Winterrede Leandra Bias: Eine feministische Analyse als Antwort auf autoritäre Aggression

Es ist wieder soweit: Das Debattierhaus Karl der Grosse lädt zur alljährlichen Ausgabe der «Winterreden» ein. Verstummt der Glockenschlag des Grossmünsters um 18 Uhr, beginnt vom 16. bis 27. Januar 2023 eine Winterrede. Jeweils eine Persönlichkeit aus Politik, Kultur oder Kunst spricht aus dem Erkerfenster des Karls. Du hast die Winterrede verpasst? Bei uns kannst du sie nachlesen!

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Leandra Bias im «Karl der Grosse» (Foto: Alexandra Li)

Liebe Mitmenschen,

Ich hätte ja nicht gedacht, dass ich das mal sagen würde, aber die russische Propaganda hat mir eine schöne Bescherung bereitet. Pünktlich zu Orthodoxen Weihnachten ging ein Werbespot viral. Ein Amerikaner will kurzfristig vor dem Fest noch eine Frau finden, die er der Familie vorstellen kann. Aber wo soll er die denn jetzt herholen? Natürlich, auf der Datingapp Tinder. Wir sehen, wie er dort durch die Profile von ausschliesslich transgender, pansexuellen oder vermeintlich unsexy gestylten Frauen (Stichwort: Kurzhaarfrisur und wer kennt diese Monster nicht) swipt. Verzweifelt ruft er: Ich suche einfach eine normale Frau! Und landet prompt in einem Flug nach Moskau. Angekommen im Land der patriarchalen Träume, hat er nur noch eine Überforderung: der Amerikaner ist nun auf einem Eisfeld, umzingelt von willigen, schönen, cis-Frauen, die ihn zum Wanken bringen.

Das ist die steilste Vorlage, die mir Russland so kurz vor dieser Rede hätte liefern können. Denn die Werbung steht exemplarisch für den Kulturkampf, den Russland seit bald über zehn Jahren zur offiziellen Politik gemacht hat: Dort der degenerierte, verweichlichte Westen mit seinem Gender-Gaga, hier das heilige, starke Russland mit seinen «traditionellen Werten».

Bei der Maidan Revolution, bei der Krim-Annexion und bei der grossflächigen Invasion, jedes Mal waren «traditionelle Werte» Teil der Argumentation.

Als die Ukrainer*innen 2013 gegen einen korrupten Präsidenten demonstrierten, der sich im letzten Moment von Russland hatte einschüchtern lassen, war das für Russland keine Selbstbestimmung. Sondern eine drohende «Homodiktatur», die bald auch nach Russland schwappen könnte.

Kurz bevor die Krim annektiert wurde, sagte der russische Aussenminister Lawrow, die russische Gesellschaft müsse beschützt werden vor Europas Weigerung, «traditionelle Werte» anzunehmen.

Und schliesslich kam der 24. Februar 2022 und zwei Stunden nach Mitternacht sagte Putin folgende Worte: Der Westen «versucht, unsere traditionellen Werte zu zerstören und uns seine Pseudowerte aufzudrängen, die uns, unser Volk, von innen zerfressen sollen, […] denn sie widersprechen der Natur des Menschen. Dazu wird es nicht kommen, das hat noch niemand je geschafft. Auch jetzt wird es nicht gelingen.»

Putin führte die «traditionelle Werte» also ins Feld, um die angebliche Gefahr, unter der Russland litt, darzustellen und im nächsten Atemzug einen Aggressionskrieg als nötigen Präventivschlag darzustellen.

Meine These ist darum, dass der Anti-Feminismus, das Heraufbeschwören eines Kulturkampfes mit dem Westen, ein fester Bestandteil der russischen Strategie ist. Und dass das nicht ein allein russisches, sondern ein globales Phänomen autoritärer Strömungen ist. Deshalb nenne ich meine Rede eine «feministische Analyse als Antwort auf autoritäre Aggression». Denn wenn wir das anti-feministische Element erst mal verstehen, können wir auch besser reagieren.

Ich werde diese These hier in drei Schritten vortragen:

  1. Worum geht es überhaupt?
  2. Warum funktioniert es?
  3. Was können wir tun?
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Leandra Bias an ihrer Winterrede (Foto: Alexadra Li)

Worum geht es überhaupt?

