Beim Idaplatz wird ein Haus für 11 Millionen verkauft
An der Zurlindenstrasse in Zürich steht ein Haus für 11,1 Millionen Franken zum Verkauf. Von besorgten Mieter:innen, schweigenden Eigentümern und einem Hausbesitzer, der für faires Eigentum plädiert.
Während die Kirschblüten rund um den Idaplatz blühen, fürchten Mieter:innen an der Zurlindenstrasse 218 um ihr Zuhause: Denn das Wohnhaus, in dem sie wohnen, steht für mindestens 11,1 Millionen Franken zum Verkauf.
Nach einem kurzen Gespräch mit drei Bewohner:innen ist klar: Mit grosser Wahrscheinlichkeit müssen sie sich bald auf die Suche nach einer neuen Wohnung machen. «Wir wissen nicht, warum verkauft wird. Es ist traurig und es tut uns für ganz Zürich weh, dass solche Verkäufe das Stadtleben nachhaltig zerstören», sagt ein Mieter, der lieber anonym bleiben will.
«Die Bewohner:innen werden wahrscheinlich verdrängt.»
Karin Weissenberger, Immobilienexpertin
Engel und Völkers, die mit dem Verkauf beauftragte Firma, wirbt in den Verkaufsunterlagen mit langjährigen Mietverhältnissen, weshalb von einem «sehr hohen Mietzinssteigerungspotenzial» ausgegangen werden könne. Vereinfacht gesagt: Kündigt man langjährige Mietverhältnisse und renoviert die Liegenschaft, so kann man die Mieten massiv anheben. «Die Bewohner:innen haben mit einer grossen Veränderung zu rechnen und werden wahrscheinlich verdrängt», so Karin Weissenberger. Die Immobilienexpertin leitet das Beratungsteam von Casafair Schweiz, einem Verband umweltbewusster und fairer Wohneigentümer:innen.
Das Grundstück umfasst das Haus samt zehn Wohnungen sowie eine Garage. Momentan liegen die Nettomieten für die acht 3-Zimmerwohnungen an der Zurlindenstrasse zwischen 1200 und 1800 Franken und jene für die zwei 2,5-Zimmerwohnungen bei 1700 beziehungsweise 1160 Franken. Die Hauseigentümer nehmen jährlich rund 221‘000 Franken ein. Wird die Liegenschaft für 11,1 Millionen Franken oder mehr verkauft, werden die Mieten laut Weissenberger auch bei einem kostendeckenden, nicht missbräuchlichen Mietzins steigen: Damit sich ein solcher Kauf lohne, müsse saniert und die Mieten angepasst werden – ansonsten zahle man als Käufer:in drauf. «Ich kenne die Bausubstanz nicht, aber dieser Preis liegt vermutlich hart an der Grenze zum Missbräuchlichen», sagt die Immobilienexpertin.
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13’000 Franken für einen Quadratmeter
Eigentümer des Grundstücks sind drei Brüder aus Winterthur, die das Haus vom Vater geerbt haben. Aus ökonomischer Sicht ist es durchaus der richtige Zeitpunkt für einen Verkauf. Seit 2010 haben sich die Bodenpreise in der Stadt Zürich mehr als vervierfacht. Heute liegt der Medianpreis für einen Quadratmeter bei 8000 Franken. Geht man vom Verkaufspreis 11,1 Millionen Franken und der angegebenen Grundstücksfläche von 830 Quadratmetern aus, sind es bei der Liegenschaft an der Zurlindenstrasse mindestens 13’000 Franken pro Quadratmeter.
Wie die Makler:innen den Verkaufspreis eruierten? Die Anfrage von Tsüri.ch liess Engel und Völkers unbeantwortet. Nach einem längeren Telefonat mit einem der Brüder über die Beweggründe, die zum Verkauf führten, zieht dieser seine Aussagen wieder zurück.
Aktiv auf Geld verzichten wenige
Einer, der sich dem Quartier mehr verbunden fühlt als die Winterthurer, ist Lu Decurtins. Unweit der Zurlindenstrasse, an der Bertastrasse, besitzt er ein Haus mit sechs Wohnungen und einem Büro. In einer davon lebt er selbst, die anderen vermietet er.
«In Zürich zu wohnen, muss doch für alle möglich bleiben.»
