Zürcher Polizist:innen verweigern Hate-Speech-Anzeigen

Wer bei der Stadtpolizei Zürich wegen Hate Speech eine Anzeige erstatten will, wird häufig abgewimmelt. Dies, obwohl diskriminierende Äusserungen im Internet strafbar sind. Recherchen zeigen erstmals: Auf vielen Polizeiposten fehlt grundlegendes Wissen zur Schweizer Diskriminierungsstrafnorm.

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Hate Speech wird auf den meisten Polizeiposten nicht ernst genommen. (Foto: Flicker / Silvision / CC BY-ND 2.0)

In der Schweiz ist Hass und Diskriminierung gegen Menschen aufgrund ihrer «Rasse», Ethnie, Religion oder sexueller Orientierung strafbar. Auch im Internet. Wer gegen diese Diskriminierungsstrafnorm verstösst, muss mit bis zu drei Jahren Freiheitsentzug rechnen. Dabei handelt es sich um ein Offizialdelikt. Das heisst: Die Behörden müssen ermitteln, sobald sie von einer potenziellen Straftat erfahren. Aber funktioniert das auch in der Praxis?

Um das herauszufinden, hat das investigative Recherche-Team Reflekt 30 Hilfsreporter:innen in alle Kantone der Deutschschweiz geschickt, um rassistische, antisemitische und queerfeindliche Kommentare aus dem Internet anzuzeigen. Sie meldeten die Fälle bei insgesamt 34 Polizeiposten von Fribourg bis Frauenfeld und von Thusis bis Basel. 

Das Resultat: nur 16 von 34 Polizeiposten haben die Anzeige entgegengenommen. Eine Mehrheit hat sie entweder direkt verweigert oder nie bearbeitet. «Die Zahl überrascht sehr», sagt Monika Simmler, Strafrechtsprofessorin an der Universität St. Gallen. «Eigentlich müssten alle Polizeikorps die Anzeigen entgegennehmen, prüfen und die rechtliche Würdigung der Staatsanwaltschaft überlassen.»

Abgewimmelt in Zürich

Auch die beiden Polizeiposten in der Stadt Zürich wimmelten die Hilfsreporter:innen ab. Bei der Regionalwache Aussersihl wurde die Anzeige verweigert, weil angeblich nur Betroffene Anzeige erstatten können. Der Polizist liess sich in dieser Ansicht nicht beirren und tätigte keine weiteren Abklärungen. 

Mit seiner Einschätzung liegt er falsch. Laut Strafrechtsprofessorin Monika Simmler handelt es sich bei Artikel 261bis um eine Straftat gegen das Kollektivinteresse. In solchen Fällen gebe es keine geschädigte Person, da sich die Tat gegen die ganze Gemeinschaft richte. 

Ähnliches ereignete sich auf der Regionalwache City. Dort wurde die Anzeige verweigert, weil die Kommentare unter die Meinungsfreiheit fallen würden. Dabei seien die gesammelten Kommentare teilweise klar strafbar oder Grenzfälle, weshalb eindeutig ein Anfangsverdacht vorhanden sei, so Simmler: «Man müsste also die Anzeige entgegennehmen und genauer prüfen.» Der Polizist händigte der Anzeigestellerin stattdessen eine Visitenkarte einer Organisation aus, die mit der Ahndung von Straftaten nichts zu tun hat.

Polizei nimmt Kritik auf

Auf Anfrage bestätigt die Stadtpolizei Zürich, dass die Polizist:innen die Anzeigen hätten entgegennehmen und entsprechende Abklärungen in die Wege leiten müssen. Bei mehreren der aufgeführten Fälle bestehe «zumindest ein Anfangsverdacht auf Strafbarkeit», was genauere Abklärungen rechtfertigt. Die rechtliche Würdigung von Sachverhalten obliege nicht der Polizei, sondern den Strafuntersuchungsbehörden, respektive den Gerichten. Die Polizei schreibt weiter: «Durch die jeweils vorgesetzten Stellen wird der Fall mit den beiden damals involvierten Polizisten nachbearbeitet.»

Weitere Versuche, Hate Speech im Kanton Zürich zur Anzeige zu bringen, sind auf dem Posten der Kantonspolizei in Wallisellen gescheitert und waren in Uster teilweise erfolgreich. 

Diese Recherche stammt von «REFLEKT»

«REFLEKT» ist das erste investigative, unabhängige und gemeinnützige Recherche-Team der Schweiz. Die Journalist:innen decken Missstände auf und recherchieren ergebnisoffen. Die Ergebnisse publizieren sie auf ihren Online-Kanälen sowie in Kooperation mit reichweitenstarken Medien im In- und Ausland. Mit investigativem Qualitätsjournalismus fördern sie Transparenz und leisten einen Beitrag zur Demokratie.

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