Geschichten aus dem Moment: Zirkus Chnopf feiert Dernière in Zürich

Am Samstag feiert der Zirkus Chnopf in Zürich die Dernière seiner diesjährigen Schweiz-Tour. Die Artist:innen erzählen im aktuellen Stück «Moment!» von den vielen kleinen Momenten, die zum grossen Ganzen führen.

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Was geht gibt es da wohl Spannendes zu bestaunen? (Bild: Annik Vanal)

Wenn auf einem Bushaltestellendach ein Schlagzeug steht, wenn mit grossen Koffern im Duo jongliert wird, wenn an einer Strassenlaterne rumgeturnt wird, wenn ein junger Mann mit Bohrmaschine zum Roboter wird, ein anderer mit weissem Stirnband durch die Luft fliegt, oder wenn aus einem Stromkasten Musik erklingt, dann, dann ist da wohl so einiges aus den Fugen geraten. Dabei waren doch alle in ihrem eigenen Trott, mit oder ohne klarem Ziel vor Augen, auf ihrer Reise, jeder und jede für sich. Mit dem Bus durch die Landschaft. Durchs Leben. Auf die Bühne. Und dann? Stillstand. Moment.

Beginnen wir von vorne. Bereits zum 32. Mal tourte der Zirkus Chnopf den ganzen Sommer über mit Profiakrobat:innen, Profimusiker:innen und Jungartist:innen durch die Schweiz. Mit Bussen, Lastwagen, Wohnwagen und Zirkuswagen. Spielte in Biel, Baden oder Bern, aber auch in abgelegenen Juradörfern ist mittlerweile wieder zurück, zu Hause, im Zürcher Zirkusquartier an der Flurstrasse. 

Dort sitzt eine Banjospielerin mit Rucksack und bläulichen Gelsomina-Frisur Haaren an besagter Bushaltestelle, und wartet.  Dort sitzt eine Banjospielerin mit Rucksack und bläulichen Haaren an besagter Bushaltestelle, und wartet. Wartet, bis sich die Stühle und Bänke mit Kindern und Erwachsenen füllen. Das Publikum wartet mit ihr. Auf eine Stunde voller Überraschungen, vielen Ahs und Ohs und will verzaubert werden.

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Eine Artistin des Zirkus Chnopf zeigt ihre Kunststücke. (Bild: Annik Vanal)

Das Chaos

Dann tuckert auf einmal ein kleiner Bus mit runden Lukenfenstern um die Ecke, hält an, die Musikerin packt ihr Banjo ein, quetscht sich in das übervolle Büschen. Weiter geht's, im Rausch des Lebens. Doch der Bus springt nicht mehr an. Stillstand. So die Ausgangslage der aktuellen Produktion des Jugendzirkus mit dem treffenden Namen «Moment!». Moment des Innehaltens. Des unerwarteten Unvorhergesehenen. Und nun? Moment des Wandels? Er mag einem bekannt vorkommen, dieser Einschnitt in den Alltag. «Moment!» kann durchaus als Analogie unser aller Erlebnisse des Pandemieanfanges vor über zwei Jahren gelesen werden.

Ein Ruck nicht nur durch den abgemurksten Motor, nein, ein Schock des Nichtmehrweitergehens. Die Weltgesellschaft zusammengeschrumpft auf elf Figuren im Kleinbus auf der Zirkusbühne, die nicht unterschiedlicher auf die Situation reagieren könnten.

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Die Artist:innen des Zirkus Chnopf zeigen ein letztes Mal diesen Samstag ihren «Moment». (Bild: Annik Vanal)

Eine Jungartistin im blauen Ganzkörperanzug dreht durch, schreit und will einfach nur so schnell wie möglich weiter, ins alte Leben. Denn«We are told by everyone to move on / To go on, even if we are overflown», weitermachen, auch wenn wir eigentlich nicht mehr können, davon singt eines der «Moment!»-Lieder. Ein junger Mann im roten Anzug schaut sich verträumt um und will genau hier im ungewissen Nirgendwo bleiben.«What, if we instead have learned to hold on/ to value every hour or minute of every single day?», sinniert der Song weiter.

Was, wenn wir gelernt hätten, jeden einzelnen Moment zu schätzen? So nimmt der junge Mann im roten Anzug die Koffer vom Busdach, während sich zwei Lager bilden: Die, die bleiben und die, die fahren wollen. Chaos an der Bushaltestelle. Ein gemeinsamer Tanz, der in exzentrischen Einzelbewegungen endet. Kofferschlägerei. Bis man sich auf einmal mit sanfteren Klängen an der Strassenlaterne zum Poledance-Duo trifft und Freundschaften über die beiden Lager hinaus bildet. Sich gegenseitig motiviert, aus sich herauszukommen. Neues wagt. Oder einsam im Bus sitzt, starr, und wartet. Auf was genau? Dass sich ein Problem von alleine löst? Einem der Bus des Lebens auf einmal doch wieder weiterbringt? Ohne selbst was in die Hand zu nehmen?

Die Auflösung

«Hey this is me, and thats how I can be /Maybe we can find some common ground to agree / And yes, this is you, and I try to see what you want to give, what you bring and what you need me to do / There’s a lot we could create / If only we would communicate / With open eyes, open ears, open arms, open hearts» – der Zirkus Chnopf steht nicht nur für Jugendakrobatik und eine zirzensisch erzählte Geschichte, sondern eben auch für eigens komponierte zirkus-untypische Musik. Musik, die das Hauptthema unterstützt, die Handlung untermalt und vorantreibt. Mit offenen Augen, Ohren, Armen und Herzen soll man aufeinander zugehen und gemeinsam Neues kreieren, heisst es im Songzitat. Und im deutschsprachigen Lied wird zum Tanzen aufgefordert, wenn «der Auspuff spuckt und faucht / die Motorhaube raucht /.../ Wenns nicht mehr weiter geht / Sich dein Plan umdreht / Sing mit mir /Tanz mit mir / Lach mit mir / Komm wir bauen / Hier unsre Welt / Und bleiben hier / Der Bus steht nun im Sand / Was kommt, liegt in unsrer Hand».

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Mitten im Spiel. (Bild: Annik Vanal)

Diese Zeilen mögen vielleicht, trocken und aus dem Kontext gerissen etwas kitschig klingen. Doch schafft es «Moment!» mit sanften Übergängen tatsächlich, aus dem anfänglichen Chaos der Buspanne viele kleine filigrane Momente der Freude und Überraschung zu kreieren. So wird auch kurzerhand der Bussitz zum Schleuderbrettböckchen. Oder die Matte, die sonst jeweils nur am Boden rumliegt und Verletzungen abwenden soll, wird in einer Nummer gar zur Hauptfigur. Vieles geschieht nebeneinander und droht manchmal neben Hauptattraktionen wie Luftringakrobatik oder waghalsigen Schleuderbrettsalti etwas unterzugehen. Aufmerksames Beobachten lohnt sich also alleweil. Denn: Ob auf oder neben der Bühne, erzählt doch erst die Zusammenführung vieler kleinen Momente die ganz grosse Geschichte.

Die allerletzten Vorstellungen des Zirkus Chnopf schweizweit spielen sie heute Freitag, 16.09. und morgen Samstag,17.09. jeweils um 19.30 Uhr, in ihrem Zuhause, im Zürcher Zirkusquartier.

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