Das Leben hier fühlt sich doch ganz anders an!
Benjamin von Blomberg ist einer der beiden Intendanten am Schauspielhaus Zürich. Als er vor einigen Wochen das Video von der SVP zur Begrenzungsinitiative sah, wollte er persönlich darauf reagieren. Das hier ist das Resultat.
Text: Benjamin von Blomberg
Ich möchte von einem persönlichen Eindruck berichten. Auch wenn ich davon ausgehe, dass ich Euch, den Tsüri-Leser*innen, ohnehin aus der Seele sprechen und nichts Neues erzählen werde. Noch dazu lebe ich erst seit knapp zwei Jahren in Zürich. Und ich bin Deutscher. Dennoch würde ich für mich in Anspruch nehmen: Die Zeit hat genügt, um die Vielfalt dieses Landes zu erleben.
Von Anfang an war es mir wichtig, die Schweiz und Zürich so gut wie möglich kennen zu lernen – und die Menschen, die hier leben. Als einer der beiden Intendanten am Schauspielhaus Zürich ist das auch mein Job. Aber es ist auch eine Geisteshaltung. Und es macht mir schlicht Spass. Ich bemühe mich, offen auf Alle zuzugehen, ich sauge andere Eindrücke, andere Gedanken, andere Geschichten auf.
Als ich vor einigen Wochen von der Begrenzungsinitiative der SVP hörte, die Plakate und Videoclips sah, war ich schockiert. Und nicht nur, weil mit Ressentiments geladene und rassistische Weltbilder immer wieder aufs Neue schockieren, schockierend durchsichtig, schockierend unvisionär, schockierend menschenverachtend sind (und eben schockierende Videoclips und Plakate hervorbringen). Aber dass derart unverschämt allen ein X für ein U vorgemacht wird? Die Einschränkung unserer Freiheit wird allen Ernstes als Fortschritt verkauft, und eine autarke Insel Schweiz als zukunftsfähiges Szenario skizziert. Dabei wäre ein simpler Reality Check angebracht gewesen. Es hätte genügt, die Schweiz mit offenen Augen zu betrachten, um innezuhalten.
Denn das Leben hier fühlt sich doch ganz anders an!
Das Ansinnen der Begrenzungsinitiative der SVP richtet sich im Kern gegen all das, wofür in meiner Wahrnehmung die Stadt Zürich und die Schweiz insgesamt längst stehen: Ein kosmopolitisches, weltoffenes Land, das stolz ist auf seine Internationalität und globalen Beziehungen. Ein Land, mitten in Europa, freundschaftlich verbunden mit seinen Nachbar*innen. Ein Land, das mich eingeladen und willkommen geheissen hat. Es ist das Land, in dessen diverser Gesellschaft ich mich wohl und zugehörig fühle - unter Schweizer*innen und Menschen von überallher. Und ich spreche von einem verführerischen und flirrenden Hier und Jetzt. Es ist eine tagtäglich verwirklichte und verbindende Lebensqualität einer Schweiz der Vielen.
Am Schauspielhaus hat sich ein Abbild dieser Schweiz der Vielen formiert. Neben meinem Co-Intendanten Nicolas Stemann und mir ist es eine Gruppe von sieben Hausregisseur*innen, deren Namen ich kurz nennen möchte: es sind Leonie Böhm, Alexander Giesche, Suna Gürler, Trajal Harrell, Yana Ross, Christopher Rüping und Wu Tsang. Dazu kommen 35 Darsteller*innen, nicht minder divers als Konstellation, interdisziplinär, vielsprachig, um Partizipation bemüht, mutig und voller Tatendrang für ein Theater und ein Zusammenleben von morgen. Unser Wunsch ist es, Anteil zu haben am Leben hier in der Schweiz.
Und deswegen schreibe ich Dir. Auch wenn die Prognose klar ist und, wie die Umfragen voraussagen, die Initiative krachend scheitern wird. Und sich abermals zeigt: Eine breite gesellschaftliche Mehrheit hat in den vergangenen Jahren dafür gesorgt, die SVP zu entzaubern.
Mir ist dennoch nicht ganz wohl zumute. Das liegt sicherlich auch daran, dass ich nicht stimmberechtigt bin, um selbst laut und deutlich «Nein» zu sagen.. Aber Du kannst das. Und Du musst es weiterhin tun. Ich habe mir sagen lassen, auch in der Schweiz gab es schon Abstimmungen, in denen das Gefühl: Das kommt eh nicht durch – dazu führte, dass vor allem die abstimmen gegangen sind, die wollten, dass es durchkommt. Daher: wenn Du darfst und wenn Du es nicht bereits brieflich getan hast, – liebe*r Seelenverwandte*r, stimm’ ab. Bitte. Da in der Stadt Zürich am Wochenende aufgrund von Corona nur zwei Stimmlokale offen haben, befürchte ich, dass weniger Menschen abstimmen gehen. Ich hoffe sehr, dass das nicht so sein wird!
Ich selbst will währenddessen weiterhin von der Schweiz der Vielen erzählen. Unser Programm wird sich immer auch an diese Schweiz, an die ganze Schweiz richten.
Ich bin glücklich, hier zu sein. Mit Euch allen.
Herzlich, Benjamin von Blomberg
PS: Und noch etwas: lass’ uns darauf drängen, dass diese Schweiz auch weltweit Verantwortung übernimmt und hilft, wo sie kann. #Moria
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