Keine Klimagenossenschaft im Triemli: Grüne und GLP sind wütend auf SP
Grüne und GLP wollen, dass in den Triemli-Hochhäusern eine Klimagenossenschaft entsteht. Der Gemeinderat torpedierte diese Idee. Doch so schnell geben die Initiant:innen Dominik Waser und Serap Kahriman nicht auf. Bei einem Rundgang erläutern sie ihre Vision.
Da stehen sie, die drei Betontürme am Fusse des Uetlibergs. Ein imposantes und seit Jahren umstrittenes Ensemble. Die Stadt wollte die Türme ursprünglich Anfang 2023 abreissen, doch Politik und Bevölkerung forderten ihren Erhalt – und setzten sich durch.
Die Zukunft der ehemaligen Personalhäuser des Spitals: ungewiss. Der Abriss vertagt.
Die Hochhäuser sind begehrt. Aktuell bringt die Asylorganisation Zürich (AOZ) in den leerstehenden Zimmern geflüchtete Menschen unter. Und auch Architekt:innen haben das Potenzial der Türme entdeckt. Die Zürcher Arbeitsgruppe für Städtebau (ZAS*) hat vor einem Jahr einen spekulativen Ideenwettbewerb lanciert, um Alternativen zum Abriss aufzuzeigen. Aktuell prüft der Stadtrat mögliche Zwischennutzungen bis 2040.
Auch Dominik Waser (Grüne) und Serap Kahriman (GLP) haben eine Vision. Sie wollten im Triemli einen klimaschonenden Lebensstil erproben; mit einer Klimagenossenschaft.
Doch ihre Idee stiess im Gemeinderat auf taube Ohren. Mit 47 Ja-Stimmen zu 68 Nein-Stimmen wurde der Vorstoss von Waser und Kahriman Anfang November abgeschmettert. Enttäuscht sind die beiden Postulant:innen vor allem von der SP, die ihren Vorschlag nicht unterstützen wollte.
«Es ist fraglich, wie sinnvoll es ist, ein Projekt wie die Klimagenossenschaft, dort zu verwirklichen.»
Gemeinderätin Anjushka Früh (SP) über den Standort Triemli
SP bremst Klimagenossenschaft aus
Die Idee der Klimagenossenschaft würden sie noch immer unterstützen, doch man wolle sich nicht so stark einschränken, was deren Standort betreffe, sagte Anjushka Früh (SP) im Gemeinderat. Zudem sei das Areal sehr gross und noch unklar, was ab 2040 mit ihm geschehen soll. «Es ist fraglich, wie sinnvoll es ist, ein Projekt wie die Klimagenossenschaft, die auf Langfristigkeit ausgelegt ist, dort zu verwirklichen», so Früh.
Die beiden Gemeinderät:innen schlendern den Fussweg entlang, der die drei ehemaligen Personalhäuser des Spitals miteinander verbindet. «Die Begründung der SP ist nicht nachvollziehbar», sagt Kahriman. Und Waser pflichtet bei: «Sie haben sich zu wenig mit der Idee befasst, sie denken in diesem Fall nicht über den Tellerrand hinaus.»
Staatlich finanzierte Hippiekommune
Ebenfalls wenig erfreut über die Idee, zeigten sich die Bürgerlichen. Man wolle keine «Hippiekommune», hiess es seitens der SVP und die FDP nahm den Begriff Vetterliwirtschaft in den Mund, weil Waser Teil der Interessengemeinschaft ist, die sich für eine Klimagenossenschaft starkmacht.
Die Klimagenossenschaft, eine vom Staat finanzierte Hippiekommune? Waser schmunzelt und Kahriman lacht, wird aber sogleich ernst. «Der Vorwurf der Hippiekommune ist so einfach. Er drängt das Vorhaben direkt in eine Ecke», sagt sie. Auch sie als grünliberale Politikerin könne sich vorstellen, mit ihrer Familie in dieser Genossenschaft zu wohnen. «Wir sind alles andere als Hippies. Wir sind eine junge Familie, die Job, Kinderbetreuung und die Klimakrise unter einen Hut bringen will.»
«Sobald Ideen konkret werden, macht Zürich einen Rückzieher. Unsere Politik ist mutlos.»
