Produzieren in Zürich: «Wir müssen wegkommen vom billigen Konsum» - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Simon Jacoby

Co-Geschäftsleitung & Chefredaktor

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6. Oktober 2023 um 04:00

«Wo produziert wird, gibt es Lärm, Staub und Gerüche»

Der Platz in Zürich ist knapp – es mangelt an Raum für Wohnungen, Fussballfelder und Velowege. Mitten drin im Verteilkampf steht auch das produzierende Gewerbe. Ist es überhaupt wichtig, dass in der Stadt Dinge hergestellt werden? Ja, ist Sandra Schmid, die Präsidentin von Made in Zurich, überzeugt. Im Interview erklärt sie, wieso.

Die Präsidentin von Made in Zurich setzt auf Kreislaufwirtschaft: «Wir müssen wegkommen vom schnellen, billigen Konsum» (Foto: Ladina Cavelti)

Im Hintergrund schraubt eine Fachkraft an einem Roboter rum, hin und wieder knallt es dumpf, das Echo rauscht durch die Produktionshalle. Sandra Schmid, die Präsidentin von Made in Zurich, sitzt an einem schmucklosen Tisch, vor ihr liegt ein Stapel mit Inputs und Notizen für das Interview. Der Verein Made in Zurich vertritt die Interessen des produzierenden Gewerbes und gibt damit den «urbanen Produktivist:innen jeglicher Couleur und Grösse eine Plattform», wie es auf der Webseite heisst. Also jenen Firmen, die echte Produkte in Zürich herstellen, dazu gehören beispielweise die Kaffemaschinen von Zuriga, die Taschen von Freitag oder die Schokolade von La Flor. 

Wer mitten in der Stadt etwas herstellen will, braucht viel Platz, viel Verständnis aus der Nachbarschaft und viel Leidenschaft. Wie kommt es, dass Made in Zurich von einer Brandmanagerin einer Robotikfirma präsidiert wird?

Sie sei im Familienbetrieb aufgewachsen, erzählt Sandra Schmid – in einer Schriftenmalerei. In der einen Seite des Hauses habe man gearbeitet, in der anderen gewohnt. Sie selbst liess sich zur Fotolaborantin ausbilden, ein Beruf, den es wegen der Digitalisierung kurz nach ihrem Abschluss so gar nicht mehr gegeben hat. Über Umwege landete sie in einem kleinen Team im Zürcher Technopark und kam so in Berührung mit den Herausforderungen der urbanen Produktion. 

Simon Jacoby: Erzählen Sie mal, was fasziniert Sie am produzierenden Gewerbe?

Sandra Schmid: Bei uns im Verein herrscht eine extrem motivierende Stimmung. Alle sind mit Leidenschaft dabei und wollen unbedingt bestmögliche Produkte herstellen. Es gibt diese Dynamik des Machens, statt des Jammerns. Viele Probleme, die auftauchen, können wir meistens ganz einfach dadurch lösen, dass wir mit den Leuten reden. Das macht Spass. 

Haben Sie ein Beispiel für ein solches Problem?

Wo produziert wird, gibt es verschiedene Emissionen – Lärm, Staub, Gerüche. Natürlich kann das Anwohner:innen stören, die lieber etwas länger schlafen wollen. Aber statt dass man sich in einem Streit verkeilt, können teilweise bauliche Veränderungen helfen. Aber das kostet dann wieder Zeit und Geld. Andererseits haben wir auch genau deswegen den Verein gegründet, um vermehrt aufzuzeigen, was in der Nachbarschaft produziert wird und welchen Wert dies hat. So wächst das Verständnis und dann können wir in Zürich gut nebeneinander wohnen und produzieren.

«Natürlich ist die Qualität nicht automatisch niedriger, wenn die Produkte nicht von hier kommen.»

Sandra Schmid von Made in Zurich

Die Stadt Zürich hat euren Verein mitgegründet und zu Beginn auch finanziell unterstützt. Ausserdem fördert die Stadt Flächen, wo produziert werden kann, unter anderem beim Schlachthof und bei den SBB-Werkstätten. Warum muss eigentlich in der Stadt produziert werden?

Ich glaube, es ist wichtig, dass die Menschen, die hier leben, verstehen, woher ein Produkt kommt und wie es hergestellt wird. Wer sieht, dass diese Schokolade, diese Wurst oder diese Kaffeemaschine da gleich ums Eck produziert wurde, hat mehr Spass an Qualität. Ausserdem ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie viel besser, wenn die Menschen nicht aus der Stadt rausfahren müssen, um zu arbeiten. 

Trotzdem: Der Platz in der Stadt ist knapp und es klingt etwas nach Nostalgie, dass ihr zusammen mit der Stadt die Produktion in Zürich behalten wollt. 

Nein, gar nicht! Wir brauchen Menschen, die unsere Produkte herstellen. Und wenn alles einfach nach ausserhalb verfrachtet wird, haben wir keinen Bezug mehr dazu. Wenn man die Schreinerei sieht, kommt man viel eher selbst auf die Idee eine entsprechende Berufslehre zu machen, etwas zur Reparatur zu bringen oder etwas zu kaufen, bei dem man weiss, dass es im Quartier hergestellt wurde. 

Und die Produkte – sind diese besser, nur weil sie in Zürich produziert werden? Für mich als Kunde macht es keinen Unterschied, ob meine Socken lokal in Berlin oder lokal in Zürich gestrickt wurden. 

