«Die Schlachtbetriebe müssen kommunizieren, was hinter den Backsteinmauern passiert»
Inmitten der Stadt Zürich wird geschlachtet – noch. Die Mietverträge mit den Schlachtbetrieben Zürich laufen spätestens im Jahr 2029 aus. Die Direktorin der Stadtentwicklung Zürich spricht darüber, was ein Schlachtbetrieb für die hiesige Landwirtschaft bedeutet und wie er sich neu positionieren muss, damit er auch in Zukunft eine Chance hat.
Über dem Bogen des Haupteingangs steht auf grauem Stein in Grossbuchstaben geschrieben: «Städtischer Schlachthof 1909». Eine Bahnhofsuhr ist unterhalb des Schriftzuges angebracht. Wenn diese zwei Uhr nachts anzeigt, nimmt das Schlachthaus an der Hardgutstrasse nahe des Letzigrunds seinen Betrieb auf: Tiere werden angeliefert, entladen, kontrolliert, eingestallt, betäubt und geschlachtet. Danach weiden Mitarbeiter:innen des Schlachthofes die leblosen Tierkörper aus, häuten sie und schneiden sie säuberlich in zwei Hälften. Rund 6800 solcher Anlieferungen zählt der Schlachtbetrieb jährlich.
Seit über hundert Jahren wird der denkmalgeschützte Bau im Westen der Stadt hauptsächlich für die Fleischwirtschaft verwendet. Hauptmieterinnen sind die Schlachtbetriebe Zürich AG (SBZ) und die Metzgerei Angst. Im Jahr 2029 laufen die aktuellen Mietverträge aus. Ob Schlachthof und Metzgerei danach weiterhin auf dem 54'600 Quadratmeter grossen Areal wirtschaften dürfen, ist unklar.
Die Stadtentwicklung ist derzeit mit den Liegenschaften Stadt Zürich, dem Amt für Städtebau, Grün Stadt Zürich, Immobilien Stadt Zürich und dem Umwelt- und Gesundheitsschutz in Erarbeitung einer Strategie, wie das Areal ab 2030 genutzt werden soll. Mittendrin ist Anna Schindler, Direktorin für Stadtentwicklung.
Urbane Lage ermöglicht regionale Produktion
Wir treffen sie an einem Dienstagabend im Stadthaus im vierten Stock. Der Haupteingang ist bereits geschlossen, die Flure leer. Seit zehn Jahren ist Schindler Direktorin für Stadtentwicklung Zürich. An einem runden Tisch spricht sie über die Nutzungsstrategie des Schlachthofareals. Dabei kommt man nicht um die Frage herum, wie es um die Zukunft der Schweizer Fleischwirtschaft steht.
Also darum abzuwägen, ob die Stadt überhaupt noch einen Schlachthof braucht. «Weil es keine Daten gibt, wie sich der Fleischmarkt hierzulande in den nächsten Jahren entwickelt und was das für den Schlachthof Zürich genau bedeutet, führten wir mit W.I.R.E, einem unabhängigen Think Thank, eine Studie dazu durch», erklärt Schindler.
Dabei stellte sich heraus, dass aus Transport- und Logistikgründen ein Schlachthof in der Stadt nicht schlechter situiert ist als einer auf dem Land: «Die Zulieferer sind kleine Betriebe aus einem Umkreis von 30 bis 40 Kilometern. Wenn es die SBZ nicht mehr gäbe, müssten die Kleinbetriebe weitere Transportwege auf sich nehmen und danach das Fleisch wieder in die Stadt transportieren», sagt Schindler.
Denn: Mehr als die Hälfte des verarbeiteten Fleisches bleibt in der Stadt und wird an die Zürcher Gastronomie sowie an den Gross- und Detailhandel verkauft. «Durch die regionale und lokale Verankerung kann sich jede Beiz ihr Fleisch nach ihren spezifischen Bedürfnissen bestellen, und so wird es nachher auch geliefert.» Die urbane Lage führt also dazu, dass eine so kundennahe regionale und lokale Produktion überhaupt möglich ist.
