«Bis sich zirkuläres Bauen durchsetzt, braucht es noch Zeit»

Die Baubranche ist eine der grössten Umweltsünderinnen, doch zirkuläres Bauen könnte dem entgegenwirken. Ein Gespräch über den aktuellen Stand mit Martin Neukom, Regierungsat und Übervater der Kreislaufwirtschaft.

Martin Neukom
Dieses Jahr hat die Baudirektion von Regierunsrat Martin Neukom Strategien für Bauen in der Kreislauwirtschaft veröffentlicht. (Bild: Elio Donauer)

2,7 Tonnen, das heisst 64 Prozent der jährlichen Abfallmenge im Kanton Zürich sind Bauabfälle, die bei Bautätigkeiten und Rückbau entstehen (ohne Aushub- und Ausbruchmaterial). Zirkuläres Bauen könnte zur Lösung beitragen. 2022 hat der Kanton Zürich Kreislaufwirtschaft in seiner Verfassung verankert. Für eine Auslegeordnung zum Stand der Dinge trifft Tsüri.ch den Baudirektor in seinem Büro am Walcheplatz.

Nina Graf: Am Sonntag stellte sich die Stadtzürcher Stimmbevölkerung deutlich hinter ein Pilotprojekt für mehr Klimaschutz. In der Kläranlage Werdhölzli werden bald jährlich 10’000 Tonnen CO2 in Schweizer Recyclingbeton gebunden.

Als kantonaler Übervater der Kreislaufwirtschaft – ist die Stadt Zürich ihr Liebling?

Martin Neukom: Die Stadt Zürich hat einige sehr interessante Projekte. Bei diesem Projekt geht es vor allem darum, eine Technologie aufzustarten. Das Verfahren zur CO2-Abscheidung gibt es, aber es ist noch lange nicht Standard, denn noch ist es relativ teuer. Damit sich das ändert, ist es wichtig, dass Zürich hier voran geht und investiert.

Auch wenn man jetzt sagen muss, der Beton ist deswegen noch lange nicht CO2-neutral.

Heisst das, das Projekt ist ein Tropfen auf den heissen Stein?

Wenn wir nur anschauen, wie viele Tonnen CO2 abgeschieden werden können, dann ist das Projekt im Werdhölzli nicht relevant. 10’000 Tonnen sind nicht wahnsinnig viel. In zwanzig bis dreissig Jahren wird es aber Technologien brauchen, um jene Emissionen zu binden, die wir nicht vermeiden können. Deswegen ist es wichtig, dass wir heute schon damit beginnen, entsprechende Technologien hochzufahren.

Die Kreislaufwirtschaft bietet eine Möglichkeit, Emissionen zu senken. Doch beim Lesen des kantonalen Strategiepapiers entsteht der Eindruck, dass wir im Bausektor noch ganz am Anfang stehen. Sollten wir nicht deutlich mehr Gas geben für das Klimaziel Netto-Null 2040?

Doch. Schneller zu sein, wäre in vielen Bereichen besser. Gerade beim Thema Kreislaufwirtschaft stehen wir noch am Anfang. Wir wissen zum Beispiel noch nicht: Wie misst man Kreislaufwirtschaft? Wie erfassen wir sie in einem sinnvollen Indikator, um nach einer bestimmten Dauer zu sehen, ob wir überhaupt Fortschritte machen? Das ist schwieriger, als man vielleicht meint.

Aber wir haben auch schon einiges erreicht: Von den 4,2 Millionen Tonnen Abfall, die jährlich im Kanton Zürich anfallen, wird rund 60 Prozent rezykliert, bei den Bauabfällen sind es sogar 80 Prozent. Da hat die Bauwirtschaft also doch schon einiges erreicht.

«Es gibt erst wenige Planungsbüros und Bauunternehmen, die Bauteile wiederverwenden.»

Anstatt Baumaterialien zu recyceln, könnte man sie im Sinne der Kreislaufwirtschaft in neuen Projekten wiederverwenden – doch das passiert selten, der Aufwand scheint zu gross.

