Architektur-Kolumne: Frühlingserwachen im Uetlihof - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von ZAS*

Kolumnist:innen

15. April 2023 um 06:00

Uetlihof-Komplex: Der letzte Credit Suisse Honig

Der Bürokomplex Uetlihof wurde in den letzten Monaten immer wieder Gegenstand politischer Diskussionen. Was dabei oft vergessen geht: Rund um das Gebäude ist ein Lebensraum für unzählige bedrohte Tier- und Pflanzenarten entstanden. Grund genug, sich den Park einmal genauer anzuschauen, finden unsere Kolumnist:innen der ZAS*.

Der Uetlihof, hineingebaut in eine Lehmgrube der Zürcher Ziegeleien, ist Teil der Topografie geworden. (Foto: Bildarchiv der ETH-Bibliothek Zürich)

Die Berichterstattung um das Drama der Credit Suisse im letzten Monat war geprägt von abstraktem Finanzvokabular, wie «Liquiditäts-Fazilitäten», «Coco-Bonds» oder «AT1-Wandelanleihen». Eine Sprache, mit der die wenigsten Menschen vertraut sind, geschweige denn verstehen, was sich in den Köpfen der Manager:innen oder hinter den Fassaden der Banken abspielt. In den Schlagzeilen dominierte das Bild des klassizistischen Baus der Credit Suisse am Paradeplatz, der sich in den dunklen Scheiben der benachbarten UBS spiegelt. Das rote Emblem mit den Schlüsseln verschlingt dabei das Weisse mit den beiden Segeln.

«Bis letzte Woche waren wir ein kleines Land mit zwei Grossbanken. Jetzt sind wir eine Bank, die auch noch ein Land hat», sagte der Präsident der SP, Cédric Wermuth, in einem Interview zum Onlinemagazin Watson.

Der Deal des Uetlihofs

Ein konkreter physischer Ort, an dem sich das Geschehen rund um das Ende der Grossbank abspielte, ist nur wenige Tramstationen vom Paradeplatz entfernt, am Fuss des Uetlibergs. Dort thront auch nach dem Sturz der mächtigen Grossbank ein prächtiger Bürokomplex aus den 70ern, genannt Uetlihof. Dieser wurde 1970 von der Kreditanstalt, dem Vorgänger der Credit Suisse, in Auftrag gegeben und in einer ehemaligen Lehmgrube der Zürcher Ziegeleien gebaut. Für die geforderte Umzonung musste die Kreditanstalt die Bedingung erfüllen, 500 Wohnungen zu erbauen, die während 30 Jahren einer Mietzinskontrolle unterstehen. Die Wohnungen entstanden 1979 im heutigen Brunaupark und sind im Begriff, teilweise abgerissen zu werden.

Im Jahr 2012 verkaufte die Credit Suisse den Bürokomplex an den Norwegischen Staatsfond, während sie den Brunaupark als sichere Geldanlage behielt. Der Staatsfond derweil wollte den Uetlihof 2021 wieder abtreten, da die Bank als Mieterin ein zu grosses Risiko darstelle. So kam es dazu, dass die Regierung auf den Plan trat. Der Zürcher Stadtrat interessierte sich für die enorme zusammenhängende Parzelle als Landreserve, doch der Kredit, den die Stadt hätte aufnehmen müssen, wurde im Parlament abgelehnt. 

Wo im Jahr 1933 noch Lehmabgebaut wurde, blüht heute das Leben. (Foto: Bildarchiv der ETH-Bibliothek Zürich)

Zeit also, um sich den Schatten-Schauplatz mal genauer anzusehen. Im Gegensatz zum Finanzplatz Schweiz, der sich noch immer in winterlicher Schockstarre befindet, entfaltet sich der Park rund um den Uetlihof im Moment in seiner vollen Pracht. Ein Ort mit betörendem Bärlauchduft, quakenden Fröschen, leuchtenden Blumen und surrenden Libellen – ein untrügliches Zeichen, dass der Frühling naht.

