Preisgünstiges Wohnen im Büro – ein Zürcher Projekt spurt vor

Bürogebäude zu Wohnhäusern umzubauen, ist ökologisch wie sozial sinnvoll. Allerdings erweisen sich Normen und Standards dabei oft als unterschätzte Hürde. Ein Projekt der Stiftung PWG in der Stadt Zürich zeigt, dass dies dennoch möglich ist.

Modell wohnen im buero
Während Büroflächen zunehmend leer stehen, fehlt es in Zürich an Wohnraum. Ein Projekt der Stiftung PWG zeigt, wie eine Umnutzung aussehen könnte. (Bild: studio trachsler hoffmann)

Dieser Artikel erschien erstmalig am 24. August 2023 auf swiss-architects.com.

Der Wandel unserer Arbeitswelt hat zu tiefgreifenden Veränderungen in den Unternehmen geführt. Eine Folge ist der sinkende und in Zukunft weiter sinkende Bedarf an Büroflächen, vor allem in der Dienstleistungsbranche. Eindrücklich zeigt sich dies bei der Fahrt über die Zürcher Hardbrücke: Nicht nur zur Ferienzeit bleiben mittlerweile viele der Büroarbeitsplätze leer. Angesichts des gleichzeitig fehlenden Angebots an bezahlbarem Wohnraum und schwindender Baulandreserven scheint die Umwandlung von Büro- und Gewerbebauten in Wohnhäuser in Städten wie Zürich eine attraktive Option. 

Doch Umnutzungen zu Wohnungen bringen weniger Mieterträge, die Mieterschaft wird kleinteiliger, und der Umbau der Liegenschaften ist mit einem gewissen Aufwand verbunden. Nicht zuletzt stellen die bestehenden Reglemente eine nicht zu unterschätzende Hürde dar. So sind Fassaden aus Schallschutzgründen oder wegen hoher klimatischer Anforderungen zu ersetzen, auch wenn sie eigentlich in gutem Zustand sind, Erschliessungen durchgängig barrierefrei zu gestalten und so weiter.

Wie wollen wir in Zukunft wohnen?

Diese hochgezüchteten Standards passen zu eben jener Kultur, die Italo Calvino in «Die unsichtbaren Städte» in seiner Beschreibung von Leonia vorstellt. Der Schriftsteller erzählt von einer Gesellschaft, die sich über das Schaffen und den Verbrauch definiert. Um diesen weiter zu steigern, braucht es immer neue, strengere Normen und Reglemente und in der Folge neue Bauprodukte. Wir verbrauchen immer mehr Rohstoffe, das Wachstum hält seit dem Aufkommen der Konsumgesellschaft in den 1960er-Jahren an und steigert sich bis heute – auch in der Bauwirtschaft.

«Das Bauen hat sich somit seit den 1960er-Jahren von einer Bedürfniswirtschaft unter dem Leitstern der Marktwirtschaft zu einer Konsum- und Wegwerfgesellschaft entwickelt und damit die Stadtentwicklung, das Bauen im Allgemeinen und die Architektur im Besonderen geprägt. Auch die Partner der Architektinnen und Architekten haben sich verändert. Während der Bauherr ein Bauwerk für einen konkreten Nutzungsbedarf braucht, sucht der Investor zuerst eine Rendite», schreibt St.Gallens einstiger Kantonsbaumeister Werner Binotto. Unser Baurecht spiegelt dieses System wider.

Zwischen Bestandsgarantie und zeitgenössischen Wohnstandards

Dass eine Umnutzung von Büro- zu Wohnfläche dennoch möglich ist, zeigt ein aussergewöhnliches Projekt der Stiftung PWG in Oerlikon. Die Stiftung hat 2021 in Leutschenbach zwei Liegenschaften an der Schärenmoos- und der Leutschenbachstrasse von der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG SSR) erworben, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Das sechsgeschossige Ensemble besteht aus zwei zwischen 1960 und 1962 errichteten Bürogebäuden, die über einen Verbindungsbau miteinander gekoppelt sind. 

Das Grundstück ist mit der bestehenden Bebauung übernutzt, für die Umnutzung besteht Bestandsgarantie, das Gebäude darf also nicht abgerissen werden, ein Umbau ist erlaubt. Doch wenn aus einem alten Bürogebäude ein Wohnhaus entstehen soll, muss dieses die heutigen Vorgaben, etwa zum Schall- und Brandschutz erfüllen. Diese sind viel strenger, als jene, die zur Bauzeit galten. Ein sanfter Umbau mit wenig Eingriffen lässt sich nur schwer mit allen Normen und Vorgaben vereinen – keine einfachen Voraussetzungen.

Die PWG wollte sich dieser Herausforderung dennoch annehmen und schrieb einen Wettbewerb aus. Um später die gewünschten preisgünstigen Mieten anbieten zu können, waren die Teilnehmer:innen aufgefordert, die Wohnflächen entsprechend zu reduzieren und die Erstellungskosten für den Umbau zu minieren. Mit anderen Worten: Sie sollten möglichst viel Bausubstanz erhalten. Mit dem ersten Rang ausgezeichnet wurde der Beitrag «ménage à trois» des Studios Trachsler Hoffmann aus Zürich.