Das ist so, respektive noch so. Es gibt erst wenige Planungsbüros und Bauunternehmen, die Bauteile wiederverwenden. Das Zürcher Büro Insitu gehörte zu den ersten.

Wir haben jetzt Kantons-intern damit begonnen. Ein erster Schritt war eine interne Bauteilbörse. So wissen wir, was für Material bei unseren 2000 Gebäuden und 700 laufenden Hochbauprojekten frei wird und wieder verwendet werden kann. Aber sowas braucht natürlich Ressourcen.

Es gäbe ja schon Mittel, wie man diesen «Reuse-Ansatz» schneller in die Privatwirtschaft bringen könnte. Ähnlich wie bei einer Schadstoffkontrolle könnte man einführen, dass jede Baustelle auch auf die Wiederverwendbarkeit von Materialien überprüft wird.

Sie meinen im Sinne von Regularien, die gewisse Dinge für die Bauherrschaft verpflichtend machen?

Zum Beispiel, ja.

Wir sind diesbezüglich noch am Überlegen, was ein guter Ansatz ist. Mit dem neuen Umweltschutzgesetz auf nationaler Ebene hätte der Bund die Möglichkeit, Vorgaben für neu geschaffene Baumaterialien zu machen. Ich hoffe, dass er von seinen Kompetenzen Gebrauch macht.

Ist Zürich denn weiter als der Rest der Schweiz?

Bezüglich zirkulärem Bauen haben wir bis jetzt keine Regelungen, die alle Bauherr:innen betreffen. Darum gehen wir als Kanton selber voran, um zu zeigen, was möglich ist. Diese Vorbildwirkung ist nicht zu unterschätzen. Der Kanton Zürich hat soeben in Uster ein Schulhaus mit wiederverwendeten Materialien gebaut. Als kleine Anekdote dazu: In einer wiederverwendeten Scheibe ist noch eine Katzentür aus dem vorherigen Gebäude zu finden.

64 Prozent der jährlichen Abfallmenge im Kanton Zürich entstehen durch Bautätigkeiten und Rückbau (Bild: Isabel Brun)

Wegen des ganzen Aufwands, der das Wiederverwenden mit sich bringt, ist es oft auch teurer, ein gebrauchtes Bauelement zu verwenden.

Das gebrauchte Bauteil an sich wäre schon günstiger als das neue. Teuer ist vor allem die Planung und Logistik. Sinnvoll wäre es, einen Grenzwert festzulegen für die sogenannten «grauen» CO2-Emissionen beim Neubau. Das gäbe Anreiz, mit gebrauchten Bauteilen zu bauen. Neue Vorgaben im Baubereich sind aktuell aber auch kaum mehrheitsfähig, weil viele fürchten, dass dadurch das Wohnen teurer wird.

Gerade in der Stadt wäre das verheerend. In Zürich herrscht bereits Wohnungsknappheit und die Mieten sind extrem hoch.

Hier muss zuerst gesagt werden: Das Wohnen in der Stadt Zürich ist nicht teuer wegen ökologischen Auflagen. Es ist auch nicht teuer, weil das Bauen so teuer ist. Es ist deshalb teuer, weil die Nachfrage hoch und das Angebot beschränkt ist.

Und dann heisst es oft: Wir müssen mehr bauen. Dann steige das Angebot und die Preise würden sinken. Aber so einfach ist das nicht, denn die neuen Wohnungen, die gebaut werden, sind immer teurer als die alten, die abgerissen wurden.

«Aktuell gibt es sehr viele Hindernisse bei Umbauprojekten. Wenn man etwa ein Gebäude aus den 50er-Jahren aufstocken will, dann stellt sich einem das Baurecht oft in die Quere. Das muss sich ändern.»

Gleichzeitig erschweren die gesetzlichen Vorlagen den Aus- und Weiterbau von bestehenden Gebäuden. Gibt es kantonal politische Bestrebungen, etwas zu ändern?

Ja. Daran arbeiten wir gerade. Aktuell gibt es sehr viele Hindernisse bei Umbauprojekten. Wenn man etwa ein Gebäude aus den 50er-Jahren aufstocken will, dann stellt sich einem das Baurecht oft in die Quere. Das muss sich ändern.   