Schlachthof ein Mehrwert für Forschung
Die SBZ ist einer von rund 500 Schlachtbetrieben in der Schweiz und gehört mit rund 250'000 Schlachtungen jährlich zu den fünf grössten. Dass er sich nicht nur auf ein oder zwei Tiersorten spezialisiert hat, sondern alle verarbeiten kann, unterscheidet ihn von den anderen Schlachtbetrieben. Ausserdem fungiert er als Seuchenschlachthof. Somit fördere er die Vielfältigkeit der regionalen Wertschöpfungskette, sagt Schindler weiter. Andererseits sei er nicht gleichermassen marktfähig wie ein Schlachthof, der sich nur auf eine Tiersorte spezialisiert.
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Die SBZ dienen jedoch nicht nur der Zürcher Landwirtschaft, sondern auch der Forschung und Ausbildung: «Die Hochschulen sowie die Veterinärmedizin und die ETH, die mit der Metzgerei Angst zusammenspannt um andere Erzeugnisse als Fleisch zu produzieren, profitieren von den jetzigen Mieter:innen des Schlachthofareals», sagt Schindler.
Mehr Zugang, mehr Zusammenwirken
Trotzdem: Ein Schlachthof inmitten der Stadt ist umstritten. Dass die Fleischindustrie in Frage gestellt wird, wissen auch Betroffene: Die SBZ und die Metzgerei Angst wollten sich für eine Reportage nicht zur Verfügung stellen. Nachdem die SBZ für eine Auskunft auf das Buch «Fleisch für Zürich: 100 Jahre Schlachthof Zürich, 100 Jahre Metzgermeisterverein Zürich» verwies, stimmten sie nach einer erneuten Anfrage dieser Zeitung einem Telefoninterview zu, das sie jedoch kurzerhand wieder absagten.
Damit der Schlachthof eine Chance in der Zukunft hat, muss er sich neu positionieren.
Anna Schindler, Direktorin für Stadtentwicklung
Die Metzgerei Angst hingegen möchte nicht in Zusammenhang mit der SBZ erwähnt werden, da sie bis jetzt immer gute Erfahrungen damit gemacht hätten, sich nicht öffentlich zu äussern. Da sie vermehrt vegetarische und vegane Gerichte herstellten, seien sie ausserdem gar keine richtige Metzgerei mehr.
Die Involvierten schweigen. Doch vielleicht ist es genau diese Vermeidungsstrategie, diese Ungewissheit und Unsichtbarkeit der hiesigen Fleischindustrie, die gewisse Leute an der Zukunft der SBZ zweifeln lässt – zu Recht. Ähnlich sieht es auch Schindler: «Damit der Schlachthof eine Chance in der Zukunft hat, muss er sich neu positionieren.»
Konkret heisst das: Die Schlachtbetriebe müssen transparenter werden, in dem sie mehr mit der Stadtbevölkerung kommunizieren, was hinter den Backsteinmauern passiert. Zudem müsste das Areal für die Bevölkerung zugänglicher sein und mit dem Quartier zusammenwirken. Dies sei ein grosser Anspruch aus der Bevölkerung, wenn die SBZ nach 2029 das Areal weiterhin pachten dürfte, so Schindler.
Fest steht: Areal bleibt eine Gewerbezone
Die Zukunft der SBZ ist ungewiss. Fest steht bisher einzig, was auf dem Areal gebaut werden darf und was nicht: Ein Grossteil des Schlachthofareals bleibt eine Industrie- und Gewerbezone. Dies ist in der gegenwärtig geltenden Bau- und Zonenordnung auf kantonaler, regionaler und städtischer Ebene festgelegt.
«Unsere Aufgabe ist es, in der Nutzungsstrategie zu zeigen, wie wir verschiedene Bedürfnisse und Ansprüche miteinander kombinieren können», erklärt Schindler. Dabei würden sich jedoch zahlreiche Fragen stellen: «Was heisst Arbeitsplatzgebiet? Was heisst moderne Produktion? Wie geht das mit einer Schulnutzung und einem Grünraum zusammen? Welche Nutzungen lassen sich kombinieren?», zählt sie auf. Die Lösung werde eine ideale Mischform sein. Es sei jedoch unmöglich, alle Interessen zu befriedigen. Als Arbeitsplatzgebiet hingegen sei auf dem Areal sehr viel möglich. Was genau, das werde man nach 2029 genauer bestimmen können.
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