Also zunächst einmal, worum geht es hier überhaupt? Es geht um ein autoritäres Regime, das einen Angriffskrieg im Namen der Verteidigung «traditioneller Werte»führt und damit behauptet, dass der Krieg gerechtfertigt, ja gar notwendig ist, und vorallem, dass er eben nicht gegen die Ukraine als solche ist, sondern gegen den Westen als Ganzes. Die Ukraine ist hier einfach der tragische Spielball des perversen Westens.

All das geschah nicht aus dem nichts. Russland hat den «Kulturkampf» mit dem pervertierten Westen seit spätestens 2012 zur Staatsdoktrin gemacht. Was geschah damals? Putin hatte sich gerade zum dritten Mal zur Präsidentschaft gemogelt und das Land erlebte die grösste Protestwelle seit Jahren. Es war klar, dass er seine Macht festigen musste. Also schloss er eine inoffiziellen Koalition mit der Russisch-Orthodoxen Kirche.

Darauf wurde Anti-Feminismus zum Programm. In Worten und Taten.

In Worten wurde Gender gleichgesetzt mit einer militärischen Waffe. Der Kreml begann über Gender als ein besonderes perfides Machtinstrument des Westens zu sprechen. Etwas das über ausländische Agent:innen – sprich die Feministinnen im eigenen Land – importiert werden kann und etwas, das, sollte es sich erfolgreich ausbreiten, so mächtig wäre, dass es die ganze Nation zum Zusammenbruch führen würde. Gleichstellung ist aus dieser Perspektive also kein universelles Menschenrecht, sondern eine schlaue Strategie, unschuldige Völker von «innen zu vergiften». So kam es, dass 2013 der Russische Sicherheitsrat, also das höchste politische Organ, offiziell befand, dass Russland eine «nationale moralische Abwehrstrategie» benötige.

Auf die Worte folgten auch Taten. Ein Gesetz gegen «ausländische Agenten» brandmarkte alle Organisationen, die politisch aktiv waren (was auch immer das bedeutete) und Geld aus dem Ausland erhielten. Das wurde bewusst gegen feministische Organisationen eingesetzt. Ein Gesetzt wurde eingeführt, dass die sogenannte «Gay Propaganda» verbot und effektiv bedeutete, dass man gegenüber Minderjährigen nur noch über Heterosexualität sprechen durfte. Gleichzeitig wurden neu die «Verletzung der religiösen Gefühle von Gläubigen» kriminalisiert. Das öffnete natürlich Tür und Tor für völlig willkürliche Strafverfolgung.

Ungestraft blieb hingegen häusliche Gewalt. Russland ist neben Belarus das einzige Land der ehemaligen Sowjetunion, das noch kein Gesetz gegen häusliche Gewalt kennt. 2017 wurde der Straftatbestand für Prügel unter Familienmitglieder sogar zu einer einfachen Ordnungswidrigkeit runtergestuft. Solange der Täter zum ersten Mal innerhalb eines Jahres zuschlägt und/oder es nicht so schlimm ist, dass es als Körperverletzung gelten kann, wird er genauso gebüsst, wie wenn er am falschen Ort geraucht hätte.

So weit so schlecht, aber…

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Winterrede am Freitag, 20. Februar (Foto: Alexandra Li)

Warum funktioniert es?

…warum funktioniert das? Warum hat Putin den Anti-Feminismus als Strategie des Machterhalts gewählt?

Zunächst einmal, nur damit das klar: Es ist nicht so, dass Putin 2012 aufwachte und plötzlich zum Anti-Feminismus wechselte aber davor eigentlich total für Gleichstellung war. Logischerweise ist Geschlechtergerechtigkeit immer unvereinbar mit einem autoritären Weltbild.

Aber in meiner These sage ich eben, dass es nicht nur intrinsische, sondern auch strategische Gründe für Autokrat:innen gibt, anti-feministisch zu politisieren. Anti-Feminismus erzielt mindestens folgende Effekte.

