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Von Simon Jacoby

Co-Geschäftsleitung & Chefredaktor

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28. September 2023 um 04:00

Quasi-Verbot der Critical Mass führt zu Radikalisierung

Seit die Critical Mass in Zürich als unbewilligte Demonstration gilt, ist die Bewegung massiv geschrumpft. Das repressive Vorgehen der Polizei führt kaum zu einem friedlicheren Klima auf den Strassen, sondern zu einer Radikalisierung der Velo-Bewegung. Ein Kommentar.

So viele Velos werden bei der nächsten Critical Mass kaum über die Hardbrücke fahren. (Foto: Claudio Schwarz)

Bis vor kurzem bestand die Critical Mass aus Velofahrenden, welche sich jeweils am letzten Freitag des Monats am Bürkliplatz für eine Ausfahrt versammelten. Die Community verstand sich als Verkehr, nicht als Demonstration. 

Zu besten Zeiten fuhren mehrere tausend Personen mit, die Bewegung war bunt gemischt: Die Veloaktivist:innen waren in massiver Unterzahl, Kleinkinder, Grosseltern, Studierende – ein bunter gesellschaftlicher Mix dominierte die Strassen. 

Diese bunte rollende Masse war die kreativste Zürcher Bewegung der letzten Jahre. Musikwagen wurden gebastelt, einmal wurde ein fahrendes WC gesichtet und selbst eine Band samt Schlagzeug war Teil einer Critical Mass. 

Damit ist nun Schluss. Nach einer Beschwerde hat das Statthalteramt nicht nur entschieden, dass die Critical Mass als unbewilligte Demonstration gilt, sondern auch, dass die Stadtpolizei dagegen vorgehen muss.

Beim ersten Mal nach diesem Entscheid fuhren noch über tausend Personen mit, die Stimmung war angespannt durch die ständige Angst, vor der Polizei vom Velo gezerrt und gebüsst zu werden. 

Beim zweiten Mal nach diesem Entscheid fuhren noch knapp hundert Personen mit, die Polizei war mit ihren Einsatzkräften vermutlich in der Überzahl. Wie viele Polizist:innen an diesem Abend die Critical Mass zu verhindern versuchten, gibt die Medienstelle auf Anfrage nicht bekannt. 

Der Entscheid des Statthalteramts zeigt Wirkung: Friedliche, bunte und kreative Menschen trauen sich nicht mehr auf die Strasse. Die Behörden haben die Bewegung innerhalb von zwei Monaten zerstört. Das Vorgehen kann künftig als Tutorial dienen: «How to ruin a Community in two months.»

Das Schöne an der Critical Mass war die Diversität. Das einzige verbindende Element war das Zweirad. Nun bleiben friedliche Bürger:innen aus Angst vor Unfällen und Bussen der Ausfahrt fern. Doch die Repression dürfte neue Kräfte mobilisieren. Der Unmut darüber, dass Velofahren am letzten Freitag im Monat nun faktisch verboten wurde, wird die Velobewegung radikalisieren. 

Regelmässig stimmt die Zürcher Bevölkerung mit deutlicher Mehrheit für eine bessere Veloinfrastruktur. Dass es trotzdem nur langsam vorwärtsgeht und nun die Critical Mass kriminalisiert wird, während Autofahrende täglich die Strassen und Velovorzugsrouten verstopfen, hinterlässt Velofahrende mit Ohnmacht. Und nach Ohnmacht kommt meistens Wut. 

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