Darum ist unser Gesundheitssystem so teuer

Die Gesundheitskosten explodieren – was tun? Tsüri.ch ging zusammen mit Expert*innen aus dem Gesundheitswesen dieser Frage bei einer Podiumsdiskussion auf den Grund.

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Fotos: Emilio Masullo

Pünktlich um 19 Uhr positionieren sich die Teilnehmenden auf der Karl der Grosse Bühne: Susanne Gedamke, Präsidentin vom SPO Patientenschutz, Verena Nold, Direktorin von santésuisse und Thomas Brack, Direktor vom Spital Limmattal. Somit ist die magische Triage des Gesundheitswesens, bestehend aus Patient*innen, Versicherungen und Leistungserbringer*innen, komplett. Watson-Chefreporterin Helene Obrist moderiert durch den Abend und zeigt den Anwesenden eine eindrückliche Grafik vom Bundesamt für Gesundheit: Die Prämienkosten des Standardmodells haben sich in den letzten 24 Jahren mehr als verdoppelt; waren es 1996 noch 128 Franken, steigt die Prämie heute bis zu 316 Franken.

Qualität hat seinen Preis

«Was sind die Gründe für den Kostenanstieg – rennen alle wegen Wehwehchen gleich in die Intensivstation?», fragt die Moderatorin und wendet sich damit an Thomas Brack. Dieser verneint die Frage und betont dafür die hohen Qualitätsansprüche der kranken Patient*innen; immer und überall die beste Versorgung und Zugang. Diese Anforderungen wolle man als Leistungserbringer auch erfüllen; das Gesundheitswesen der Schweiz wäre beinahe «Formel-1-mässig» unterwegs, meint Brack. Das würde dazu beitragen, dass die Gesundheitskosten zwar teuer zu stehen kommen, die Qualität dafür aber stimme.

Susanne Gedamke hält dagegen, dass jede*r Patient*in individuell sei und Qualität anders definiere, insbesondere da sich die Menschen nun vermehrt ihre Informationen aus dem Netz holen. Das sei wichtig, denn schliesslich spiele Bildung auch eine grosse Rolle in der Prävention von Krankheiten. Der Qualitätsanspruch sei per se nicht kostentreibend; im Gegenteil. Es sei jedoch nachgewiesen, dass es viele Bagatellunfälle auf der Intensivstation gebe; ihrer Ansicht nach würde es sich lohnen, die Gründe hierfür zu untersuchen.

Entwicklung in der Medizin

Die Medizin und Forschung hat sich in den letzten Jahren weiterentwickelt. Auch das ist ein Kostenpunkt, bestätigt Verena Nold. Besonders im Bereich der Krebsforschung hätten sich neue Medikamente und Gentherapien ergeben, erzählt sie. Die hohe Qualität im Schweizer Gesundheitswesen befürwortet Nold. Sie fragt sich, ob man dieselbe Qualität wohl für weniger Geld bekäme.

Die Schweiz ist eine Hochpreisinsel.

Verena Nold – santésuisse

Grosse Spitäler gleich hohe Preise

Oder gibt es schlichtweg eine zu hohe Spitaldichte und Anzahl von Ärzt*innen? «Nein», findet Spitaldirektor Brack und lacht. Schliesslich baue man diese Krankenhäuser nicht grundlos und auf Vorrat, der Bedarf der Patient*innen sei da. Die Schliessung eines Spitals würde nur dazu führen, dass die Menschen mit dem gleichen Anliegen in ein anderes gehen. Brack argumentiert mit dem Prinzip der Fallpauschale: Im Kanton Zürich würden für einen operativen Eingriff, wie zum Beispiel die Entfernung eines Blinddarms, aufgrund ihrer Position als grosse Institution höchstwahrscheinlich mehr verrechnen als die kleineren Krankenhäuser. Wenn diese schliessen und die Patient*innen im Grossbetrieb mehr bezahlen müssten, dann treibt das auch die Gesundheitskosten wieder in die Höhe.

Emotion statt Ergebnis

Die Patient*innen wissen oftmals gar nicht, was das qualitativ beste Krankenhaus sei für ihr Anliegen; ihnen fehlen die nötigen Zahlen und Informationen, wirft Susanne Gedamke ein. Ob die Patient*innen die Behandlung als gut empfinden, hinge weniger mit dem medizinischen Resultat zusammen, sondern eher mit zwischenmenschlichen Faktoren, wie zum Beispiel Einfühlsamkeit und Kommunikation auf Augenhöhe, erzählt sie. Brack stimmt ihr da zu, er hätte im Spital Ähnliches beobachtet.

Leistung ist an Nutzung gekoppelt

Ein konkreter Vorschlag, wie man die Gesundheitskosten senken könne, ist die Anpassung des Leistungskatalogs der Grundversicherung. Was in Fachkreisen als nicht zwingend nötige Behandlung gilt, soll gestrichen werden und über Zusatzversicherungen laufen: Stichwort Indikationsqualität; Das wirft die ethische Frage auf, wer oder was es wert ist, behandelt zu werden. «Als Gesellschaft sollten wir diesen Diskurs führen», denkt Brack. Er würde hier nicht primär nach Alter entscheiden, sondern nach der Frage, welche Patient*innen nach der Behandlung eine effektive Verbesserung erfahren würden.

