetzt worden, würde heute eine Schnellstrasse über den Oberen Letten führen.

Die Zürcher:innen würden unter dem Schatten der Autobahn in der Limmat baden – begleitet vom ständigen Lärm vorbeirasender Autos. Die Autobahn in Richtung Bündnerland, die bereits jetzt auf über 1000 Metern Länge über die Sihl führt, würde den Fluss vollständig überdecken.

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Die Autobahn über der Sihl erstreckt sich nur auf wenige Kilometer. (Bild: Flickr)

In den 1970er-Jahren formierte sich in Zürich breiter Widerstand gegen die geplanten Autostrassen, angeführt von Studierenden und Umweltgruppen. Die Proteste reichten von Petitionen über Ausstellungen bis hin zu Tunnelbesetzungen – und führten zu zwei Volksabstimmungen, in denen die Stadtbevölkerung das Projekt mehrheitlich ablehnte. 

Pro Velo Kanton Zürich hat die Idee 2011 mit einer Petition lanciert. Dass das Projekt nun tatsächlich umgesetzt wurde, ist der bisher grösste Erfolg in der Geschichte von Pro Velo Kanton Zürich: «Der Stadttunnel zeigt, was möglich ist, wenn wir gemeinsam für Veränderung und eine gute Veloinfrastruktur einstehen», schreibt Yvonne Ehrensberger, Geschäftsleiterin von Pro Velo Kanton Zürich zur Eröffnung des Tunnels.

Eröffnungsfest mit Velo-Programm

Am Donnerstag, 22. Mai wird der Stadttunnel von Stadträtin Simone Brander für die Bevölkerung eröffnet. Es ist ein Freudentag für Brückenbauer und Widerständlerinnen. Seit Jahrzehnten ringen Stadtzürcher:innen mit gegensätzlichen Zukunftsvisionen um jeden Meter Strasse. Mit der Eröffnung des Stadttunnels trägt die Zürcher Stimmbevölkerung einen Etappensieg zugunsten der Velomobilität davon.

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Der Stadttunnel wird dereinst tausenden Velofahrenden die Durchfahrt ermöglichen. (Bild: Yann Bartal)

Nach der Eröffnung folgt die Veloparade, für die sich bereits über 1200 Personen angemeldet haben. Entlang der Strecke sorgen Foodstände, Bars, eine Fotobox, eine Veloputzstation und sogar eine Velo-Disco für Stimmung. Das Eröffnungsfest fällt mit dem Start der Cycle Week zusammen.

Der Tunnel erstrahlt in neuem Licht, blau-weisse Lamellen zieren die Decke und geben die Fahrtrichtung für die Tausenden von Fahrradfahrenden vor, die den Tunnel zukünftig befahren werden. Die Betonwände, jetzt noch makellos, werden dereinst Platz für unzählige Graffitis geben.

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