Dave Durner über die «Velostadt» Zürich

Fast 20 Jahre lang war Dave Durner Geschäftsführer der Pro Velo Kanton Zürich. Was ihn als «Mister Pro Velo» am meisten gefreut bzw. geärgert hat und mit welchem Aspekt des Velofahrens er ab Juli in seinem neuen Job zu tun haben wird, erzählt er im Gespräch mit Nicole Soland.

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Text: Nicole Soland / P.S. Wochenzeitung

Nicole Soland: Sie fingen im Dezember 2000 als Geschäftsführer bei Pro Velo Kanton Zürich an: Was hat Sie damals an diesem Job gereizt?

Dave Durner: Schwer zu sagen – eigentlich bin ich ja dazu gekommen wie die sprichwörtliche Jungfrau zum Kinde. Es gab damals eine Abstimmung über das Strassengesetz, bei der es darum ging, ob der Kanton weiterhin Geld fürs Velo ausgeben sollte oder nicht. Ich arbeitete bereits als Freiwilliger für die Pro Velo, und so fragte mich ein Vorstandsmitglied, der heutige Zürcher Finanzvorstand Daniel Leupi, an, ob ich Lust und Zeit hätte, während dreier Monate in einem 20- bis 30-Prozent-Pensum als Co-Kampgnenleiter zu arbeiten. Ich sagte zu – und genoss es: Ein lässiger Job in einem guten Umfeld, das gefiel mir. Der Zufall wollte es, dass unmittelbar nach der gewonnenen Kampagne der damalige Geschäftsführer kündigte. Ich bewarb mich als Nachfolger und wurde zuerst als Co-Geschäftsführer und schliesslich als alleiniger Geschäftsführer eingestellt.

Hatten Sie beruflich zuvor schon mit Velopolitik zu tun gehabt?

Nein, überhaupt nicht. Ich habe ursprünglich Koch gelernt, mich später zum Ernährungsberater weitergebildet und arbeitete als solcher in einem Spital. Mein Arbeitsumfeld war entsprechend hierarchisch aufgebaut, und damit hatte ich zunehmend Mühe. An meiner neuen Stelle bei Pro Velo hingegen hatte ich viele Gestaltungsmöglichkeiten, und ich fühlte mich gleich am richtigen Ort. Ich war zuvor schon stets mit dem Velo unterwegs gewesen, und nun gehörte es gewissermassen zum Job.

In die Velopolitik arbeiteten Sie sich somit «on the job» ein?

Am Anfang hatte ich mit Politik relativ wenig zu tun: Mein Aufgabengebiet umfasste hautpsächlich die Administration sowie die Organisation der Velobörsen und der Velofahrkurse. Mein erstes grosses politisches Projekt stellte sich im Nachhinein als das «treuste» heraus, das mir obendrein am meisten Freude wie auch am meisten Frust bereitete: 2003 reichten wir die Petition für eine velofreundliche Langstrasse mit 11000 Unterschriften ein. 17 Jahre später ist es bekanntlich immer noch nicht möglich, legal mit dem Velo von der Langstrassenunterführung in Richtung Helvetiaplatz zu fahren. Jetzt ist zwar endlich die Kanonengasse ausgeschrieben, aber da regen sich – zu Recht! – die Fussgänger*innen auf, weil es für sie nicht mehr Platz gibt, dafür eine Abbiegespur für die Autos.

Fangen wir trotzdem mit den Highlights Ihrer fast 20 Jahre bei Pro Velo an: Was ist Ihnen besonders gut gelungen, worauf sind Sie stolz?

Wie gesagt: Die Langstrasse... Da haben wir wirklich gespürt, wie sehr das Thema die Leute bewegt. Wir haben die 11000 Unterschriften innert kürzester Zeit gesammelt, und die entsprechende Motion, die Daniel Leupi im Gemeiderat einreichte, ging glatt durch. Eine lustige Aktion waren übrigens die Piktogramme, die wir damals – extra mit wasserlöslicher Farbe! – auf die Langstrasse aufmalten: Da es im Hitzesommer 2003 nie regnete, blieben sie ziemlich lange erhalten... Im Polizeidepartement von Esther Maurer (SP) überlegte man sich deshalb, Anzeige gegen mich zu erstatten, lies es dann aber bleiben.

Die Langstrasse als Highlight? Echt?

Es war nun mal das Thema, das mich am längsten begleitet hat, im Positiven wie im Negativen, erst kürzlich wieder wegen des Knotens Lang-/Lagerstrasse. Doch bei der Langstrasse habe ich eben auch zum ersten Mal gemerkt, dass das Velo und sichere Velorouten Themen sind, die den Menschen wirklich unter den Nägeln brennen. Das hat sich in all den Jahren nicht geändert. Die Motivation, sich fürs Velo einzusetzen, war und ist somit stets gegeben.

Es wird uns ab und zu vorgeworfen, wir würden die Velorowdys verteidigen…

Dave Durner

Worauf blicken Sie ausserdem gern zurück?