Natürlich ist die Qualität nicht automatisch niedriger, wenn die Produkte nicht von hier kommen. Aber eben, wir brauchen Vorbilder, damit überhaupt noch jemand diese Berufe lernen will und wir brauchen die Wertschätzung der Produzierenden gegenüber und dafür müssen sie sichtbar sein. Wie erkläre ich sonst jemandem, dass ein T-Shirt für drei Franken qualitativ und ökologisch nicht mit einem, das hier hergestellt wurde, mithalten kann? Ich finde es wichtig, dass wir die Herstellung unserer Konsumgüter sehen.

Zukunftsturbos behaupten, in ein paar Jahren sind es eh die Roboter, die alle unsere Arbeit machen. Dann muss nicht mehr in der Stadt produziert werden. 

Daran glaube ich nicht. Bei ddrobotec®, wo ich arbeite, wissen wir sehr viel über Roboter und auch, dass es Grenzen gibt. Es gibt immer Aufgaben, die von uns Menschen gemacht werden müssen. Ausserdem tut es gut! Es ist befriedigend, nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit den Händen zu arbeiten. Ich sehe ja die Leidenschaft, die unsere Mitglieder ihren Arbeiten entgegenbringen. Noch ein Argument für die Produktion mitten in der Stadt ist die Mobilität. 

Inwiefern?

Wenn da produziert wird, wo die Waren auch gebraucht werden, können wir bei der Logistik viel CO2 einsparen. Es macht doch keinen Sinn, wenn die Leute aus der Stadt zur Arbeit pendeln und wir deren Produkte wieder in die Stadt reinfahren. Das gibt nur zusätzlichen Verkehr!

Ist eine nachhaltige Mobilität innerhalb der Stadt aktuell überhaupt möglich?

Ökologisch ist es vor allem dann, wenn wenig transportiert werden muss. Und natürlich auch dann, wenn viel mit dem Velo gefahren werden kann. Unser Mitglied Mika Lanz hat zum Beispiel beim Veloblitz ein kleines Lager. Wenn also jemand Würste bestellt, dann kommen diese nachhaltig per Velo geliefert und man spart sich sogar noch eine Fahrt ins externe Lager. Grössere Waren sind allerdings schwierig zu transportieren. 

Die Stadt Zürich hat ein ambitioniertes Klimaziel beschlossen und muss bis 2040 klimaneutral sein. Inwiefern beschäftigt dies die Mitglieder von Made in Zurich abgesehen von der Mobilität?

Sehr stark, wir sehen die Kreislaufwirtschaft als wichtigen Hebel, um die Ressourcen auf sinnvolle Weise zu schonen. Ein Beispiel: Wir sehen, dass Verpackung ein wichtiges Thema bei den Produzierenden ist und das man da noch viel machen kann (Mehrweg, bessere Materialien, et cetera) oder bei Reparaturen gibt es grosse Herausforderungen und natürlich noch viel mehr. Da bieten wir eine Plattform, um Erfahrungen auszutauschen, Expert:innenwissen zu bekommen und an gemeinsamen Lösungen zu feilen. Wir alle müssen wegkommen von diesem schnellen, billigen Konsum.

Wie soll das gelingen?

Das ist nicht einfach. Auch ich bin so aufgewachsen, dass mehr Konsum und immer neue Sachen als normal gilt. Wenn etwas kaputt ist, dann kaufe ich mir etwas Neues. Dabei wäre es viel besser, wenn ich einmal einen guten Pullover kaufe, der hält dann länger und wenn er ein Loch hat, dann lasse ich das flicken. Stattdessen ist unsere Wirtschaft darauf ausgelegt, dass immer mehr produziert und auch gekauft wird.

Sandra Schmid wünscht sich, dass die Innenstadt dank Produzierenden lebhafter wird. (Foto: Ladina Cavelti)

Habt ihr einen Ausweg parat?

Die Kreislaufwirtschaft ist ein sehr wichtiges Thema bei uns und auch da spielt die Lokalität eine zentrale Rolle. Wir können die Rest-Rohstoffe von anderen viel einfacher verwerten, wenn diese in der Nähe und wir untereinander vernetzt sind. Ein Beispiel: Altes Brot, das die Ässbar nicht verkaufen konnte, wird von der Schokoladenmanufaktor La Flor abgeholt, in Krümel verarbeitet und mit Schokolade überzogen.

Nochmals zur Kreislaufwirtschaft: Freitag bietet beispielsweise eine lebenslange Garantie auf alle ihre Taschen. Aber auch sie sind darauf angewiesen, dass neue Taschen verkauft werden, sonst haben sie ja keine Einnahmen mehr. 

Ja, das ist so. Noch sind die wirtschaftlichen Anreize falsch ausgelegt – auf mehr Konsum, statt auf Reparatur. Warum verteilt die Stadt nicht Gutscheine, mit denen ich meine kaputten Sachen reparieren lassen kann? Das würde Arbeitsplätze schaffen und die Dynamik so ändern, dass es günstiger ist, etwas flicken zu lassen, statt es einfach neu zu kaufen. 

Trotz einigen Herausforderungen sind Sie optimistisch für das produzierende Gewerbe in Zürich.

Ja, ich sehe täglich die Freude unserer Mitglieder, die sie ihrer Arbeit entgegenbringen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass sich die Produktionen in Zürich weiterhin ausbreiten werden. Ich glaube, die Produzierenden werden die Bahnhofstrasse zurückerobern und die Innenstadt lebhafter machen. 

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