Mein Ziel ist es, überall dort weiter- oder umbauen zu können, wo es möglich ist. Man muss aber auch sehen, dass es immer Fälle geben wird, wo es besser ist, ein altes Gebäude rückzubauen und durch ein neues zu ersetzen weil wir sonst die Verdichtung nicht hinkriegen. Ganz davon wegkommen werden wir nie.

2023 haben sich einige der grössten Bauunternehmen, wie die Swiss Prime Site, der UBS Fund Management, mit Kanton und Stadt Zürich zusammengetan und Ziele festgelegt. Bis 2030 wollen sie etwa die Verwendung von nicht erneuerbaren Primärrohstoffen um 50 Prozent reduzieren. Was ist hier in den letzten zwölf Monaten passiert? 

Es sind noch weitere Unternehmen dazugekommen, die SBB Immobilien und die Mobimo AG. Die Idee hinter der Charta ist vor allem, im Austausch miteinander zu stehen und voneinander zu lernen. Mich interessiert hier auch zu erfahren, was nicht klappt. Denn das teilt man normalerweise nicht miteinander. Das ist aber sehr wichtig, damit die anderen nicht denselben Fehler noch einmal machen.

Das sind ja auch jene Unternehmen, die bestehende Immobilien kaufen, abreissen und neu bauen. Gibt es Möglichkeiten, über diesen Verbund bindende Verpflichtungen einzuholen?

Nein, die Charta ist ein Selbst-Commitment, keine rechtlich bindende Verpflichtung. Wir wissen ja selber auch noch nicht, ob wir das alles so schaffen. Aber wir haben gesagt, wir wollen uns ambitionierte Ziele setzen. Und ich glaube, es sind die richtigen Player an Bord. 

Sie werden jetzt Pilotprojekte umsetzen, in denen sie neue Ansätze und Technologien ausprobieren. Aber bis sich zirkuläres Bauen wirklich auf breiter Front durchsetzt, wird es noch Zeit brauchen.

«Man muss zuerst die Technologie voranbringen, bevor man sie dann verpflichtend machen kann.»   

Zeit, was braucht es sonst noch? 

Druck. Und zwar möglichst von allen Seiten. Von den Architekt:innen über Bauherrschaften bis hin zu Mieter:innen. Alle Player auf allen Stufen müssen sagen: «Wir wollen CO2-Emissionen reduzieren und Kreislaufwirtschaft umsetzen».

Wäre denn nicht jetzt der Zeitpunkt, bezüglich Vorschreiben mit rigorosen Massnahmen einzugreifen?

Bei verbindlichen Vorgaben stellt sich die Frage, wann die Zeit reif ist, damit sie auch mehrheitsfähig sind. Ich bin der Ansicht man muss zuerst die Technologie voranbringen, bevor man sie dann verpflichtend machen kann. Bei der Energieeffizienz von Neubauten war das auch so. Zuerst gab es Pilotprojekte, die zeigten, dass es geht. Dann kam der freiwillige Minergie-Standard. Heute ist es Pflicht, Gebäude mit genügend Isolation zu bauen. Bei der Kreislaufwirtschaft wird es auch so ablaufen. Schritt für Schritt.

FOKUS KREISLAUFWIRTSCHAFT

In unserer Konsumgesellschaft gehen täglich Ressourcen, Materialien und Energie verloren. Sie landen im Abfall oder verpuffen. Eine Katastrophe fürs Klima. Ein Lösungsansatz ist die Kreislaufwirtschaft. Im Gegensatz zur linearen Wirtschaft ist das Ziel der Kreislaufwirtschaft, den Lebenszyklus von Produkten durch Wiederverwendung, oder Upcycling zu verlängern und im Kreislauf zu behalten.

Wie aber soll das funktionieren? Wo sind die grössten Hebel? Welche neuen Geschäftsmodelle ergeben sich daraus und wie machen wir konkrete Produkte langlebiger? Im September und Oktober widmet sich Tsüri.ch mit verschiedenen Partner:innen dem Thema und organisiert dazu fünf spannende Veranstaltungen.

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