Aus für Jelmoli: Sind die Konsumtempel in der Krise?
Jelmoli, Manor, Globus – die Warenhäuser prägten einst das Bild der Zürcher Innenstadt. Heute verschwinden sie mehr und mehr, die goldenen Zeiten scheinen vorbei zu sein. Doch es tut sich etwas.
An der Zürcher Bahnhofstrasse kriselt es: Nachdem das Warenhaus Manor vor fünf Jahren Büros weichen musste, steht nun auch das Jelmoli vor dem Aus. Am 28. Februar wird das Traditionshaus seine Türen für immer schliessen – nach über 125 Jahren.
Was bleibt, sind die Warenhäuser Globus und Coop-City. Es scheint, als lägen die Zürcher Einkaufstempel im Sterben. Die Umsätze schrumpfen stärker als bei anderen Ladenformaten. Und das, obwohl der Kaufrausch floriert. In der Schweiz nahmen die Pro-Kopf-Ausgaben zwischen 1995 und 2022 für Kleider, Gesundheit, Freizeit, Ausbildung und Wohnen um ein Drittel zu.
Hat das Konzept Warenhaus ausgedient?
Auf hundertjähriges Jubiläum folgte der Niedergang
Die Geschichte der Warenhäuser reicht bis ins 19. Jahrhundert zurück. 1852 eröffnete der Unternehmer Aristide Boucicaut das erste Warenhaus «Le Bon Marché» in Paris, das den Handel grundlegend veränderte. Auf dessen Vorbild eröffnete Giovanni Pietro Guglielmoli, ein italienischer Einwanderer, 1899 ein Warenhaus namens «Jelmoli». Aus Pietro Guglielmoli wurde Johann Peter Jelmoli und in Zürich begann eine neue Einkaufs-Ära: Auf vier Geschossen präsentierte sich eine Vielfalt an Produkten, neu galten Fixpreise statt Feilschen, das Einkaufen wurde zum Vergnügen.
Kritik seitens heimischer Gewerbler:innen folgte sogleich. Sie warfen dem Warenhausbetreiber vor, kleinere Läden zu zerstören und Konsument:innen als Masse zu sehen. Zeitgleich florierte das Geschäft und schweizweit eröffneten weitere Standorte: Jelmoli wurde zur erfolgreichen Warenhauskette. Bis in die 1990er.
Dann, fast hundert Jahre nach seiner Gründung, stagnierte der Umsatz, der Gewinn ging zurück. Im Verlauf der 1990er-Jahre mussten alle Jelmoli-Häuser, bis auf jenes an der Bahnhofstrasse, schliessen. Seither kämpft Jelmoli um das Überleben: Ab dem Jahr 2000 brach der Umsatz drastisch ein. 2021 lag er bei knapp 120 Millionen Franken, was unter dem Strich ein finanzielles Minus bedeutet.
Seit einiger Zeit wird den Warenhäusern der Niedergang vorausgesagt. Ende Februar muss das Traditionshaus Jelmoli schliessen, nach 125 Jahren an bester Lage. Statt der feinen Kundschaft stürzen sich bis dahin Schnäppchenjäger:innen in die letzte Rabattschlacht des historischen Warenhauses.
Der Jelmoli gehört mittlerweile der Immobiliengesellschaft Swiss Prime Site (SPS), die 2009 das Warenhaus samt einem Immobilienportfolio im Wert von 4 Milliarden Franken erworben hatte. Im Februar 2023 gab René Zahnd, Geschäftsführer von SPS, bekannt, dass das Jelmoli-Gebäude an der Bahnhofstrasse renoviert und den aktuellen Marktbedürfnissen angepasst werden soll.
In einem Interview mit der Handelszeitung sagt René Zahnd: «Ein Warenhaus in dieser Grösse überlebt längerfristig nicht.» In anderen Worten: Zu wenig rentabel. «Geldgierig, selbstüberschätzend und arrogant», nennt Werner Studer, Geschäftsführer von Jelmoli, die SPS auf Anfrage. «Moralisch-ethisches Handeln sieht anders aus.»
E-Commerce ist wichtig, aber es braucht noch mehr
Spätestens mit der Corona-Pandemie veränderte sich das Einkaufsverhalten stark. Geschäfte schlossen, Umsätze brachen ein, plötzlich zählte jeder Klick. Wer nicht online war, verschwand. Der digitale Umbruch stellte traditionelle Geschäftsmodelle infrage.
Traditionell seien lediglich die lange Vergangenheit und die Marke ‹Warenhaus›, sagt Werner Studer, Geschäftsführer von Jelmoli. «Die starken Warenhäuser selbst sind nicht traditionell, sondern verändern sich ständig und passen sich an. Sie stehen fürs Neue und Überraschende.»