Auf die Velofahrkurse. Hier haben wir bei den Kindern und Jugendlichen über die Jahre hinweg stets einen Zuwachs gehabt. Daneben machten wir ab und zu spezielle Kurse, beispielsweise für Flüchtlinge, wobei diese Kurse sehr personalintensiv und kaum zu finanzieren waren. Spezielle Kurse für Jugendliche, letztes Jahr beispielsweise in der Grünau, sind hingegen ein Erfolg. Auch mit dem Tiefbauamt zusammen haben wir schon Angebote für Schulen realisiert. Diese Projekte sind etwas vom besten überhaupt, finde ich: Erstens kann man so Menschen fürs Velofahren begeistern, zweitens kommt man an Menschen heran, denen man sonst kaum begegnen würde, und drittens gibt es uns ein gutes Bild in der Öffentlichkeit.

Das hat Pro Velo doch sowieso?

Na ja, es wird uns ab und zu vorgeworfen, wir würden die Velorowdys verteidigen... Dabei machen wir das gar nicht – wir beschränken uns einfach nicht darauf, sie nur zu verurteilen.

Aber in letzter Zeit gibt es sowieso mehr Positives zu berichten als auch schon?

Ja, über den Bundesbeschluss Velo beispielsweise, der mit über 70 Prozent Ja-Stimmen angenommen wurde. Er ist zu einem rechten Teil auf dem Mist von Pro Velo Zürich, Pro Velo Bern und vom 'Velojournal' und dessen Chefredaktor Pete Mijnssen gewachsen. Wir haben mehrmals bei Pro Velo Schweiz angeklopft, doch der damalige Präsident Jean-François Steiert war erst skeptisch. Dann bewirkten wir einen Beschluss der Delegiertenversammlung, die Sache kam ins Rollen, und wir erreichten einen wichtigen Meilenstein.

Was konnten Sie beim leidigen Thema Infrastruktur erreichen?

Mitte der 2000er-Jahre basierte unser Engagement für eine bessere Veloinfrastruktur noch auf Arbeitsgruppen, die mehr oder weniger oft Zeit hatten, bei Stadt und Kanton vorstellig zu werden und sich einzubringen. Also beschlossen wir, jemanden zu suchen, der dies auf unserer Geschäftsstelle professionell anpacken sollte. Als erste und bis heute fast einzige Pro Velo in der Schweiz stellten wir mit Monika Hungerbühler eine Fachfrau für Infrastruktur und Planung an. Das hat uns als Fachorganisation extrem Aufwind gegeben, aber auch Anerkennung von Planer*innen- und Behördenseite: Man weiss seither, dass die Leute von Pro Velo Kanton Zürich nicht irgendetwas daherreden, sondern dass sie sich auf fundiertes Fachwissen berufen können.

War der Versuch, aus der Scheuchzerstrasse temporär eine Velostrasse zu machen, eigentlich Ihre Idee?

Auch dazu bin ich wie die Jungfrau zum Kinde gekommen: Vier Erben meldeten sich bei uns und erklärten, sie hätten 10000 Franken und eine Idee für ein Projekt, das wir durchführen sollten. Wir entgegneten, wir nähmen das Geld gern, hätten aber eine bessere Idee (lacht). Wir konnten die Erben von unserer Velostrassenidee überzeugen und gingen damit zur Stadt, und die Stadt brachte sie beim Bund vor. So entstanden die Pilotprojekte, die dereinst, also hoffentlich bald, ins Strassenregelwerk einfliessen werden. Das Velostrassenprojekt an der Scheuchzerstrasse wurde übrigens ziemlich genau so umgesetzt, wie wir es vorgeschlagen hatten. Wir hätten lediglich ein paar weitere Parkplätze abgebaut.

Was versprechen Sie sich von der Veloinitiative der SP, über die in der Stadt Zürich am 17. Mai abgestimmt wird?

Wir unterstützen sie selbstverständlich, doch ehrlich gesagt finde ich es schon seltsam, dass der Stadtrat dafür ist: Die 50 Kilometer Veloschnellrouten, die die Initiative fordert, könnte er auch einfach umsetzen. Dafür braucht es keinen weiteren Vorstoss.

Alles, was es braucht, ist da, es ist klar, was die Bevölkerung will, nämlich bessere Bedingungen fürs Velo und für die Fussgänger*innen, und es passiert – nichts.

Dave Durner

Damit kommen wir zu dem, was Sie geärgert hat.

Der ganz grosse Frust ist dies: Wir haben in Zürich eigentlich alles, um vorwärts zu machen mit dem Fuss- und Veloverkehr. Wir haben die Mehrheit in der Exekutive und in der Legislative, wir haben diverse gewonnene Abstimmungen zum Thema sowie die gewonnene Städteinitiative, wir haben einen 120-Millionen-Kredit... Alles, was es braucht, ist da, es ist klar, was die Bevölkerung will, nämlich bessere Bedingungen fürs Velo und für die Fussgänger*innen, und es passiert – nichts. Und das Gemeine daran ist dies: Egal, ob man Politiker*innen von SP, Grünen, Grünliberalen oder uns von Pro Velo fragt, woran es denn liege, dass es nicht vorwärts geht – wir wissen es nicht. Fest steht bloss, dass viel mehr möglich wäre.

