Die Familie Senn und ihr Kult-Karussell am Knabenschiessen

Charles und Riccardo Senn betreiben gemeinsam die Swing-Up-Bahn am Knabenschiessen. Die Familie ist schon seit fünf Generationen im Geschäft und lässt dabei keine Chilbi aus. Am grössten Zürcher Volksfest geben sie Einblick in das Leben und die Herausforderungen der Schaustellerei.

Familie Senn Knabenschiessen Chilbi
Auch dieses Jahr sind Riccardo und Charles Senn mit ihrer Swing-Up am Knabenschiessen. (Bild: Minea Pejakovic)

Auf dem Festgelände am Albisgüetli ruht die Swing-Up am Donnerstagmorgen noch still auf dem Boden. Die Betreiber, Charles und Riccardo Senn, haben die Vorbereitungen bereits abgeschlossen und warten nun darauf, dass das Knabenschiessen losgeht. «Wir sind startklar – nur der Ticketschalter sieht noch aus wie ein Saustall», erklärt Riccardo Senn.

Er führt gemeinsam mit seinem Grossvater Charles das Schaustellergewerbe, das schon seit über fünf Generationen in der Familie liegt. Bei der Frage nach dem Geheimnis, wie sie das Geschäft so lange am Leben halten, schauen sich beide kurz nachdenklich an. Riccardo Senn antwortet dann, «guter Zusammenhalt» und Charles ergänzt mit «direkte und offene Kommunikation ist wichtig». 

Das eingespannte Duo bereist mit ihrer Swing-Up unzählige Chilbis in der gesamten Schweiz und sorgt so für glänzende Kinderaugen. Ein besonderes Highlight ist dabei immer der Besuch des Knabenschiessens, denn das Fest zählt zu ihren liebsten Ausstellungsorten und ist mit vielen Erinnerungen verbunden.

Kindheit zwischen Fahrgeschäften und Chilbiständen

Charles Senn wurde als Junge von seinem Grossvater ins Chilbi-Leben eingeführt. Im Alter von zehn Jahren war er zum ersten Mal am Knabenschiessen. «Damals betrieben wir eine Schiessbude und hatten ein Karussell und ein Riesenrad im Angebot», sagt der heute 82-Jährige.

Einige Jahre später begeisterte Charles Senn die Chilbibesucher:innen zusätzlich als Töff-Entertainer. Er fuhr zusammen mit einem Kollegen im Inneren einer zehn Meter grossen zylinderförmigen Arena an den fünf Meter hohen Steilwand entlang. Mit seiner Darbietung landete er sogar im Schweizer Fernsehen.

Diese Motorrad-Performance, heute auch als «Wall of Death» bekannt, birgt ein enormes Risiko abzustürzen oder herausgeschleudert zu werden auch Charles Senn hatte drei schwere Unfälle. Im Jahr 1968 war dann Schluss, als seine Tochter zur Welt kam. Seine Ehefrau wollte nicht, dass er sich weiter in Gefahr bringt.

In der Folgezeit legte sich die Familie eine Go-Kart-Anlage zu, die auch am Knabenschiessen ausgestellt wurde. Sechs Jahre später folgte dann die Swing-Up. Das Fahrgeschäft hat sich bewährt, denn die Swing-Up ist bei den Besucher:innen immer beliebt geblieben. Heute hat das schwungvolle Karussell Kultstatus.

Fortan widmete er sich dem Schaustellerleben und setzte die Tradition fort, indem er seinen Enkel Riccardo von Fest zu Fest mitnahm. Riccardo Senn, der im Seefeld aufgewachsen ist, war dadurch als kleiner Junge auch regelmässig an der Chilbi des grössten Zürcher Volksfestes. Beim Schiesswettbewerb nahm er nur einmal teil – für den Schützenkönig-Status reichte es damals nicht. «Ich habe aber, wenn ich mich recht erinnere, als Trostpreis einen Gutschein für ein ZKB-Konto erhalten», erzählt er schmunzelnd.

Familie Senn Knabenschiessen Chilbi
Die Swing-Up kurz zählt am grössten Zürcher Volksfest zu den Klassikern. (Bild: Minea Pejakovic)

Als Kind verbrachte Riccardo Senn jede freie Minute mit seinem Grossvater. Zuckerwatte essen und Bahnen fahren – «eine Kindheit wie im Traum», wie er sagt. Für den gebürtigen Zürcher war es damals schlichtweg Alltag. In der Schule konnte er als Enkel eines Schaustellers bei seinen Mitschüler:innen richtig punkten. Einmal bat er seinen Lehrer, mit der Klasse die Chilbi am Bellevue zu besuchen, wo sein Grossvater gerade die Swing-Up ausstellte. «Den nächsten Tag verbrachten wir dann auf der Chilbi», erinnert sich Riccardo Senn. «Gratis, natürlich», wirft sein Grossvater lachend ein.

Mit Herzblut durch Herausforderungen

Im Gegensatz zu seinen Eltern war Riccardo Senn früh klar, dass er das Geschäft irgendwann mal weiterführen möchte. Sein Vater kam nicht aus einer Schaustellerfamilie und dass die Mutter, Charles' Tochter, das Geschäft alleine übernimmt, kam für sie nicht infrage. «Es ist Schwerstarbeit», erklärt Riccardo. Gleichzeitig merkt er auch an, dass es eine männerdominierte Branche ist und dies wahrscheinlich auch eine Rolle gespielt haben könnte.

«Wir brennen für das Schaustellerleben.»

Riccardo Senn, Schausteller

Deshalb kam es so, dass Riccardo nach Abschluss seiner Lehre ins Familienunternehmen eingeschleust wurde. «Früher unterstützte ich meinen Grossvater, inzwischen bin ich auf seine Hilfe angewiesen», sagt Riccardo Senn und stupst seinen Grossvater an, während dieser nickend bestätigt.

Das Leben auf der Chilbi hat aber auch manchmal seine mühsamen Seiten. So gibt es beispielsweise keine freien Wochenenden und während der Saison leben beide oft in einem Wohnwagen. Doch insbesondere die Bürokratie macht den beiden Schausteller zu schaffen. Das wiederkehrende Ausfüllen von Formularen, das Einholen von Bewilligungen und die endlosen Abklärungen seien manchmal zermürbend. «Damals war alles mit einem Handschlag geregelt, heute geht das natürlich nicht mehr», sagt Charles Senn. Der Senior nimmt die Entwicklung mit Humor – eine Eigenschaft, die einem in dem Geschäft durch den Alltag hilft.

Generell lassen sich die beiden von solchen Ärgernissen nicht aus dem Konzept bringen. Denn in ihrer Arbeit steckt viel Herzblut. «Wir zwei brennen für das Schaustellerleben», sagt Riccardo Senn.

Für seinen Grossvater gibt es derweil nichts Besseres, als den Moment, in dem Kinder mit strahlenden Augen und grossem Lächeln auf die Swing-Up zurennen. «Für unseren Beruf muss man auch ein wenig Idealist sein», merkt Riccardo an. Denn reich werde man mit dem Schaustellersein heute nicht mehr.

Nach dem Knabenschiessen haben Charles und Riccardo Senn noch einige Termine vor sich, bevor es in die wohlverdienten Ferien geht. Während es den Enkel in die Wärme zieht, sucht der Grossvater die Ruhe in den Bergen.

Im Frühjahr beginnt das Geschäft dann von Neuem. Doch vorerst kreist die Swing-Up ihre Runden am Knabenschiessen. Pünktlich um 10.00 Uhr ertönt es heute aus den Lautsprechern des Kult-Karussells: «Alle einstiegen!»

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