Doch: Mit welchen Strategien widmet man sich nun einer solchen Aufgabe und wie denkt man eine Umnutzung, die den Erhalt weitgehend erfordert? Nicht nur fehlt eine auf Wohnnutzung ausgerichtete Infrastruktur, auch die Massstäblichkeit ist eine andere. Um in diesem Umfeld einen Wohnort, eine Adresse zu schaffen, braucht es ein Angebot über die gewünschte Wohn- und Gewerbenutzung hinaus. 

Mit kleinen Eingriffen eine neue Nachbarschaft aufbauen

Ausgehend von der Frage, wie gering die Eingriffe sein können, um tatsächlich günstigen Wohnraum zu schaffen, arbeitet das Gewinnerprojekt konsequent mit dem Vorhandenen und schlägt wenige Ergänzungen vor. Die Fassaden bleiben erhalten, ebenso die Kerne mit den Treppenhäusern, sogar die bestehenden Heizkörper werden weiter genutzt. Um den Ort zu beleben und über das Wohnen hinaus ein Angebot zu schaffen, stellen die Architekten Daniel Hoffmann und Gian Trachsler vom Gewinner:innenbüro die Halle als ungeheizten Zwischenraum für alle Bewohner:innen zur Verfügung. In Verbindung mit dem als Platzraum gedachten Aussenbereich zur Leutschenbachstrasse könnte ein Treffpunkt für das Quartier entstehen; ein Angebot, das im Umfeld bis anhin fehlt.

Gleichzeitig verbindet die Halle die beiden zukünftigen Wohnbauten räumlich. Das Pendant auf der Ebene der Wohngeschosse bilden die bereits erwähnten zentralen Erschliessungszonen. Über sie werden die bestehenden Erschliessungskerne in Ost-West-Richtung zusammengebunden. Das Ensemble erhält gleichsam ein Rückgrat, eine Kommunikationszone. Sie geht im Westen in den Laubengang über, der die dort anschliessenden Wohnungen im Haus «Micro» erschliesst. Im Erdgeschoss liegen zudem Co-Working-Bereiche und Gewerberäume, im ersten Obergeschoss Clusterwohnungen.


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Mehrere Gemeinschaftsräume sollen für alle Bewohner:innen geschaffen werden. (Bild: studio trachsler hoffmann)

Der Wettbewerbsbeitrag zeigt, dass das Einschreiben von Wohnungen in bestehende Strukturen auch die Möglichkeiten bietet, das Wohnen selbst neu zu denken. An der Schärenmoosstrasse ist das der vorhandene Ausgangspunkt, um durch das Einschreiben des Wohnangebots aus einem bestehenden Ensemble ein neues Ganzes zu machen. Daniel Hoffmann spricht von der Strategie der Collage. Dazu passt, dass die neue Halle aus wiederverwendeten Bauteilen erstellt werden soll. 

Auch hier gilt wie beim Bauen im Bestand selbst, dass der Entwurf eine gewisse Robustheit benötigt, um den Raum in der Reaktion auf das jeweils Vorhandene oder Vorzufindende nicht zu verlieren. Man müsse, so Hoffmann, diese Unschärfen aushalten können. Sein Team betrachtet das Projekt daher auch als Labor, in dem die Phasen der Umnutzung untersucht werden können. 

Verzwickt: Die Aushandlung der richtigen Eingriffstiefe

Das Bauvorhaben befindet sich nun im Vorprojekt. Der Ansatz, möglichst viel zu erhalten, ist dabei ständig auf dem Prüfstand. Er muss mit den gesetzlichen Anforderungen und den gültigen Normen in Einklang gebracht werden, die teilweise dem Neubauniveau entsprechen. Ein Bürobau aus den 1960er-Jahren erfüllt nicht die heutige Standards, schon gar nicht die Anforderung an einen Wohnungsneubau.

Doch nicht nur Regelwerke und Normierungen nehmen zu wenig auf das Bauen im und mit dem Bestand Rücksicht, auch das Verfahren der Baubewilligung selbst ist nicht auf den Umgang mit Unschärfen ausgerichtet, etwa wenn beim Einsatz wieder- und weiterverwendeter Elemente aufgrund noch fehlender Bauteile Konstruktion und Ausführung nicht abschliessend definiert werden können. Wir sind aufgefordert, unsere Ansprüche an das Wohnen und die Bedingungen seiner Produktion zu hinterfragen. 

 

Fokus Wohnen

Wohnen müssen alle. Es erstaunt deshalb nicht, dass kaum ein Thema so stark beschäftigt wie die Wohnungssuche und Mieterhöhungen. Um rund 40 Prozent sind die Mietpreise in der Stadt Zürich in den letzten 20 Jahren gestiegen und es gibt keine Anzeichen dafür, dass dieser Trend abflachen wird. Wohnen wird zunehmend zum Luxusgut. Wie können wir auch in Zukunft in einer bezahlbaren, attraktiven und nachhaltig gebauten Stadt leben? Dieser und weiteren Fragen widmet sich Tsüri.ch einen ganzen Monat lang mit verschiedenen Veranstaltungen und redaktionellen Beiträgen. Zum Programm
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