Nebst der Wirkung auf die Patient*innen sei jedoch auch deren Wille von grosser Bedeutung, sagt Gedamke; erfreulicherweise könne dieser in Patient*innenverfügungen geäussert werden. In einer idealen Welt wären die Patient*innen vollumfänglich von den Fachpersonen über ihr Gebrechen oder ihre Krankheit informiert, so dass sie basierend darauf, ihre Entscheidungen eigenständig treffen und in der Verfügung festhalten könnten.

Teure Medikamente, teure Medizintechnik

Bevor man jedoch anfängt, schwierige, ethische Diskussionen zu führen, solle man sich fragen, wo es denn Luft gäbe im Gesundheitssystem, so Verena Nold. Sie erwähnt die horrenden Medikamentenpreise in der Schweiz. Viele dieser Medikamente kämen aus Ländern wie China, Indien oder Bangladesch; die Schweiz zahle viel Geld, bekäme die Medikamente jedoch nicht so schnell wie gewünscht – was bringe das dann? Die Anwesenden sind sich alle einig, dass die Medikamentenpreise sinken sollten, auch wenn das nicht im Interesse der Pharmaindustrie liegen dürfte. Auch im Bereich der Medizintechnik müsse man in der Schweiz viel tiefer in die Tasche greifen als anderswo, fügt Brack hinzu. Aufgrund der Wartungskosten wäre es jedoch nicht sinnvoll, die Geräte der Medizintechnik im Ausland zu kaufen.

Einschränkung der Ärzt*innenwahl

CSS-Chefin Philomena Colatrella schockte vor zwei Jahren die Bevölkerung mit dem Vorschlag, eine Mindestfranchise von 10’000 Franken einzuführen, um die Prämienkosten zu senken. Da sich so eine hohe Franchise praktisch niemand leisten kann, sei das der falsche Ansatz, finden die Anwesenden. 70 Prozent der Schweizer Bevölkerung nutzen bereits das alternative Versicherungsmodell freiwillig, haben somit ein sogenanntes Telemed-Modell und damit keine freie Ärzt*innenwahl; die Hausärzt*innen sind die erste Anlaufstelle für die Patient*innen. Gesundheitsminister Alain Berset forderte im Spätsommer eine eingeschränkte Ärzt*innenwahl für alle. Die Menschen, welche sich die Vollkasko-Versicherung auch leisten können, sollen diese auch behalten dürfen, findet Nold. Sie hält das alternative Versicherungsmodell, die sogenannte Managed Care, besonders für chronische Erkrankungen sinnvoll; die Hausärzt*innen verfügen über alle nötigen Informationen der Patient*innen und können anhand dessen, fachliche Entscheidungen wie allfällige Weiterempfehlungen treffen.

Auch Thomas Brack spricht sich für die freiwillige eingeschränkte Ärzt*innenwahl aus und geht noch einen Schritt weiter: Einschränkungen in der Spital-, Spitex- oder Reha-Wahl. Ob das gesetzlich machbar sei, müsste man noch abklären. «Ich habe es noch nicht aufgegeben», meint er.

Digitalisierung im Gesundheitswesen

Das elektronische Patientendossier (EPD) sorgt für Diskussionsstoff. Könnten die Patient*innen Daten im EPD vollumfänglich und strukturiert dargestellt werden, hätte das einen grossen Mehrwert für die Ärzt*innen und Patient*innen, meint Susanne Gedamke. Sparen würde man Zeit und Geld. Die Digitalisierung im Gesundheitswesen ist ein entscheidendes Thema für sie; so könnte eine transparente und erfolgreiche Kommunikation zwischen Ärzt*innen und Patient*innen gelingen. Allein der Erstkontakt würde schon strukturierter ablaufen, meint sie. Was die Digitalisierung angehe, seien andere Branchen dem Gesundheitswesen 10 bis 15 Jahre voraus, meint Brack. Er beleuchtet den Aspekt der freiwilligen Datenangabe auf Seiten der Patient*innen und der Datenerfassung auf Seiten des Spitals. So wie das EPD-Konzept momentan sei, gleiche es eher einem PDF-Friedhof.

Solidarität zwischen Gesunden und Kranken

«Auch der jüngste Mensch wird einmal alt», betont Verena Nold. Aus diesem Grund hält sie es nicht für ethisch vertretbar, dass ältere Menschen mehr Prämien zahlen als jüngere. Die Jungen sollen auch nicht zwingend mit Angeboten wie Fitnessabonementen oder Schrittzählern belohnt werden. «Wir sind eine Sozialversicherung, die auf Solidarität zwischen Gesunden und Kranken beruht». Mithilfe der Prämienverbilligung versuche man bereits, wenn nötig, den Menschen finanziell unter die Arme zu greifen.

Alle Anwesenden sind sich einig: Sie wollen die hohe Qualität des Schweizer Gesundheitswesen beibehalten, verbunden mit tieferen Kosten. Vorschläge wie die Kostensenkung der Medikamentenpreise oder die Einschränkung der Ärzt*innenwahl könnten in Zukunft zu tieferen Gesundheitskosten führen. Ein kleiner Trost: Im Kanton Zürich steigt die Krankenkassenprämie nächstes Jahr nicht weiter an, so Verena Nold.

Dieses Podium wurde mit Unterstützung von santésuisse durchgeführt. Vielen Dank für das Möglichmachen!

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