1. Anti-Feminismus macht das eigene autoritäre Regime natürlich, legitim und sogar notwendig;

Russland argumentiert so: Der Westen ist pervers, weil er Gleichstellung anstrebt. Was erzeugt das? Naja, wenn der Westen degeneriert ist, dann wird Russland überlegen: sozusagen das letzte Bollwerk der Christlichen Werte. Hier wird es zum Teil richtig paradox: Putin wettert zwar gegen den Westen, aber stilisiert sich gleichzeitig zum letzten Verfechter der Westlich-christlichen Tradition, weil die übrigen ja zu verweichlicht dafür sind. Er wird quasi zu unserem Märtyrer.

Aber fast wichtiger ist, dass dem Westen vorgeworfen wird, dass er Gender in andere Länder exportiert, um sie zu unterwandern. Mit anderen Worten: Geschlechtergerechtigkeit wird zum Synonym für Westlichen Imperialismus. A la: hier sind sie wieder die westlichen Missionar:innen, die uns unterdrücken und unsere eigenen Traditionen zerstören. Das trifft berechtigterweise auf offene Ohren.

Was erzeugt das wiederum? Es verschleiert zum einen den eigenen russischen Imperialismus. Und zum anderen dient es als das, was ich die autoritäre Abkürzung nenne: Wenn Geschlechtergerechtigkeit nur ein weiteres der westlichen Machtinstrumente ist, dann gilt das eben für die gesamte Idee der Demokratie. Das alles ist dann nur Gefasel um westliche Machtansprüche zu vertuschen. Somit kann man sagen, um uns selbst zu schützen und souverän zu bleiben, sind wir nicht nur gegen eure «Gender-Ideologie», sondern eben gegen die gesamte Demokratie. Der Westen wird sozusagen entblösst, seiner wahren Absichten überführt und im Gegenzug steht Russland als wahrhaftiger da. Zwar verspricht es kein besseres Leben, aber wenigstens tut es gar nicht erst so, als ob das möglich wäre. Es gilt die totale Konservation und Apathie, veranschaulicht im Erhalt «traditioneller Werte».

2. Anti-Feminismus ermöglicht die Verfolgung von Feminist*innen und ist darum bestes Gegengift für Autokrat:innen;

Feminist:innen und ihre Organisationen werden seit bald zehn Jahren spezifisch verfolgt und als Verräterinnen beschimpft.

Die Schraube wurde seit dem grossflächigen Angriff weiter angezogen: Das Anti-Gay Propaganda Gesetz sieht neu vor, dass allgemein nicht mehr öffentlich positiv oder neutral über LGBT Realitäten gesprochen werden darf. Es trifft nun also auch auf Medien, Forschung und online Foren zu. Das Gesetz gegen ausländische Agenten wurde auch ausgeweitet. Neu bezieht es sich nicht mehr nur auf Organisationen, sondern auch auf Individuen und es muss nicht einmal ausländisches Geld im Spiel sein. Allein der Verdacht auf ausländischen Einfluss (sprich ein gewisses Gedankengut) reicht aus. All das macht feministische Aktivitäten noch unmöglicher denn zuvor.

Und das wiederum zahlt sich für Autokrat:innen aus. Wir gingen lange davon aus, dass sich Geschlechtergerechtigkeit und Demokratie zwar gegenseitig befruchten, aber nicht unbedingt bedingen. Dank neuster Forschung dämmert uns aber, dass Demokratisierung viel stabiler und nachhaltiger ist, wenn Frauen sowohl an der Protestbewegung wie auch danach beteiligt sind. Deshalb ist es für Putin und seinesgleichen geradezu effizient, gegen Feminismus vorzugehen: so werden Demokratiebestrebungen bereits im Keim erstickt. Der Iran ist da gerade ein Paradebeispiel.

3. Anti-Feminismus macht Angriff im Namen der Verteidigung möglich und säht den nötigen Boden für Gewalt

Am elften Tag des russischen Einfalls in die gesamte Ukraine, sagte der Moskauer Patriarch, dass die Welt in zwei Kräfte geteilt sei: eine gut und heilig und eine böse und sündhaft. Mächtige Kräfte bedrohten Russland und seine Gläubigen, um sie vom aufrichtigen Pfad abzubringen, indem sie ihnen ein Regime von Freiheiten aufzwängten, in denen das Durchführen von Pride-Paraden der ultimative Horror sei.