Ein System im Gleichgewicht

Der Garten auf und um den Uetlihof ist 50 Jahre lang herangewachsen. Die Steine am Teich sind mit Moos bedeckt, bedrohte Hagebuttensträucher (Rosa Callicea) nähren sich vom lehmigen Boden. Weiden, Feldahorn, Birnbaum, Kirschbaum und Esche, alle mit dem Neubau gesetzt, stehen jetzt vor der Grossbank. Sie waren Teil des Plans der Landschaftsarchitekt:innen. Üppige Bepflanzung drängt sich bis an das Gebäude heran, die Grenze zwischen Fischteich und Mensa zerfliesst in der Spiegelung der Gläser. Ein Schild vor dem Teich gibt unter dem Titel «Economy meets Ecology» folgende Erklärung ab: «(...)Die Pflanzen liefern sich gegenseitig einen Verdrängungskampf. Erfolgen nicht regelmässige Pflegeeingriffe, entwickelt sich der Naturpark innert wenigen Jahren zu Wald. Die naturgerechte Pflege, bei der jeweils die Ansprüche der heimischen Pflanzen berücksichtigt werden, stellt ein Gleichgewicht her und gibt seltenen Arten eine Überlebenschance.» 

Die kontrollierten Eingriffe haben dem Ökosystem ein Gleichgewicht verliehen, die tägliche Pflege des Gartens trägt zu diesem Wachstum bei und ermöglicht einen lebendigen Kosmos, der sich auf lehmigem Boden entwickeln konnte. Kontrollierten Eingriff und Gleichgewicht als Vokabular in Bezug auf die Credit Suisse anzuwenden, erscheint blasphemisch, doch neben dem abstrakten Finanzsystem funktioniert der Uetlihof und Brunaupark als ein physischer Ort, der von äusseren Eingriffen, Kontrolle und öffentlichen Interessen geprägt ist. In gewisser Weise stabilisierte die Credit Suisse ihre Umgebung während eines halben Jahrhunderts. Genug Zeit, dass im Zuge dessen ein bezauberndes Ökosystem entstehen konnte.

«Denkt man die Fassaden weg, ist nicht mehr eindeutig erkennbar, wo die Landschaft beginnt und wo die 70er-Jahre-Architektur endet. »

ZAS*

Der terrassierte Garten zieht sich in das nahegelegene Laichgebiet an der Zürcher Allmend, in die Waldzone am Üetliberg und in den darunter liegenden Teich im Brunaupark, wo günstiger Wohnraum, seltene Amphibien und japanische Fischbestände koexistieren. Im Juni schlüpfen dort Kaulquappen und Graureiher. Ringelnattern schnappen sich Frösche und Kröten. Der Albino-Koi-Karpfen im Teich ist wegen seines genetischen Defekts ein Unikat. Drei Gärtner:innen, Teil des Facility Managment der Credit Suisse, bewirtschaften liebevoll den Ort. Neophyten wie das einjährige Berufkraut und der wuchernde japanische Staudenknöterich werden sukzessive zurückgeschnitten. Libellen surren um den Teich, rund 300’000 Arbeitsbienen produzieren den firmeneigenen letzten CS-Honig und Schafe werden im Sommer eingesetzt, um das Landschaftsbild zu vervollständigen und den Rasen zu mähen.

All diese Akteur:innen sind Teil eines bisher funktionierenden, zusammenhängenden Systems, die Schweizer Grossbank ist bisher Teil davon gewesen. Unter den grasenden Schafen und dem dichten Wurzelwerk liegt unsichtbar das Fundament des Systems, eine mächtige Tiefgarage, die das ganze Gewebe verbindet.

Es wird vermutet, dass die babylonischen Gärten mehrere hundert Meter hoch waren und von weitem wie ein grüner Berg aussahen. (Bild: Wikipedia)

Nach der Ölkrise 1973 wurde das Bewusstsein für die begrenzte Verfügbarkeit von Energie einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Angesichts der Erkenntnis, dass natürliche Ressourcen begrenzt sind und verschwendet werden, gewannen ökologische Initiativen sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaft an Bedeutung und wurden zu begehrten Auszeichnungen in öffentlichen Angelegenheiten. Die Credit Suisse weist auf ihrer Website nicht ohne Stolz darauf hin, dass der im Jahr 1979 eröffnete Bau «landschaftsgestalterisch preisgekrönt» in die Ausläufer des Uetlibergs eingebettet ist und begrünte Innenhöfe in den Gebäude-Waben integriert.

