«Zürich liest» feiert Jubiläum: 8 Fragen an den Festivalleiter
Seit 15 Jahren bringt das «Zürich liest» Autor:innen und Lesende zusammen. Zum Jubiläum erzählt Leiter Martin Walker, warum die Jugend wieder gerne liest und welche Events sich dieses Jahr besonders lohnen.
Kai Vogt: Am Dienstag beginnt die 15. Ausgabe von «Zürich liest». Wie hat sich das Festival seit der Gründung entwickelt?
Martin Walker: Bei der ersten Ausgabe 2011 fanden rund 140 Veranstaltungen statt, in diesem Jahr sind es 236. Diese Zahl hat sich seit einigen Jahren auf diesem Niveau eingependelt und geht mit rund 15'000 Besucher:innen pro Jahr einher. Möglich wird diese Vielfalt durch das offene Format des Festivals: Grundsätzlich kann jede:r Veranstaltungen organisieren, sofern der Jahresbeitrag bezahlt wird. Inzwischen tragen über 70 Mitveranstalter:innen zum Programm bei.
Gab es in den letzten Jahren auch grössere Rückschläge?
Tatsächlich nicht. Wir sind vergleichsweise gut durch die Pandemiezeit gekommen, «Zürich liest» konnte immer stattfinden. Zwar kam es wegen der Reisebeschränkungen während der Pandemie zu mehreren Absagen und es waren weniger internationale Autor:innen dabei, aber jedes Jahr wurde gelesen.
Welcher Themenschwerpunkt haben Sie dieses Jahr gesetzt?
Das Festival läuft dieses Jahr unter dem Motto «trotz allem». Dabei geht es um die beunruhigenden politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen unserer Zeit. Wichtige Beiträge dazu kommen von Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey und ihrem neuen Buch «Zerstörungslust». Cesy Leonard präsentiert mit «Machen Macht Mut» eine interaktive Lesung zu Mut, Empathie und Widerstand. Und Shila Behjat zeigt in «Frauen und Revolution», wie wichtig Frauen für politische Veränderungen sind.
Kennen Sie das Alter des Publikums?
Über die Hälfte unseres Publikums ist über 56 Jahre alt, rund ein Drittel sind zwischen 36 und 45, etwa 15 Prozent bis 35. Interessant ist: Mindestens drei Viertel unseres Publikums sind weiblich.
Oft hört man: «Die Jungen lesen nicht mehr.» Was ist Ihr Eindruck?
Diesen Eindruck teile ich nicht. Gerade das Genre Young Romance zeigt das Gegenteil. Das sind Liebesgeschichten in allen möglichen Variationen für ein jüngeres Publikum, das sich etwa über Booktok austauscht, viel liest und grossen Wert auf schön gestaltete Bücher legt – mit Farbschnitt, Signatur oder spezieller Ausstattung. Am Sonntag widmen wir uns diesem Trend im Gespräch mit vier Autorinnen.
Was sind die Highlights 2025?
Meine ganz persönlichen Highlights sind Leif Randt mit «Let’s Talk About Feelings». Dann der grosse Jubiläumsabend mit Franz Hohler, Fatima Moumouni, Martina Clavadetscher, Nora Osagiobare, Lia Maria Neff und Michael Fehr. Auch auf die Krimilesungen im Tram bin ich gespannt; und ich freue mich auf den Rap-Talk mit Gimma und Soukey, die über Rap als widerständige Kunstform sprechen.
Wie nehmen Sie die Zürcher Literaturszene im nationalen und internationalen Vergleich wahr?
Gerade hat Dorothee Elmiger den Deutschen Buchpreis gewonnen, auch wenn sie nicht mehr in Zürich lebt. 2022 gewann Kim de l’Horizon, 2010 Melinda Nadj Abonji. Das bedeutet was! Wir haben Autor:innen, die weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt sind, erfolgreiche Verlage und engagierte Buchhandlungen, die sich wie Trüffelschweine durch das riesige Angebot graben. Dazu kommen Institutionen, die sich voll und ganz der Literatur verschrieben haben, vom Literaturhaus über den Strauhof oder Jull bis zu «Zürich liest». Das ist national und international top.
Was braucht es, damit Zürich eine Literaturstadt bleibt?
Die Rahmenbedingungen müssen stimmen. Der Buchhandel kämpft, die Verlage sorgen sich wegen sinkender Auflagen und die Literaturvermittlung ist auf Unterstützung von Stadt, Kanton, Stiftungen und Sponsoren angewiesen. Das Fundraising wird zunehmend anspruchsvoller. Deshalb darf es auf keinen Fall zu einem Abbau der Kulturförderung kommen, im Gegenteil müssen mehr Mittel bereitgestellt werden, damit Kultur für alle auch umsetzbar ist.
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Studium der Politikwissenschaft und Philosophie. Erste journalistische Erfahrungen beim Branchenportal Klein Report und der Zürcher Studierendenzeitung (ZS), zuletzt als Co-Redaktionsleiter. Seit 2023 medienpolitisch engagiert im Verband Medien mit Zukunft. 2024 Einstieg bei Tsüri.ch als Autor des Züri Briefings und Berichterstatter zur Lokalpolitik, ab Juni 2025 Redaktor in Vollzeit. Im Frühjahr 2025 Praktikum im Inlandsressort der tageszeitung taz in Berlin.