Dominik Waser (Grüne)
Die beiden sind sich einig: Eine Prüfung als möglichen Standort hätte das Triemli verdient. Genau diese forderte auch ihr Vorstoss. Unterstützt wurden sie von der AL und Mitte. Der zuständige Stadtrat für die drei Häuser Andreas Hauri meinte, er würde das Postulat zwar entgegennehmen, könne aber nichts versprechen. Es gäbe im Triemli sowohl die Klimagenossenschaft als auch diverse andere Zwischennutzungsmöglichkeiten in Betracht zu ziehen.
Doch Hauris Wille nützte nichts, ohne die SP an Bord gelang es den beiden Postulant:innen nicht, den Vorstoss zu überweisen. Der allgemeine Tenor: Man wolle das Projekt umsetzen, aber sich nicht aufs Triemli einschiessen.
Diese Mentalität nervt Waser. Er gibt sich zwei Wochen nach der Schlappe im Parlament noch immer enttäuscht von der links-grünen Politik der Stadt. «Sobald Ideen konkret werden, macht Zürich einen Rückzieher. Man will sich nicht festlegen. Unsere Politik ist mutlos», sagt der 25-Jährige.
Gekocht wird in der Kantine, gestreamt gemeinsam
Inzwischen sind Kahriman und Waser beim letzten Hochhaus angelangt. Sowohl in den Medien als auch in der Gemeinderatsdebatte; immer wieder fallen die Argumente, dass die Hochhäuser einen hohen Energieverbrauch hätten und der Brandschutz für viel Geld erneuert werden müsste. Dass sich diese aus der Zeit gefallenen Betonklötzen für ein visionäres Projekt wie die Klimagenossenschaft zumindest laut Waser und Kahrimann eignen würde, mag auf den ersten Blick erstaunen.
Kahriman setzt zum Plädoyer für die Plattensiedlung an: Die Zimmer seien klein, was für einen niedrigen Flächenverbrauch pro Person spreche. Es gebe Gemeinschaftsräume und auf dem Areal genügend Platz, um ein öffentliches Klimazentrum zu eröffnen. Dadurch soll das Projekt zugänglich und fassbar gemacht werden. Triemli hin oder her, die beiden halten an der Idee der Klimagenossenschaft fest.
Dabei stammt die Vision gar nicht aus ihrer Feder, sondern von der Zürcher Genossenschaft Nena1. Waser hat die Idee dann in den Gemeinderat getragen. Ursprünglich wollte man den Carparkplatz beim Hauptbahnhof für das Vorhaben, schwenkten dann aber auf die Triemli-Häuser um. Mittlerweile ist klar: Man wird nehmen, was man kriegt. Hauptsache, es entsteht in Zürich eine Siedlung für 500 Menschen, die klimaneutral leben. Dies steht im Einklang mit dem städtischen Netto-null-Vorhaben. Zürich muss bis 2040 ihren CO2-Austoss auf null bringen.
Damit das gelingt, sollen die Bewohner:innen ein fixes CO2-Guthaben erhalten. Im Papier der «IG Klimagenossenschaft», das Waser in den Händen hält, ist von sogenannten Belastungseinheiten die Rede. Eine Masseinheit, die alltägliche Dinge wie Fleischkonsum, Autofahren oder Internetkonsum nach ihren Emissionen bewertet. Alle Bewohner:innen haben neben einem Grundstock, der rechnerisch das Überleben sicherstellt, pro Jahr und Kopf 100 Belastungseinheiten CO2 zur Verfügung. Diese können sie eigenständig einteilen.
Verzicht sei unumgänglich, gibt Kahriman zu. Doch gezwungen werde niemand. «Willst du Rindfleisch essen, dann mach das. Dein Guthaben braucht sich dann halt eher auf. Dass alle Personen das Budget von Anfang an einhalten werden, ist illusorisch.» Aber lieber scheitern, als es nicht ausprobiert zu haben, findet die 33-Jährige. «Das Scheitern regt an, effiziente Strategien zu entwickeln, wie ein klimaneutrales Leben aussehen könnte.» Darum sei eine Labor-Siedlung wichtig. Das Projekt soll zudem wissenschaftlich begleitet werden und so als Pionier-Projekt dienen.
Im Fokus steht laut den beiden Politiker:innen schlussendlich nicht der Verzicht, sondern die Bewegung hin zu einem neuen Lebensstil. «Und dieser schmerzt nicht, es ist einfach eine dringend nötige Umstellung», so Kahriman. Das Leben in der Klimagenossenschaft bringe nämlich diverse Vorteile.