Dennoch hätten die Warenhäuser den technologischen Wandel, insbesondere den Online-Handel, lange vernachlässigt, sagt Bernhard Egger, Geschäftsführer des Handelsverbands Schweiz. «Die Omnichannel-Präsenz, also die digitale Welt im Kund:innenerlebnis, ist heutzutage unverzichtbar für Unternehmen. Selbst für traditionelle wie Sprüngli, die erst kürzlich einen Online-Shop eingerichtet haben», erklärt Egger.
In der Elektrobranche wird bereits jedes zweite Produkt online gekauft, in der Modebranche fast jedes dritte. In der Lebensmittelbranche kaufen die Menschen aber immer noch fast ausschliesslich in den Geschäften ein. Der stationäre Handel scheint also nicht tot zu sein. Entgegen früheren Befürchtungen, sagt Egger, habe sich zum Beispiel das «Showrooming» nicht bewahrheitet. «Kund:innen recherchieren zwar vorher häufig online, kaufen Produkte aber dann vor Ort ein», sagt er. Gerade bei grösseren Investitionen würden die meisten die persönliche Beratung schätzen.
Luxus macht Lust
Die Globus-Medienstelle bestätigt diesen Trend: «Kund:innen kaufen weniger, aber hochwertiger. Und sie begeistern sich für Marken, besonders im erhöhten Preissegment.» Luxus lockt, ob bei Reisen, Schmuck, Uhren – Menschen wollen sich von der Masse abheben.
Globus setzt konsequent auf diese Strategie. Geschäftsleiter Franco Savastano sagte 2022 in einem Interview mit der NZZ: «Wir wollen in jeder Stadt zuoberst im Premiumsegment sein.» Marken statt Produkte. Doch ein Blick an die Bahnhofstrasse zeigt: Luxus-Monostores, also Läden, die nur die Produkte einer Marke anbieten, dominieren bereits. Um Kund:innen ins Warenhaus zu locken, braucht es mehr. Denn Einkaufen gilt laut einer Studie der Denkfabrik Gottlieb Duttweiler Institut nicht mehr als angenehme Freizeitbeschäftigung, sondern als «mühsame Tätigkeit». Um dem entgegenzuwirken, setzen Händler:innen laut Bernhard Egger vom Handelsverband verstärkt auf Erlebniswelten.
Ein Ansatz, den Einkaufszentren längst erkannt haben. Sie kombinieren Shopping, Fitness, Kino, Gastronomie, Kinderparadies, Pop-Up-Stores unter einem Dach und entwickeln sich zunehmend zu Freizeitorten. Sandro Engeler, Leiter des Sihlcity in Zürich erklärt: «Es braucht immer wieder ‹a new reason why›, um die Leute anzuziehen.»
Auch das Einkaufsparadies Glatt direkt hinter der Zürcher Stadtgrenze setzt darum auf Erlebnisse. Es veranstaltet Fashion Stages, Bücherfestivals und Weinmessen. Konkrete Zahlen nennt keines der angefragten Einkaufszentren, doch beim Glatt zeigt man sich «sehr zufrieden» mit der Entwicklung. «CH Media» zufolge ist das Glattzentrum nach wie vor das umsatzstärkste Einkaufszentrum der Schweiz. Der geschätzte Umsatz für 2023 liegt bei rund 600 Millionen Franken, was dem Niveau vor der Coronavirus-Pandemie entspricht.
Die Erlebniswelten scheinen sich auszuzahlen
Handel ist Wandel – ein Konzept, das es zu den Warenhäusern geschafft hat. Der Coop City St. Annahof verzeichnet laut Medienstelle eine positive Entwicklung. Das Warenhaus erweitert sein Angebot um Dienstleistungen wie Textilreinigung, Änderungsatelier, Ticketverkauf und Depositenkasse. «Im Coop City werden die Produkte erlebbar gemacht.»
Verführung durch mehr Attraktionen, Services und Gastronomie – die moderne Form der Warenhäuser. Aber auf kleineren Flächen, wie Bernhard Egger vom Handelsverband Schweiz sagt. Ein prägnantes Beispiel dafür ist der geplante Umzug von Manor in das ehemalige Jelmoli-Gebäude an der Zürcher Bahnhofstrasse. SPS gab im Sommer 2024 bekannt, dass Manor voraussichtlich Ende 2027 dort einziehen soll. Dabei wird die Verkaufsfläche deutlich verkleinert: Statt der bisherigen 24'000 Quadratmeter des Jelmoli-Warenhauses wird Manor nur noch 13'000 Quadratmeter nutzen.
«Dass das scheinbare tote Warenhaus jetzt mit einem anderen Warenhaus ersetzt wird, ist das eine Ohrfeige fürs ganze Jelmoli-Team», sagt Werner Studer, Geschäftsführer von Jelmoli.
Schlussendlich, sagt Bernhard Egger, hängt der Erfolg eines Warenhauses oder eines Einkaufszentrums von ihren Inhaber:innen ab. «Problematisch wird es, wenn die Eigentümer:innen keine Händler:innen sind, sondern aus der Immobilienbranche kommen.» Dann stehe die Rendite vor dem Handelsgeschäft.
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