Wer schuld ist an der Wohnungsnot? Spoiler: Es ist nicht die Zuwanderung

«Wir haben Wohnungsnot, und Grund dafür ist die Zuwanderung.» Wo über Wohnungsnot geschrieben wird, ist dieser Erklärungsversuch in letzter Zeit nicht weit. Aber diese haarsträubende Begründung macht mich traurig und hässig. Wie wird mit diesem Argument versucht, unsere Not politisch zu instrumentalisieren? Ein Gast-Kommentar von «Mieten Marta».

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(Bild: zvg)

Ende 2022 wohnten über 443’000 Menschen in der Stadt Zürich, meldete das Amt für Statistik. So viele waren es seit 1962  nicht mehr. «Grund dafür ist die hohe Zuwanderung», heisst es nun landauf landab im öffentlichen Diskurs. Und zwei, drei Gedanken später glauben wir bereits, die Zuwanderung sei auch der Grund für die Wohnungsnot. 

Das ist eigentlich ein klassisches SVP-Argument. Übersetzt heisst das: Die Ausländer:innen sind schuld! Dieses SVP-Argument ist salonfähig geworden. Ich lese es im Tagesanzeiger, ich höre es vom SRF-Moderator, es springt mir schweizweit in News-Headlines entgegen.

Damit werden allzu plumpe Argumente bedient: nämlich dass die wachsende Nachfrage nach Wohnungen das Hauptproblem sei; dass ein kleiner werdendes Angebot an freien Wohnungen naturgemäss die Preise steigere (it’s the market, baby!); und dass an alledem die Zuwanderung schuld sei.

Das ist alles Unsinn! Und ich erkläre euch gerne auch warum:

  • Es gibt alleweil in der Schweiz genug Platz und Ressourcen für uns alle und mehr. Es gäbe sogar, ohne eine einzige neue Wohnung zu bauen, genug Platz für eine zusätzliche Million Menschen, wenn wir beispielsweise alle im Schnitt auf 6 Quadratmeter Raum verzichten würden (41 statt 47 Quadratmeter pro Person) – sagt der Verein Countdown 2030, der sich unter anderem gegen unnötige Abrisse stark macht. Ein wichtiger Punkt ist also unser steigender Wohnraumverbrauch und die stetige Haushaltsverkleinerung (also weniger Personen pro Wohnung und mehr Platz pro Person). Übrigens hatte die Stadt Zürich schon einmal so viele Einwohner:innen wie heute. Nämlich 1962. Bloss waren die Menschen damals auf viel kleinerem Wohnraum. Die aktuelle Wohnungsnot hinterfragt also zunächst einmal den Flächenverbrauch vieler gut situierter Menschen. Doch stop, die Wohnungsnot ist natürlich nicht nur von den neuen Gewohnheiten abhängig! Denn: 
  • Der Boden wird nicht effizient genug bebaut. So werden zum Beispiel immer grosszügigere Wohnungen gebaut, aber mit Grundrissen, die kein verdichtetes Wohnen zulassen (zum Beispiel Lofts und grosse, offene Wohn-Küchen-Landschaften oder gefangene Zimmer). Grundrisse also, die sich für  Einzelpersonen oder Paare eignen, nicht aber für grosse Familien, Wohngemeinschaften oder andere gemeinschaftliche Wohnformen.
  • Doch es fehlt ja nicht nur am Angebot, sondern das bestehende Angebot ist auch viel zu teuer. Illegal teuer in der Schweiz nämlich, weil der Wohnungsmarkt ungenügend kontrolliert wird: Gemäss Mietrecht dürfte man nämlich nicht einfach mit den Mietzinsen hoch, nur weil die Nachfrage steigt – die Rendite ist gesetzlich gedeckelt. Trotzdem steigen die Mieten fortwährend, was wiederum für Investor:innen Anreize setzt, im Hochpreissegment zu bauen. 
  • Und das Grundproblem hinter allem: Wir haben die Bodenpreise nicht im Griff. Sie steigen und steigen, weil damit spekuliert wird, als wäre es ein Luxusgut und nicht eine begrenzte natürliche Ressource. Diese steigenden Bodenpreise führen mit etwas Verzögerung immer zu steigenden Mieten (irgendwo muss man die Investition ja wieder rein holen) und lassen sich auch nicht mehr wirklich umkehren. (Übrigens: Über diese und weitere Fakten der Wohnungsnot informiere ich vorzu über Instagram oder Twitter. Folge mir gerne, wenn du mehr wissen willst.)
  • Nicht zuletzt wird Bauen komplizierter, weil wir auf die Klimakrise reagieren müssen, und durch steigende Zinsen, Energie- und Materialkosten (seit dem Ukrainekrieg) wird Bauen immer teurer – weshalb entweder weniger gebaut wird als bisher, oder teurere Wohnungen entstehen. 

In diesen Bereichen sind die Verantwortlichen zu suchen. Nicht bei der wachsenden Bevölkerung – und schon gar nicht bei der Zuwanderung. 

Und um das zum Schluss auch noch klipp und klar zu sagen: Die Zuwander:innen kommen nicht, um uns unsere Wohnungen wegzunehmen. Sie kommen, weil unser Wirtschaftssystem auf mehr Arbeitskräfte angewiesen ist, als es selber hervorbringt. Die Zuwander:innen sind also systemrelevant. Und es wird nicht alt, was Max Frisch schon vor 60 Jahren gesagt hat: «Wir riefen Arbeitskräfte und es kamen Menschen.» Diese sind existenziell auf Wohnraum angewiesen, wie alle.

Es wird auch nicht alt, was die SP-Nationalrätin Jacqueline Badran schon seit vielen Jahren sagt: Das Kapital kann sich auf der Welt frei bewegen, und die Menschen müssen dem Kapital hinterher wandern. Ob dieses System nun Sinn macht, gerecht ist, zukunftsfähig ist – das sind ganz andere Fragen. Zum Beispiel profitiert die Schweiz damit stark von einem ‹brain drain› an anderen Orten, was global betrachtet auch nicht fair ist. Umso mehr appelliere ich daran, nicht der ‹Zuwanderung› die Schuld an der Wohnungsnot zu geben, sondern stattdessen die geltenden Gesetze umzusetzen, die Bodenpreise in den Griff zu bekommen und uns überhaupt für ökologisches wie soziales Bauen stark zu machen. 

Die Mieten Marta ist ein Rechercheblog für das Recht auf Wohnen
: Für bezahlbaren Wohnraum in Zürich, gegen Mietenwahnsinn und Verdrängung.

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