Zürichs Absage an Gaza-Kinder offenbart humanitäres Versagen
Die SVP-Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli soll die Aufnahme verletzter Kinder aus Gaza in Zürcher Spitälern vorerst abgelehnt haben. Diese Zurückhaltung ist problematisch und zeigt: Der humanitäre Akt wird zum Feigenblatt. Ein Kommentar.
Die Bundesverwaltung plant, 20 verletzte Kinder aus dem Gazastreifen in der Schweiz medizinisch zu versorgen. Mehrere Kantone, darunter Basel-Stadt, Genf, Tessin und Wallis, haben sich bereit erklärt, einige aufzunehmen. Nicht so Zürich: SVP-Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli lehnt die Aufnahme laut Blick ab.
Über die Gründe schweigt ihr Sprecher Patrick Borer. Er erklärt gegenüber dem Blick lediglich, die Anfrage des Bundes sei «informell» erfolgt, und solche Anfragen würden grundsätzlich abgelehnt. Inzwischen ist die offizielle Anfrage eingegangen. Darüber entscheiden wird der Zürcher Regierungsrat aber erst nach den Herbstferien.
Diese Haltung wirkt kalt. Während andere Kantone schnell entscheiden, hängt das Schicksal der Kinder in Zürich von internen Beratungen und parteipolitischen Erwägungen ab. Zuwarten verzögert die Hilfe für akut verletzte Kinder und signalisiert ein fehlendes kantonales Verantwortungsbewusstsein.
Humanitäre Hilfe allein ersetzt keine politische Verantwortung
Für die Aktion sind laut einer Medienmitteilung des Bundes alle Voraussetzungen formal erfüllt: Jedes Kind kann von bis zu vier Angehörigen begleitet werden, die später Asyl beantragen könnten; WHO, Rega und Médecins Sans Frontières (MSF) organisieren Transport und Versorgung, die Sicherheitsbehörden übernehmen die Kontrolle; die Kosten trägt der Bund, die Spitäler übernehmen die Behandlung.
Jedes Kind, das hier medizinisch versorgt wird, ist ein Leben, das nicht an der Blockade von Hilfsgütern oder den Angriffen der israelischen Armee verloren geht. Diese Hilfe ist wichtig und notwendig. Doch einzelne humanitäre Aktionen entbinden die Schweiz nicht von ihrer politischen Verantwortung.
Denn während über ein Dutzend europäischer Länder gezielte Sanktionen prüfen, Rüstungsexporte einschränken und mehr als 150 von 193 UN-Mitgliedstaaten Palästina anerkennen, beschränkt sich die Schweiz auf eine Massnahme, deren Wirkung letztlich vom Wohlwollen eines Kriegsakteurs abhängt: Die Ausreise der Kinder aus Gaza ist nur möglich, wenn die israelische Regierung zustimmt. Gleichzeitig laufen Rüstungsexporte aus der Schweiz weiter, und Forderungen, Handels- und Militärbeziehungen auszusetzen oder den Staat Palästina anzuerkennen, scheitern immer wieder am Parlament.
Damit die Schweiz geschlossen handeln und echten politischen Fortschritt erzielen kann, muss Zürich Verantwortung übernehmen. Solange der Kanton als politisches Schwergewicht nicht mitzieht, bleibt das Bild nach aussen zerrissen, humanitäre Gesten wirken wie symbolische Selbstberuhigung und die Lage der betroffenen Menschen im Gazastreifen verbessert sich kaum.
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Bachelorstudium der Psychologie an der Universität Zürich und Masterstudium in politischer Kommunikation an der Universität von Amsterdam. Einstieg in den Journalismus als Redaktionspraktikantin bei Tsüri.ch. Danach folgten Praktika bei der SRF Rundschau und dem Beobachter, anschliessend ein einjähriges Volontariat bei der Neuen Zürcher Zeitung. Nach einigen Monaten als freie Journalistin für den Beobachter und die «Zeitung» der Gessnerallee seit 2025 als Redaktorin zurück bei Tsüri.ch.