Zürcherinnen nehmen trotz Periodenschmerzen kaum frei
Menstruierende Personen, die für die Stadt Zürich arbeiten, nehmen bei Schmerzen kaum frei. Das zeigt eine aktuelle Befragung. Doch warum ist das so?
Wie eine aktuelle Befragung von 10'000 Mitarbeiterinnen der Stadt Zürich zeigt, nehmen diese bei Menstruationsbeschwerden kaum frei. Obwohl etwa 63 Prozent von ihnen regelmässig unter starken Menstruationsbeschwerden leiden würden. Nur 39 Prozent der Betroffenen nutzen gemäss der Auswertung Optionen wie Krankmeldungen, Homeoffice oder längere Pausen.
Weiter hätten zwei Drittel der Befragten angegeben, dass sie bei der Begründung für eine Abwesenheit flunkern würden. Sie nennen der Stadt zufolge lieber Kopfschmerzen als Grund, anstatt offen über ihre Menstruationsbeschwerden zu sprechen. Dies, obwohl sich 86 Prozent eine offenere Kommunikation rund um die Menstruation am Arbeitsplatz wünschten.
«Es braucht einen kulturellen Wandel, damit Menstruation enttabuisiert wird.»
Nicole Niedermüller, Unia Region Zürich-Schaffhausen
Laut Nicole Niedermüller von Unia Region Zürich-Schaffhausen ist die Stimmung im Berufsumfeld entscheidend, ob sich menstruierende Personen trauen, ihre Bedürfnisse zu äussern und somit auch die Scham zu überwinden. Der Ball läge hier klar bei den Arbeitgebenden: «Sie tragen die Verantwortung für ein integratives Arbeitsklima und somit auch für das Wohlbefinden der Mitarbeitenden.»
Zwar befürwortet Niedermüller die Bestrebungen der Stadt, doch damit sich die Situation gesamtgesellschaftlich verändert, sei mehr nötig als individuelle Lösungen: «Es braucht einen kulturellen Wandel, damit Menstruation enttabuisiert wird und kein Hindernis mehr für menstruierende Personen im Berufsleben darstellt», so die Gewerkschafterin.
Eine Generationenfrage
Die Ergebnisse der Befragung zeigen unter anderem, dass junge Frauen im Gegensatz zu älteren eine Menstruationsdispens eher befürworten und in Anspruch nehmen würden.
Ein möglicher Grund für diese Zurückhaltung älterer Generationen ist laut Niedermüller, dass Frauen aufgrund ihrer Lebenserfahrungen und Diskriminierungserfahrungen gelernt hätten, mehr auszuhalten und sich deswegen zurückhaltender zeigen.
Dem stimmt auch Stadtrat Daniel Leupi zu: «Es gibt unterschiedliche Faktoren, weswegen ältere Frauen Krankschreibungen weniger in Erwägung ziehen. Einer ist ganz sicherlich die Sozialisierung und das Gefühl, man müsse trotz Schmerzen immer leistungsfähig sein.»
Dass das Angebot bisher wenig genutzt würde, sei also kein Zeichen für ein nicht vorhandenes Bedürfnis, so Leupi. «Wir haben uns bewusst dafür entschieden, eine Menstruationsdispens nicht direkt einzuführen, aber sie auch nicht von vornherein auszuschliessen.»
Dank des Pilotprojekts habe die Stadt ein besseres Bild der Lage. Die Zahlen würden zudem den Befürchtungen widersprechen, dass eine solche Krankschreibung nur ein «Freipass» sei, um nicht zu arbeiten.
Forderung aus Politik
Der Versuch, menstruierende Angestellte der Stadt zu entlasten, kam aus dem Stadtparlament. Im Juni 2022 reichten die Grüne-Gemeinderätinnen Anna-Béatrice Schmaltz und Selina Walgis ein Postulat ein, das einen Pilotversuch zur Einführung einer bezahlten Menstruationsdispens für städtische Mitarbeiterinnen forderte. Konkret sollten Betroffene bei starken Beschwerden drei bis fünf Tage von der Arbeit freigestellt werden können.
Wie genau es nun für Angestellte der Stadt weitergeht, ist noch unklar. Insbesondere die jüngeren Generationen haben andere Erwartungshaltungen an ihre Arbeitsstelle und sind laut Leupi «selbstbewusster». «Damit müssen wir uns auseinandersetzen», so der Stadtrat.
Eine Vorreiterrolle hat bereits eine andere Schweizer Gemeinde eingenommen: Letztes Jahr führte Freiburg den Menstruationsurlaub für seine Angestellten ein. Die neue Regelung erlaubt städtischen Mitarbeiter:innen mit starker Regelblutung, bis zu drei Tage pro Menstruationszyklus freizunehmen und das, ohne ein ärztliches Attest vorlegen zu müssen.
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Ausbildung als Polygrafin EFZ an der Schule für Gestaltung in Bern und aktuelle Studentin Kommunikation mit Vertiefung in Journalismus an der ZHAW Winterthur. Einstieg in den Journalismus als Abenddienstmitarbeiterin am Newsdesk vom Tages-Anzeiger, als Praktikantin bei Monopol in Berlin und als freie Autorin beim Winterthurer Kulturmagazin Coucou. Seit März 2025 als Praktikantin bei Tsüri.ch