«Loopia»: Wie eine App aus Zürich die Kreislaufwirtschaft fördern soll

Ein grosser Teil des CO2 von Produkten wird bei der Herstellung und Entsorgung ausgestossen. Elektrogeräte gelten als besonders belastend für die Umwelt. Vier Zürcher:innen versuchen deshalb, mit einer App, deren Lebensdauer zu verlängern. Warum wir den Geburtstag von Handy, Computer und Co. ruhig mehr zelebrieren sollen.

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Produkte zu personifizieren könne auch ihre Lebensdauer verlängern, sind sich die Gründer:innen einig. (Bild: Elio Donauer)

«Ein europäischer Haushalt besitzt im Durchschnitt 72 Elektrogeräte.» Cristiana Grossenbachers Augen weiten sich, als sie das sagt. Viele seien erstaunt darüber, doch ganz ehrlich: Hast du deine Haushaltsgegenstände schon mal durchgezählt? Was im ersten Moment für lange Gesichter sorgt, könnte gemäss Cristiana dabei helfen, das Klima nachhaltig zu schützen: «Es ist entscheidend zu wissen, wie viele Produkte man zuhause hat, um diese optimal nutzen zu können.» Denn CO2 würde jedes davon in der Herstellung, der Entsorgung und dem Transport ausstossen. Die einen mehr, die anderen weniger. Die 28-Jährige ist Mitinitiant:in der App Loopia, die genau an diesem Punkt ansetzen will. 

Mehr Übersicht, bessere Nutzung, längere Lebenszeit

In einem ersten Schritt würde es darum gehen, seine Produkte zu erfassen, führt Cristiana aus, «so, dass man einen Überblick darüber hat.» Doch das soll erst der Anfang sein. Das erklärte Ziel des Startups: Die Nutzung von bereits produzierten Artikeln zu fördern, indem es möglich wird, über die App Stabmixer, Bohrmaschine oder auch den Reiserucksack auszuleihen. Gratis unter Freund:innen, in der Nachbarschaft oder mit Fremden für Geld über die Plattform Sharely. «Der Unterschied zu bereits bestehenden Apps ist, dass es sichtbarer wird, wer welche Produkte zum Verleih anbietet», so die Marketingverantwortliche von Loopia. «Bisher wusste ich nicht, wer von meinen Nachbar:innen eine Knetmaschine hat, geschweige denn, ob ich diese für einen Nachmittag nutzen dürfte.» Mit der App soll dieser Austausch gefördert werden. Das kommt auch dem Klima zugute, denn je mehr ein Produkt genutzt werde, desto besser sei dessen CO2-Bilanz – vor allem bei Elektrogeräten.

«Wie viele alte iPhones liegen bei uns Zuhause rum, die zwar alt, aber noch funktionstüchtig wären?»

Philipp Glauser, «Loopia»-Mitgründer

«Ein iPhone verbraucht 98 Prozent seiner gesamten Treibhausgas-Emissionen in der Herstellung und Entsorgung; und nur zwei Prozent in der Nutzung», erklärt Philipp Glauser. Die Idee von einer App wie Loopia stammt ursprünglich von ihm. Ausschlaggebend dafür war eine Reise nach Südostasien. Zuvor habe er sich kaum Gedanken zum Klima gemacht, doch als der damals 26-Jährige die riesigen Müllhalden und die Strände voller Plastikteile sah, sei es ihm «wie Schuppen von den Augen gefallen.»

In seinem früheren Beruf als Berater in der Informatikbranche wusste er schon damals, dass gerade bei Elektrogeräten enormer Handlungsbedarf besteht. 16,2 Kilogramm Elektroschrott verursacht eine Person gemäss aktuellen Studien pro Jahr in Europa. Schweizer:innen knacken diese Marke sogar: Mit rund 23,3 Kilogramm pro Kopf und Jahr sind sie weit über dem Durchschnitt. «Ich wusste, dass ich etwas dagegen tun wollte», erinnert sich der heute 35-Jährige. Neun Jahre später geht Philipps einstiges Nebenprojekt endlich online. In seinem Rücken hat er ein dreiköpfiges Team, das sich in den vergangenen zwei Jahren formiert hat. Neben dem Business Developer und Cristiana, die für die Kommunikation zuständig ist, vervollständigen Tim Heeb, Produktentwickler, und Peter Moser, der Mann fürs Technische, das Gründerteam von Loopia.

  • Loopia App Übersicht Kopie

    Wie viele Produkte besitzt du? Loopia soll auch das Bewusstsein bei den Nutzer:innen stärken.

  • Loopia-App-Detail Kopie

    Die CO2-Bilanz wird noch nicht bei jedem Produkt angezeigt.

  • Loopia-App-Produkterkennung Kopie

    Die Produkte können zur Identifikation auch abfotografiert werden.