So funktioniert die anti-feministische Argumentationslogik. Ahaa so war das: Die Bomben, die Russland zeitgleich auf die Ukraine abwarf, waren eben in Wahrheit ein Präventivschlag gegen Pride-Paraden; die Verbreitung der Gender-Ideologie eben gleich bedrohlich wie die Nato-Erweiterung. Die Ukraine war gemäss dieser Logik der Homokratie und Gayropa bereits verfallen und musste von dieser Perversion befreit werden, sonst wäre als nächstes Russland an der Reihe.

Schuld ist also das Opfer. Genau wie es Russland seit jeher kennt, denn es ist sich die Straflosigkeit der schlagenden Täter gewohnt. Wenn häusliche Gewalt wie eine Parkbusse bestraft wird, setzt sich die Überzeugung durch, dass der Mann nicht nur in der Familie alles darf, sondern eben auch der Machthaber: er kann zwangsrekrutieren, Männer wie Kanonenfutter benutzen, das sogenannte «Brudervolk» zu Boden bombardieren und sexualisierte Gewalt anwenden. Das alles wird ungestraft bleiben, denn das System ist immer auf der Seite der Gewalttätigen.

4. Und abschliessend: Anti-Feminismus ermöglicht transnationale Allianzen

Alles, was ich bisher beschrieben habe, ist zwar am Beispiel Russlands aufgezeigt, aber es ist mir wichtig zu betonen, dass das kein rein russisches Phänomen ist. Anti-Feminismus ist ein sehr weit verbreitetes Problem und deshalb sollten wir es doppelt so ernst nehmen.

Wenn der russische Aussenminister Lawrow kürzlich sagte, am meisten hätten ihn auf seiner Reise in Schweden die genderneutralen Toiletten gestört dann ist das kalkuliert. Er bedient hier auch ein ausländisches Publikum, denn Anti-Feminismus stösst bei allen, die mit der liberalen Entwicklung ihrer eignen Demokratien nicht einverstanden sind, auf offene Ohren: von Rechtspopulist:innen bis Incels. Putin wird sowohl in der Weltwoche wie auch auf Fox News gefeiert, denn sein Russland entspricht ihrer Fantasie von hierarchischer, gewaltvoller Ordnung.

Das Widersprüchliche ist hier tatsächlich, dass Russland ständig betont, es handle sich um «traditionelle russische Werte», aber sie entstammen einem völlig globalen Netzwerk und habe kein Alleinstellungsmerkmal. Bezeichnend dafür ist der Weltkongress der Familien. Darin finden sich Evangelikale aus den USA, Lateinamerika, Afrika aber eben auch Orthodoxe Russen und sie überlegen gemeinsam, wie sie Geschlechternormen aufhalten und wieder rückgängig machen können: von Abtreibungsrechten, über gleichgeschlechtliche Ehe hin zu Transrechten und sexueller Aufklärung.

Und sie tun dies mit Erfolg. Nicht zuletzt auch, weil sie viel Geld haben. Bereits über 700 Millionen hat das Netzwerk in Europa allein investiert, um u.a. Ärzt:innen bei Gerichtsverfahren zu unterstützen, wenn sie Abtreibungen aus Gewissensgründen verweigern. Davon können 180 Millionen auf russische Geldgeber zurückverfolgt werden. Aber all das ist ziemlich sicher nur die Spitze des Eisbergs.

So betrachtet, erstaunt es nicht mehr, dass ähnliche anti-feministische Argumente und Vorstösse an unterschiedlichen Orten gleichzeitig auftreten:

  • Gender-Ideologie wird als Feindbild auch in Brasilien, aber auch in Polen, der Türkei und Ungarn bedient
  • In den USA wurde letzten Sommer das fundamentale Recht auf Abtreibung widerrufen und in Italien berufen sich mittlerweile über 60 Prozent aller Ärzt:innen auf ihr Gewissen, um Schwangerschaftsabbrüche zu verweigern
  • Und auch hier in der Schweiz werden zwei Initiativen für eine Verschärfung von Abtreibungen lanciert und selbst der Bundesrat findet, es sei nicht an der Zeit für einen dritten Geschlechtseintrag, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Anti-Feminismus ist daher ein zentrales Instrument, nicht nur im System Putin. Vielmehr sollten wir die Angriffe auf Geschlechtergerechtigkeit unbedingt als wichtige Kampfschauplätze des wachsenden Autoritarismus verstehen und als mächtige Beispiele dafür, was er im Endeffekt erreichen möchte: eine zutiefst illiberale Zukunft.