Lu Decurtins besitzt ebenfalls ein Haus im Quartier
Vor 22 Jahren habe er die damals ziemlich heruntergekommene Liegenschaft für etwas mehr als eine Million gekauft. «Ohne viel Eigenkapital und mit privatem Darlehen kam ich zu diesem Haus. So wird man vom Mieter zum Besitzer.» Er lacht und wird sogleich wieder ernst. Das sei damals noch möglich gewesen. Er steht auf seiner Dachterrasse und blickt auf das Quartier. Die Entwicklungen bereiten ihm Sorgen, nicht erst seit dem Verkauf der Zurlindenstrasse 218. «Viele migrantische oder ärmere Menschen haben Wiedikon aufgebaut und das Quartier zu dem gemacht, was es heute ist. In Zürich zu wohnen, muss doch für alle möglich bleiben.»
Er kritisiert auch das Vorgehen von Makler:innen und Immobilienfirmen: «Immer wieder bekomme ich Angebote, meine Liegenschaft gratis einzuschätzen. Nennen diese Firmen dann so horrende Preise, kommt man als Eigentümer.in ins Wanken und fragt sich: Warum soll ich nicht mitspielen, wenn alle anderen es auch tun?»
Der Hausverkauf als einfache Option
Dem pflichtet auch Immobilienexpertin Karin Weissenberger bei. «Auf viel Geld zu verzichten, ist schwer», sagt sie. Zu gut kenne sie die verzwickte Situation, in die Eigentümer:innen manövriert würden. Ihr zufolge braucht es Regulierungen, um solche Verkaufspreise zu vermeiden.
Wie auch Weissenberger ist Lu Decurtins Mitglied des Verbands Casafair, er ist im Vorstand. Zum Zwiespalt zwischen Rendite und sozialer Verantwortung sagt er: «Ich kann eine Liegenschaft besitzen, Rendite machen und fair agieren.» Für ihn bedeutet das etwa, sanft zu renovieren, die Erträge nicht über alles zu stellen und den Mieter:innen auf Augenhöhe zu begegnen.
Wird ein Haus vererbt und stehen grössere Renovationen an, sind viele Besitzer:innen überfordert und verkaufen. Solche Geschichten kennt Decurtins genügend. Das müsse aber nicht sein: «Auch wenn du als Eigentümer:in kein Geld auf der hohen Kante hast und deine Liegenschaft verlottert ist – von der Bank bekommst du einen Kredit für den Umbau.» Gleichzeitig nimmt er Genossenschaften und Stiftungen in die Pflicht, solche Häuser wie jenes an der Zurlindenstrasse zu kaufen.
«Aber egal, wer die Liegenschaft kaufen wird, eine Genossenschaft oder Investor:innen – bei 11 Millionen ist es auch mit einer fairen Mietpreisberechnung nicht mehr möglich, bezahlbare Mieten anzubieten», so Decurtins. Der Verkaufspreis sei schlicht unanständig hoch. Doch er befürchtet, dass die Liegenschaft auch zu diesem Preis neue Eigentümer:innen finden wird, die eine hohe Rendite erreichen werden, mit entsprechenden Folgen für die Mieter:innen und für das ganze Quartier.
Das Inserat zum Haus ist mittlerweile offline, an wen und zu welchem Preis es verkauft wird, darüber schweigt Engel und Völkers. An der Liegenschaft interessiert zeigte sich anfangs auch die Stiftung zur Erhaltung von preisgünstigen Wohn- und Gewerberäumen der Stadt Zürich (PWG). «Der geforderte Preis geht aber leider nicht mit den aktuell tiefen Mieten einher und die Stiftung PWG gibt bei Erwerben das Versprechen ab, die Liegenschaft mit unveränderten Mieten weiterzuführen. Der Preis war ein Mindestangebot, deshalb haben wir kein Angebot eingereicht und den Makler entsprechend informiert», teilt René Müller, Sprecher der PWG, auf Anfrage mit. Wie so oft, wird man erst erfahren, wer die neuen Besitzer:innen sind, wenn der Verkauf vollzogen ist und man die Nummer des zuständigen Grundbuchamts zur Hand hat.
Anm. der Red.: Der Beitrag wurde am 6. April publiziert und am 12. April mit Informationen der Stiftung PWG ergänzt.