Klimaschutz durch Kreislaufwirtschaft

Es sei am Anfang nicht einfach gewesen, an die finanziellen Mittel zu kommen und die richtigen Förderpartner zu finden, so Philipp. Dann im letzten Sommer endlich die Erlösung: «Dank der Unterstützung des Migros-Pionierfonds konnten wir richtig loslegen» Dass das Thema der Kreislaufwirtschaft in der Politik angekommen sei und ernst genommen werde, habe sicherlich geholfen, bestätigen die Initiant:innen. Erst Ende März diesen Jahres verlangte die EU-Kommission strengere Richtlinien für die Produktion von Gütern. Zum einen sollen sie mit weniger Energie und Rohstoffen hergestellt, zum anderen länger halten und einfacher zu reparieren sein. Das Recht auf Reparatur befürworten die vier Köpfe hinter Loopia. Die Welle der Kreislaufwirtschaft kommt dem Projekt gelegen, denn auch die App soll einst Reparaturdienstleistungen anzeigen, erklärt Philipp, «so dass es zugänglicher wird, Geräte flicken zu lassen, anstelle sie wegzuschmeissen.»

Zudem sollen Daten darüber gesammelt werden, wo Produkte sich am schnellsten abnutzen. «Geht ein Bügeleisen immer am selben Ort kaputt, könnte diese Information mit den Hersteller:innen geteilt werden», sagt Cristiana. Die Konsequenz könnte sein, dass die Produktionsprozesse angepasst oder andere, langlebigere Ressourcen genutzt werden. «Das ist nicht nur ökologischer, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll», ist sich auch Philipp sicher. «Wie viele alte iPhones liegen bei uns Zuhause rum, die zwar alt, aber noch funktionstüchtig wären? Wären sie auf Loopia erfasst worden, würde man dank der Kooperation mit Revendo nun sehen, wie viel Wert sie theoretisch noch haben.» Die Chance, dass sie weiterverkauft und nochmal ein paar Jahre genutzt werden, steige damit um ein vielfaches, so der Gründer: «Weil es einfach und zugänglich ist.»

«Zusammen auf den Weg gehen»

Er öffnet seine Loopia-App – der Name stammt übrigens aus dem Englischen «to loop», also etwas mehrmals durchlaufen – und klickt auf das Foto von Kopfhörern. In einem roten Feld steht neben einer Miniaturwolke die Zahl 43 Kilogramm geschrieben. «Sie besagt, wie viel Kilogramm CO2 bei der Produktion ausgestossen worden sind», erklärt Philipp. Neben seinem Reiserucksack hingegen fehlt diese Zahl. Weshalb? Nicht von allen Produkten gebe es schon Daten zum ökologischen Fussabdruck. Das handle sich um einen Prozess, bei welchem sie auch auf Partnerorganisationen angewiesen seien. Auch mit Loopia stehe man noch ganz am Anfang: «Ab Anfang Mai kann man seine Produkte erfassen und im Herbst soll es möglich sein, diese mit anderen zu teilen», sagt er: «Nutzer:innen, welche die App jetzt herunterladen, gehen mit uns zusammen auf den Weg. Sie werden zukünftige Funktionen mitbestimmen können.» Denn noch sei vieles nicht in Stein gemeisselt. Es könne gut sein, dass sich einst zum Geburtstag eines Produkts Konfetti über den Bildschirm bewegen. «Ich finde, das sollten wir sowieso mehr feiern», lacht Cristiana. 

Sie und Glauser hoffen, dass durch Loopia die Wichtigkeit der Kreislaufwirtschaft nochmals einen Schub bekomme und bei Menschen, die sich bis anhin noch wenig damit befasst hätten, ankomme, dass auch wir Teil der Lösung seien. «Die App ist für alle, die ihre Produkte auf einfache Art und Weise verwalten, reparieren, teilen, weiterverkaufen und recyceln können», fasst Cristiana zusammen. Damit die 72 Elektrogeräte eines europäischen Haushalts so lange im Gebrauch bleiben, wie möglich.

Kreislaufwirtschaft - Der Schlüssel zu Netto-Null?

Die Idee, Ressourcen konstant in einem Kreislauf zu nutzen, statt sie nach Gebrauch zu entsorgen, ist so einfach wie bahnbrechend. Politik und Privatwirtschaft setzen grosse Hoffnungen in die Kreislaufwirtschaft und sehen in ihr das Potential Netto-Null der CO2-Emissionen zu erreichen. Das gesamte Wirtschaftssystem in einen Kreislauf zu bringen, ist allerdings eine grosse Herausforderung. Vom zirkulären Design der Produkte bis hin zur kompletten Umstellung von Geschäftsmodellen gibt es viele Hürden zu überwinden. Gemeinsam mit Politik, Privatwirtschaft und Forschung diskutieren wir am 18. Mai 2022 in der Freitag-Produktionshalle die grossen Fragen rund um die Kreislaufwirtschaft. 

Vor der Paneldiskussion besteht die Möglichkeit, eine Führung durch die Fabrik von Freitag zu besuchen. Nach der Veranstaltung wird ein Apéro offeriert.

Mit dabei sind:

Balthasar Glättli - Nationalrat Grüne Catharina Bening - ETH Daniel Freitag - Gründer Freitag Guido Fuchs - Coop Laurène Descamps - Impact Hub Zürich

Inputreferat: Nicolai Diamant - Circular Economy Switzerland

Wann: Mi, 18. Mai 2022, 19:00 Uhr 

Wo: Freitag Produktionshalle, Nœrd, Binzmühlestrasse 170a, 8050 Zürich

Führungen durch die Freitag Produktion um 17:30 Uhr (limitierte Plätze).

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