Wie denn?

Ich denke, es bräuchte mehr Mut. Es bräuchte jemanden wie Ursula Wyss in Bern, die als SP-Exekutivmitglied auch mal einen Konflikt suchte, austrug und durchstand. Wenn ich zurückdenke, waren wir bei der früheren grünen Tiefbaudepartementsvorsteherin Ruth Genner viel zu lange viel zu nett: Wir hätten mehr fordern müssen. Vielleicht fassen wir deshalb den heutigen Vorsteher Richard Wolff von der AL eher etwas zu hart an... Auf Kantonsebene hat die Koordinationsstelle Veloverkehr, die übrigens auch auf Initiative von Pro Velo entstand, leider null Einfluss auf Planungen, bei denen jemand aus der Veloperspektive mitreden können müsste. Stattdessen muss sie sich damit begnügen, das Velofahren mit reinen Marketingmassnahmen zu fördern.

Kleinere Früste gab es sicher auch?

Ja, schon erwähnt habe ich den Knoten Lang-/Lagerstrasse: Da mahnten wir bereits 2011, dort sollte man früh und umsichtig planen. Stattdessen kam eine völlig verbockte Planung heraus – und obendrein wurde nicht mal das gebaut, was in den Plänen stand. Das war der Grund, weshalb wir nebst den üblichen Einsprachen auch noch eine Aufsichtsbeschwerde machen mussten. Sie ist acht Monate später übrigens noch nicht beantwortet. Solche Beispiele gibt es leider zuhauf. Am Bellevue etwa ist mit dem Umbau nicht wirklich viel Gescheites fürs Velo umgesetzt worden. Auf der Fahrt auf dem Veloweg via Katzensee nach Regensdorf muss man immer noch bei jeder Kreuzung hohe und steile Randsteinkanten runter und wieder rauf fahren. Zudem dauert es dort ewig, bis die Velos Grün haben, während einem die Autos in die gleiche Richtung schon längst mit 60 km/h um die Ohren fahren. Oder man stelle sich vor, mitten in einer Autofahrbahn würde ein Kandelaber stehen: Undenkbar! Kandelaber mitten auf dem Veloweg hingegen sind auch anno 2020 noch eine Tatsache.

Dabei haben sie keine Ahnung, dass sie keine Ahnung davon haben, wie gute Veloinfrastruktur aussehen müsste.

Dave Durner

Sie haben mal im Blog von Pro Velo geschrieben, die Verantwortlichen für die Veloinfrastruktur seien «unfähig und unwillig»...

Stimmt, und dazu stehe ich heute noch. Es gibt einfach zu viele, die meinen, sie machten es gut. Dabei haben sie keine Ahnung, dass sie keine Ahnung davon haben, wie gute Veloinfrastruktur aussehen müsste.

Das Thema «Velorowdys» haben Sie erst kurz angesprochen: Zeitweise wurde im 'Tagi' alle paar Wochen über die Rowdys geschimpft, und Sie mussten Stellung nehmen... ein Dauerfrust?

Dieser tägliche Kleinkrieg hat sich in Zürich in letzter Zeit etwas gelegt. Grundsätzlich nerven mich die Rowdys auch. Andererseits setzten wir vor ein paar Jahren einen Preis von 1000 Franken aus für den/diejenigen, der/die beweisen kann, dass Velofahrer*innen mehr Regeln verletzen als andere Verkehrsteilnehmer*innen. Die 1000 Franken sind immer noch auf unserem Konto... Kein Wunder: Wann haben Sie letztmals ein Auto rechts blinken gesehen? Natürlich macht es einen mit der Zeit müde, aber andererseits gibt es in jedem Job Sachen, die keine Begeisterungsstürme auslösen. Ich habe vier Büroumzüge miterlebt. Im Büro an der Zollstrasse wurde eingebrochen und obendrein Feuer gelegt. Einmal wurde uns an einer Velobörse viel Geld gestohlen. Solche Sachen sind extrem mühsam – das hat mich mehr gestresst als verbale Anwürfe: Wenn ich das Büro verlasse und eine 20-minütige Velofahrt später zuhause ankomme, habe ich einen gut gelüfteten, freien Kopf.

Dann könnten Sie doch auch bei Pro Velo bleiben...

Ich bin 50, das heisst, wenn ich nochmals wechseln will, muss ich es langsam tun. Eine Kollegin machte mich auf ein Stellenangebot aufmerksam, ich bewarb mich, und im Juli übernehme ich nun die neue Stelle des Projektleiters Velosicherheit in der Dienstabteilung Verkehr des Sicherheitsdepartements der Stadt Zürich. Ich freue mich sehr darauf, das Thema Velo mal aus einer anderen Perspektive zu bearbeiten – und natürlich vor allem darauf, konkret etwas bewirken zu können.

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