Die grosse Wiedereröffnung: Plexiglas, Desinfektionsmittel und Pfeile
Ein Schritt zurück in die Normalität: Seit dem 11. Mai dürfen Geschäfte, Cafés, Bars und Restaurants unter gewissen Vorkehrungen und Bedingungen wieder öffnen. Tsüri.ch ist bei Quartierläden und einem Café vorbeigegangen.
Gelbe Pfeile am Boden weisen den Weg, der Gegenverkehr wird in so viel Abstand wie nötig an einem vorbei geleitet. Ein erster Besuch beim Heilsarmee Brocki an der Hardbrücke seit langem. Eine Verkäuferin erzählt, dass die Stimmung der Kund*innen etwas verhalten sei und sehr ruhig. Aber die Leute würden kommen: «Kund*innen kaufen rege ein und bringen viele Dinge ins Brockenhaus.» Genügend Zeit, um auszumisten hatten viele.
Improvisierte Markierungen am Boden gehören derzeit zum Stadtbild. Das Areal rund um den Gerolds Garten hat eingangs ein zwei Spursystem eingeführt. Da ist eine Gelatispur und eine Nicht-Gelatispur, unterteilt mit Strichen in einem zwei Meter Abstand.
Rrrevovle – die Markierungen sind am Boden
Desinfektionsmittel steht am Eingang des Kleiderladens Rrrevolve an der Josefstrasse, der sich hauptsächlich auf fair produzierte Mode fokussiert, bereit und die gelb-roten Markierungen vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) kleben auf dem hellen Parkett. «Heute morgen habe ich die Markierungen auf den Boden geklebt, das war ein komisches Gefühl», sagt die Verkäuferin und fragt sich, wie lange das so gehen werde. Auch im Rrrevolve seien die Kund*innen noch etwas verhalten. Die Verkäuferin erzählt, dass jemand etwas zurückbrachte und sie es mit weit ausgestreckten Armen entgegen nahm – man wolle den Leuten schliesslich nicht zu nahe treten.
Auch eine Verkäuferin im Kleidergeschäft Streetfiles an der Badenerstrasse macht ähnliche Beobachtungen. Noch läuft nicht so viel, aber sie hätten auch erst wenige Tage offen und das Wetter lädt nicht gerade dazu ein, einen Einkaufsbummel zu machen.
Nepomuk – neues Sortiment und dann der Lockdown
Laura Frey führt mit ihrer Geschäftspartnerin Ulrike Eckardt den Kinderladen Nepomuk im Kreis 5, auf dessen Regalen aus Holz geschnitzte Kühe und Gänse, lederne Schulranzen in allen Farben des Regenbogens und Sommersandalen ausgestellt sind. Auf dem Boden sind neu Pfeile und Kreuze eingezeichnet, die zum Abstand halten ermahnen. Am Dienstag hat Laura zum ersten Mal seit dem Lockdown wieder Kundschaft bedient und das nicht etwa wie in den vergangenen Wochen per Telefon, What’s App, E-Mail oder Instagram sondern «in Echt» direkt an der Ladentheke, auf der auch das vom BAG verordnete Desinfektionsmittel bereit steht. «Ich habe mich riesig darauf gefreut. Denn ausgerechnet zum Zeitpunkt der schweizweiten Ladenschliessungen hatten wir gerade erst unser Kleidersortiment für den Sommer vollständig ausgestellt und dieses auch bereits im Voraus bezahlt», so Laura.
Vor der Wiedereröffnung sei sie ein wenig nervös gewesen und habe sich gefragt, ob denn überhaupt Kund*innen kommen werden. Diese Sorge war umsonst, denn: «Der Laden war bislang sehr gut besucht», freut sie sich am späten Nachmittag. Der Lockdown und die damit verbundenen fehlenden Einnahmen von gut zwei Dritteln hätten zwar Spuren hinterlassen, sie und ihre Geschäftspartnerin hätten dafür die Zeit genutzt, um etwa den längst geplanten Online-Shop Wirklichkeit werden zu lassen oder das Kassensystem zu überholen. «Das hätten wir sonst nie geschafft, weil uns bisher einfach immer die Zeit fehlte», so Laura. Den ganzen Lockdown durften die beiden Frauen zudem auf die Treue und Solidarität ihrer Stammkundschaft zählen, worüber sie sehr dankbar sind: «Zu Beginn haben wir befürchtet, dass wir wohl Anfangs April bankrott sind. Wir sind so erleichtert, dass dem nicht so ist.»