Die Szenerie mit den abgetreppten und bewachsenen Waben-Terrassen, die hinunter zum Weiher des Brunauparks führen, erinnert an antike Beschreibungen der hängenden Gärten von Babylon. Jede Ebene ist mit Pflanzen, Bäumen und Blumen bepflanzt und mit aufwändigen Bewässerungssystemen ausgestattet. Es wird vermutet, dass die babylonischen Gärten mehrere hundert Meter hoch waren und von weitem wie ein grüner Berg aussahen, ähnlich wie der ganze Uetliberg, wenn man ihn aus der Ferne betrachtet. 

Das Gebäude, hineingebaut in die ehemalige Lehmgrube der Zürcher Ziegeleien, ist Teil der Topografie des Uetlibergs geworden. Die von Lehmabbau geformte Topografie wurde in der unmittelbaren Nachbarschaft, beispielsweise der Binzgrube, unter Schutz gestellt. Das gigantische Volumen bleibt im städtischen Gefüge erstaunlich unauffällig – ganz im Gegensatz zur Erweiterung des Uetlihofs aus dem Jahr 2008, die etwas verloren und Objekthaft neben der Lehmgrube steht. In den Hang gesetzte, treppenartige Strukturen gibt es seit der Antike in der ägyptischen, aztekischen und assyrischen Architektur. Ab den 50er-Jahren entstanden verwandte Typologien im Kontext der brutalistischen Architektur. 

Wertvolles Potenzial

Eine Reihe Architekten:innen entwickelten neue Ideen, um die Architektur neu zu beleben, den rohen Beton in der städtischen Umgebungen integral mit Leben und Farbe abzumildern und den Modernismus in ein verlorenes Arkadien zurückzubringen. Das Barbican Centre London von 1982, bei dem über Laubengänge und Balkone üppige Vegetation zu grossen Teichanlagen herunter strömen, oder die gezackten und bepflanzten Terrassen der Wohngebäuden von Jean Renaudie und Renee Gailhoustet in Ivry-sur-Seine, Paris, erbaut im Jahr 1976, sind herausragende Projekte aus derselben Zeit, in der bewachsene Terrassen integraler Bestandteil der Architektur waren. 

Was birgt die Zukunft für Gebäude wie den Uetlihof? Eine Frage, die durch den erodierenden Finanzplatz Schweiz längerfristig gestellt werden muss. Denn solche Bauwerke haben wertvolles Potenzial zur Transformation. Ein solches wurde beim bereits abgerissenen Büromonster der Zurich Versicherungen einst nicht erkannt.

Sind das nicht genau jene Potenziale, von denen heutige Architekt:innen träumen? Gebäude, die sich scheinbar nahtlos in ihre Umgebung einfügen und zum Lebensraum für Pflanzen und Tiere werden. Denkt man die Fassaden weg, ist nicht mehr eindeutig erkennbar, wo die Landschaft beginnt und wo die ikonische 70er-Jahre-Architektur endet. Die bestehende Struktur kann Raum für multiple Zukünfte bieten. Die hängenden Gärten von Babylon könnten heute Büro-, Park- und Wohnlandschaften sein.

(Foto: zVg)

ZAS* ist ein Zusammenschluss junger Architekt:innen und Stadtbewohner:innen. Unter ihnen kursieren heute verschiedene Versionen darüber, wo, wann und warum dieser Verein gegründet wurde. Dem Zusammenschluss voraus ging eine geteilte Erregung über die kurze Lebensdauer der Gebäude in Zürich. Durch Erzählungen und Aktionen denkt ZAS* die bestehende Stadt weiter und bietet andere Vorstellungen an als jene, die durch normalisierte Prozesse zustande gekommen sind. Um nicht nur Opposition gegenüber den offiziellen Vorschlägen der Stadtplanung zu markieren, werden transformative Gegenvorschläge erarbeitet. Dabei werden imaginative Räume eröffnet und in bestehenden Überlagerungen mögliche Zukünfte lokalisiert. Die Kolumne navigiert mit Ballast auf ein anderes Zürich zu und entspringt einem gemeinsamen Schreibprozess. Zur Kontaktaufnahme schreiben an: [email protected]

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