Und schliesslich was können wir tun?

So und jetzt stehen wir völlig erschlagen und hoffnungslos da. Und es ist erst noch kalt. Darum komme ich zum Schluss noch zum Punkt, was wir denn tun können.

Erstens sollten wir uns nicht vormachen, dass bisher alle Errungenschaften linear oder kampflos erfolgten. Es gab schon immer massive Gegenströmungen gegen die Demokratie, gegen den Feminismus, gegen jegliche Form der Emanzipation. Und auch in Zeiten, als sich gewisse Frauen neue Rechte erkämpften, galten diese nicht für alle Frauen. Unterdrückung war also immer auch Teil der Geschichte, der Feminist:innen aber auch immer wieder trotzten. Es braucht also etwas Mut.

Zweitens bin ich tatsächlich sehr zuversichtlich. Denn entgegen der Behauptung Autoritärer, hat sich das Interesse für Demokratie nicht erschöpft. Wir werden uns ihres Wertes gerade eher schmerzhaft bewusst. Damit kann auch ein Kosmopolitismus von unten erstarken. Und das heisst jetzt nicht, dass wir alle apple Watches abfeiern. Sondern dass wir uns unseren Mitmenschen, über Grenzen, sowohl nationale wie auch identitäre, hinweg zuwenden, weil wir erkennen, dass «im Unterscheid zwischen mir und dem Anderen kreative Spannung und Quelle für einen gemeinsamen Kampf» entstehen kann, wie Sheila Benhabib neulich sagte. Es braucht also etwas Zuwendung.

In diesem Sinne: wenn, Angriffe auf Geschlechtergerechtigkeit gleichzeitig lokal, national und international stattfinden, dann können wir dem auf all diesen Ebenen auch etwas entgegensetzen. Ich ziehe zum Schluss meinen akademischen Hut ab und gebe euch ein paar Ideen als Mitbürgerin [tauscht einen bordeauxroten Hut im 1920er Stil gegen ein STREIK! Käppi vom feministischen Streikkollektiv Zürich].

Lokal könnt ihr beim feministischen Streik am 14. Juni mitmachen. Und euch ganz allgemein auf Gespräche einlassen, von denen ihr vielleicht mal dachtet, sie seien lächerlich.

National können wir stimmen und wählen und dafür sorgen, dass klar wird, dass die Schweizer Bevölkerung für das Menschenrecht auf Abtreibung ist. Wir können kritisch fragen, wofür die Mittel fehlen werden, wenn das Militärbudget aufgestockt wird. Wessen Sicherheit hier ernst genommen wird, und wessen ungehört bleibt, wenn uns gleichzeitig über 800 Plätze in Frauenhäusern fehlen.

International können wir uns solidarisch zeigen und eine Aussenpolitik einfordern, die bestehende Normen aufrechterhält und verteidigt; eine Politik, die den Schutz der Menschenrechte, des Rechtsstaates und der Demokratie als Hauptpfeiler sieht und diese nicht gegen wirtschaftliche Interessen aufwiegt. Denn diese Rechnung geht nicht auf. Ich hatte die grosse Ehre die ukrainische Friedensnobelpreisträgerin Oksana Matviitschuk letzten Freitag persönlich zu treffen. Sie kämpft für eine Ergänzung im internationalen Recht. Denn nichts ist für uns alle gefährlicher, als wenn Russland ungestraft davonkommt. Dazu braucht es Dinge, die wir bisher nicht kennen: u.a. ein Spezialtribunal für Angriffskriege. Wir können uns als Zivilgesellschaft hinter diese Forderung stellen.

Wie sie sagte: «Unsere Werte sind dann am wichtigsten, wenn es eben nicht einfach ist, nach ihnen zu leben, sondern dann, wenn’s richtig hart ist. Wir dürfen keine Spiegel der Aggressoren sein». Und wir sollten uns daran erinnern, dass wer auch immer seine Ordnung, seine Gültigkeit mit Gewalt durchsetzen muss, der ist im Grunde zutiefst schwach.

Ich glaube an uns. An die Demokratie. Die Menschlichkeit. Und verabschiede mich mit Mut und in Zuwendung von euch. Danke für eure Aufmerksamkeit, und danke dir, grosse Karla, für diese Gelegenheit.

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