Café du Bonheur – neue Ära am Bullingerplatz
Chum is Bonheur, du kriegsch en Schmutz
singt das Team vom Café du Bonheur
Angst vor einem Bankrott hatte das Café du Bonheur am Bullingerplatz nicht. Die Solidarität im Team sei gross und man wirtschafte «super-gesund», so Geschäftsführer Mazen Reda. Mit dem Lockdown hat das Bonheur auch gleich eine neue Ära eingeläutet; mit neuer Küche und Abendkarte. Schön sei die Stimmung unter den Gästen: «Es geht für uns alle von vorne los, die Leute sind extrem rücksichtsvoll und geniessen es bei uns zu sitzen, sie haben wieder Luft zum atmen.» Und auch das Team sei sehr motiviert und habe Bock zu arbeiten.
Das Bonheur heisst seine Gäste nebst neuer Küche mit einem Video willkommen zurück. Das Team tanzt, spielt Szenen aus dem alltäglichen Bonheur-Leben nach und verspricht «chum is Bonheur, du kriegsch en Schmutz». Das Video habe Mitarbeiter Severin gemacht. Er sei der Kreativkopf im Team, so Mazen. Teilweise hätte ihn der Videodreh etwas gestresst, immer wollte er filmen, dabei war Mazen vollkommen mit dem neuen Konzept, Pläne schreiben und der Wiedereröffnung beschäftigt gewesen. Aber als er das Resultat sah, war er begeistert. Auch die Gäste hätten Freude und fänden es witzig – es passe zum Bonheur.
Ars Imago – Schlange stehen für Fotos
In Restaurants und Cafés dürfen Gruppen von maximal vier Personen an einem Tisch sitzen und zwischen den Tischen muss ein Abstand von zwei Metern eingehalten werden. In Geschäften wird die erlaubte Anzahl Menschen im Laden aufgrund der Fläche berechnet. Vor dem Fotogeschäft Ars Imago stehen Leute Schlange. Die Ladenfläche ist klein, maximal zwei Kund*innen und zwei Verkäufer*innen dürfen gleichzeitig im Laden sein. Immer mehr Menschen gesellen sich zur Schlange und warten auf den Einlass.
Am Dienstag öffnete das Fotogeschäft zum ersten Mal seit dem Lockdown wieder die Türen. Der Verkäufer freut sich über die Kundschaft und es sei alles normal soweit, ausser, dass sie durch eine Plexiglasscheibe mit der Kundschaft sprechen.
Ob die Leute, die in der Schlange stehen, ihre Corona-Erlebnisse während des Lockdowns fotografisch festgehalten haben und diese nun entwickelt haben wollen? Um eines Tages den Enkelkindern das Album aus dem Jahr 2020 zu zeigen, mit dem Titel «Als das Leben deiner Grosseltern von Pfeilen und Desinfektionsmittel geleitet wurde»?
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Bevor Lara zum Journalismus kam, hat sie eine Lehre als Innendekorateurin nicht abgeschlossen, die Handelsmittelschule gemacht, in der Gastro gearbeitet und in der Immobilienbranche Luft geschnuppert. Durch ein Praktikum beim Radio Rasa in Schaffhausen fand sie zum Journalismus. Daraufhin folgte ein Kommunikations-Studium an der ZHAW, gefolgt von einem Praktikum bei Tsüri.ch und eines beim Tages-Anzeiger. Seit 2020 schreibt Lara für Tsüri.ch, seit 2023 ist sie in der Geschäftsleitung.