Kreis 5: Auf die Leerkündigung folgen möblierte Studios

Lange wurden die Bewohnenden der Konradstrasse 50 über ihre bevorstehende Kündigung im Dunkeln gelassen. Dann finden sie zufällig auf der Homepage eines Architekturbüros die Umbaupläne: ihr Zuhause muss 27 möblierten Mikrowohnungen weichen.

Ein Stadthaus aus dem 19 Jahrhundert mit braunem Verputz und Graffitis
Im nächsten Monat müssen alle Bewohnenden der Konradstrasse 50 im Kreis 5 ausziehen. (Bild: Yann Bartal)

Johann Brühlmann ist umtriebig für einen 80-Jährigen. Der Grossinvestor spricht gehetzt am Telefon. Abseits des Hörers erteilt er Handwerkern Anweisungen, auch seine Frau will etwas von ihm. 

«Nachdem ich die Wohnungen 20 Jahr lang günstig vermietet habe, habe ich gesagt: Fertig, Schluss, dann müsst ihr jetzt raus», resümiert Brühlmann, der eigentlich anders heisst, aber seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will.

Vor rund 20 Jahren hat er das Haus an der Konradstrasse 50 mitten im multikulturellen Kreis 5 gekauft. Zu dieser Zeit war die Konradstrasse auch als Hanfgasse bekannt. Passanten wurden ständig von Haschdealern angegangen und in der NZZ las man immer wieder von gewalttätigen Auseinandersetzungen im Quartier. 

Zwei Jahrzehnte lang überliess Brühlmann das Haus seinem Schicksal, machte nur das Nötigste. Dafür seien die Mieten tief geblieben: Vergleichsweise günstig wohnten vor allem WGs an der Konradstrasse 50. Im untersten Stock gebe es ein Bordell, erzählt der Vermieter sachlich.

Damit sei jetzt Schluss. Noch vor zwei Jahren hatten die Mietenden wegen des Lärms einer Grossbaustelle hinter dem Haus eine Mietzinsreduktion gefordert. Als Brühlmann erfährt, dass er dem Kanton eine Mietzinsreduktion nicht weiterverrechnen könnte, zieht er einen Schlussstrich.

«Das geht doch nicht. Jetzt muss ich wegen des Staats eine Mietzinsreduktion geben», schimpft Brühlmann. Eine umfassende Sanierung schwebte ihm schon lange vor und jetzt sei der Moment gekommen. Der Eigentümer kündigte allen Mietenden für eine umfassende Sanierung. Einzig das Bordell im untersten Stock kann bleiben.

Mieter:innen erfahren im Netz von Umbauplänen

Die Anzeichen eines bevorstehenden Umbaus häuften sich schon seit zwei Jahren. Plötzlich stand ein Vertreter eines Architekturbüros vor der Tür, um alle Räume auszumessen. «Immer und immer wieder haben wir bei der Verwaltung nachgefragt, was passiert», erzählt eine Bewohnerin. Die Verwaltung beteuerte stets, nichts von einem geplanten Umbau zu wissen. 

«Ich empfand das als Racheaktion.»

Bewohner der Konradstrasse 50

Dann macht einer der Bewohnenden eine beunruhigende Entdeckung. Auf der Homepage des Architekturbüros findet er ein schwarz-weisses Foto der Konradstrasse 50. Darunter die Projektbeschreibung: «Umbau, Aufstockung und Einrichtung eines viergeschossigen Stadthauses aus dem Jahre 1895 mit 4 Wohnungen zu einem fünfgeschossigen Apartmenthaus mit 26 vollmöblierten Studios.» Wieder will die Verwaltung nichts von einer anstehenden Sanierung wissen. 

Als die Gerüste stehen, kann auch die Verwaltung nichts mehr abstreiten

Die traurige Gewissheit kommt schliesslich zu Weihnachten 2024, als Baugespanne um das Haus errichtet werden. Nun muss auch die Verwaltung anerkennen, dass definitiv umgebaut wird. Die Kündigung folgt per eingeschriebenem Brief.

«Ich empfand das als Racheaktion», erzählt ein langjähriger Mieter. «Weil wir uns über den Baulärm, die ungenügende Hausverwaltung und den überlasteten Hauswart beschwert haben, hat sich der Ton der Antworten sogleich verschlechtert und wir werden jetzt auf die Strasse gestellt.» 

Laut Baugesuch sind 27 anonyme Mikrowohnungen geplant. Die Wohnungen seien für Studierende vorgesehen und werden voll möbliert angeboten, heisst es. 

Business Apartments im Kreis 4
In Zürich gibt es immer mehr Business-Apartments wie hier im Kreis 4. (Bild: Isabel Brun )

«Wenn ich schon umbaue, dann soll der Wohnraum effizient genutzt werden – das wird ja momentan gefordert», meint Brühlmann zu seinem Vorhaben. Ob sich Studierende den neuen Mietzins leisten werden können, dazu will sich Brühlmann nicht äussern.

Der Umbau reiht sich ein in einen städtischen Trend. Immer mehr Wohnungen werden zu sogenannten Apartments umgebaut. In den vergangenen acht Jahren hat sich ihr Anteil in der Stadt verdoppelt.

Walter Angst vom Mieterinnen- und Mieterverband Zürich kritisiert das Vorhaben: «Aus Sicht der Mieter:innen ist das alles andere als erwünscht.» Gemäss dem Baugesuch investiert der Eigentümer 3 Millionen Franken. Walter Angst rechnet vor, dass die möblierten Zimmer für 1200 Franken oder mehr vermietet werden dürften. «Der Ertragswert liegt somit bei rund 18 bis 20 Millionen Franken – ein Riesengeschäft.»

Schliesslich könnte noch ein hängiges Bundesgerichtsurteil, das Kurzzeitvermietungen von Wohnungen beschränkt, Brühlmanns Pläne verhindern. 

Brühlmann hat noch viel vor

Nach der Kündigung zu Weihnachten formiert sich schnell Widerstand und mehrere Mietparteien erheben Einspruch gegen die Kündigung. Zwar steht ein Schlichtungsverfahren an, doch die Verhandlung findet erst knapp eine Woche vor dem Auszugstermin statt. Diese unsichere Ausgangslage hat inzwischen mehrere Parteien dazu bewogen, den Einspruch zurückzuziehen und sich auf die Wohnungssuche zu konzentrieren. 

Brühlmann gehört zur alten Schule. Allen Mietparteien sechs Monate vor dem geplanten Umbaubeginn zu künden ist zwar rechtens, doch ambitioniert. Doch der Eigentümer ist überzeugt, noch vor dem Schlichtungsverfahren eine Lösung mit den verbliebenden Mietenden zu finden und pünktlich mit dem Umbau zu beginnen. Bis jetzt hätte er noch immer eine Lösung gefunden, beteuert er. Neben mehreren Immobilien in Zürich saniert er auch im grossen Stil ältere Mehrfamilienhäuser in Neuhausen und in der Stadt Schaffhausen. 

Trotz seines hohen Alters hat Brühlmann noch viel vor. 

Im Wohnbrief vom 03. Juni findest du News und Tipps zu Wohnthemen in Zürich.

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Kommentare

super
03. Juni 2025 um 16:24

ich finde das super

Endlich kommt Bewegung in das Ganze und die Stadt entwickelt sich. Niemand will doch quersubventionieren. Eigentum ist Eigentum. Kauft doch selbst eine Liegenschaft und macht es doch mal mit eurem Geld sozial und nicht mit anderem Geld. Das macht dann ja niemand.