Waser macht ein Beispiel zu den Internetstunden: Wenn alle Personen am Abend alleine an ihrem Laptop sitzen und eine Serie streamen, dann seien die 200 Stunden schnell aufgebraucht. Aber wenn man in einer Gruppe zusammenkomme und im eigenen Siedlungs-Kino sich einen Film anschaue, dann spare man Einheiten. «Ein gemeinsamer Netflix-Abend ist nicht nur gut fürs Klima, es ist auch sozialer», sagt der Grüne.
Den Alltag in der Klimagenossenschaft stellen sie sich wie folgt vor: Die Bewohner:innen haben ihr eigenes Zimmer. Aber nicht wie üblich hat jede Wohnung ein eigenes Bad, Wohnzimmer oder eine Küche. Diese werden geteilt, so brauche es von allem weniger. In einer Grossküche, die selbstverständlich ihre Produkte von lokalen Landwirt:innen bezieht, soll für die Bewohnenden gekocht werden: Das führe zu weniger Food-Waste, mehr Gemeinschaftsgefühl und tieferen Kosten. «Natürlich kann man für sich selbst kochen, aber nicht dreimal am Tag, sieben Tage die Woche – das ist ineffizient», erklärt Waser.
«Früher war die Grossfamilie im Alltag viel wichtiger, diesen Gedanken wollen wir wieder etablieren.»
Serap Kahriman (GLP) findet, dem Klima zuliebe müsse man weg vom Kleinfamilien-Denken kommen.
Zum Alltag gehöre es auch, dass man gewisse Aufgaben in der Genossenschaft übernehme. Sei es Küchen- oder Serviceeinsätze, Freizeitangebote, Unterhalt, Landarbeit oder die Betreuung von Kindern und alten Menschen. Arbeiten, die teils unentgeltlich gemacht werden sollen, aber längst nicht nur. In der Siedlung sollen auch Teilzeitstellen geschaffen werden. Im Durchschnitt sollen alle Genossenschafter:innen rund drei Stunden pro Woche für die Gemeinschaft aufwenden.
Das entlaste auch, findet Kahriman. So müssen sich beispielsweise Familien nicht jeden Tag Gedanken über die Verpflegung machen oder die Kinderbetreuung könnte gemeinschaftlich organisiert werden.
«Als Einzelperson oder Kleinfamilie kann man heute nicht klimaneutral leben. Wir müssen weiter denken und brauchen grössere Einheiten», so Waser. Es geht ihnen darum, die Versorgungsarbeit neu und nachhaltig zu organisieren. Dem Klima zuliebe müsse man weg vom Denken in der Kleinfamilie kommen. Eine eigentlich konservative Idee, findet Kahriman. Quasi zurück zum Alten: «Früher war die Grossfamilie im Alltag viel wichtiger, diesen Gedanken wollen wir wieder etablieren.» Nur, dass die Grossfamilie in der geplanten Klimasiedlung die Bewohnenden darstellt.
Stadt muss Alternative bis in zwei Jahren liefern
Wenn die beiden von ihrem Plan erzählen, gestikulieren sie wild und zeigen immer wieder auf die Türme, die neben ihnen aus dem Boden ragen. Sie schwelgen in ihrer Utopie, die nun vom Stadtrat abhängig sein wird.
Dem Postulat der beiden ging eine Motion voraus, die im September 2022 überwiesen wurde. Die deutliche Mehrheit verpflichtete den Stadtrat dazu, einen Standort für eine Klimasiedlung zu finden. Dafür hat er bis August 2025 Zeit. Welche Areale oder Liegenschaft für die Klimagenossenschaft infrage kommen, dazu macht die Stadt noch keine Aussagen.
Und auch über die Zukunft der drei Türme hält sich die Verwaltung bedeckt. Man prüfe aktuell Möglichkeiten einer Zwischennutzung und suche Alternativen bis zum geplanten Abriss, heisst es auf Anfrage. Hierzu arbeite derzeit eine Arbeitsgruppe mit «allen relevanten städtischen Akteur:innen» einen Vorschlag aus, wie die drei Türme von 2026 bis 2040 zwischen genutzt werden können.
Willst du mehr über die Idee der Klimagenossenschaft erfahren? Die IG Klimagenossenschaft lädt am Samstag, 25. November, um 13 Uhr an Flurstrasse 89 zu einem Kick-Off Event ein. Mehr Infos hier.
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