Was Zürich von Zohran Mamdanis Wahlsieg in New York lernen kann
Die Wahl des Demokraten Zohran Mamdani als Bürgermeister von New York bewegt auch Menschen in Zürich. Allen voran unsere Kolumnistin Hannan Salamat: «Mamdani zeigt, dass man in einer Welt, die von Angst regiert wird, nicht noch mehr Angst braucht.»
Als ich am Mittwochmorgen die Nachricht las, dass Zohran Mamdani Bürgermeister von New York geworden ist, musste ich zweimal hinschauen. Vielleicht, weil es sich in dieser Zeit fast unwirklich anfühlt, gute Nachrichten aus der Politik zu bekommen. Wir haben uns so daran gewöhnt; an Reaktionäre, an Zynismus, an die ewige Angst vor Veränderung.
Ich war noch nie in New York, und doch hat diese Stadt mein Leben geprägt. Denn ich gehöre zu einer Generation, die nach 9/11 erwachsen wurde. In einer Welt, in der antimuslimischer Rassismus alte koloniale Erzählungen neu belebte, mit Gesichtern, Gesetzen, Gewalt. Menschen wie ich mussten immer wieder beweisen, dass wir keine Bedrohung sind.
Und nun wird ausgerechnet in dieser Stadt jemand wie Mamdani zum Bürgermeister gewählt: ein Muslim, ein Sozialist, ein Politiker, der die Sprache der Gerechtigkeit spricht, ohne sie zu instrumentalisieren.
Es ist eine kollektive Erfahrung, die an der Dominanzkultur vorbeizieht, weil sie nicht von Repräsentation handelt, sondern von Heilung.
Ich habe in den letzten Monaten viele Freund:innen gehört, die sagten, dass sie während des Wahlkampfes durch viele Gefühle gegangen sind, dass sie bei der Nachricht seines Sieges Tränen in den Augen hatten. Nicht, weil in New York jetzt alles besser wird, sondern weil sein Erfolg für etwas steht, das wir fast verlernt haben: Hoffnung.
Ich musste dabei unweigerlich an Zürich denken, an diesen kurzen Moment der Hoffnung, die ich im letzten Jahr verspürt habe und an die verpasste Chance, als die SP Mandy Abou Shoak nicht für das Stadtpräsidium nominierte. Es hätte unser historischer Moment sein können – «The Swiss Dream» – weil sie für eine andere Art von Politik steht: eine, die zuhört, die gegenseitiges Vertrauen schafft, die nicht über Menschen redet, sondern mit ihnen.
Abou Shoak hat sich nicht einfach über Parteikarrieren definiert, sondern durch Erfahrung, Arbeit mit Communitys, Engagement. Sie verkörpert Wissen, das nicht aus Funktion, sondern aus Beziehung entsteht.
Aber genau das passte nicht ins vertraute Schema. Man fürchtete, dass Nähe unberechenbar macht. Dabei ist sie die einzige Grundlage, auf der politische Erneuerung gelingen kann. Mamdanis Wahlkampagne erinnert mich eben auch daran, dass «Volksnähe» kein PR-Begriff ist, sondern eine Haltung. Dass Politik nicht dann glaubwürdig ist, wenn sie perfekt verwaltet, sondern wenn sie wirklich spürt, worum es geht.
«Der Glaube, dass Zukunft möglich ist, wenn wir sie gemeinsam denken, fehlt uns in Zürich.»
Hannan Salamat
Mamdani zeigt, dass man in einer Welt, die von Angst regiert wird, nicht noch mehr Angst braucht, sondern Perspektiven.
Auch seine Rede nach dem Triumph ging nicht nur um den Wahlsieg, sondern um das, was wir so dringend vermissen: Hoffnung, die auf Solidarität gründet. Er sprach von Menschen, deren Hände müde sind vom Arbeiten, deren Stimmen selten gehört werden, und machte sie damit zum Zentrum seiner Politik. Das hat mich berührt, weil er damit etwas ansprach, das auch hier viele fühlen: dass Politik nicht nur für uns, sondern mit uns entstehen sollte. Gerade in einer direkten Demokratie.
Seine Worte klangen wie ein Aufatmen nach Jahren des Misstrauens, als würde eine Stadt endlich wieder zu sich kommen. Hoffnung ist für ihn kein Gefühl, sondern eine Bewegung, ein kollektives «Wir», das den Mut hat, den nächsten Schritt zu gehen, auch wenn man nicht weiss, wohin er führt. Hoffnung nicht als Zufluchtsort, sondern als ein Werkzeug, mit dem man die Zukunft wieder in die eigenen Hände nehmen kann.
Ich merke in meinem Umfeld, in Gesprächen mit Freund:innen, Aktivist:innen, progressiven Linken, wie sehr genau das fehlt: dieser Glaube, dass Zukunft möglich ist, wenn wir sie gemeinsam denken. Das Gefühl, dass Politik wieder etwas sein kann, das die Zukunft mitdenkt.
Viele sind müde, frustriert, misstrauisch gegenüber allem, was sich «neu» nennt. Wenn Menschen keine Zukunftsperspektive haben, klammern sie sich an die Vergangenheit. Sie romantisieren das, was war, weil das Morgen zu ungewiss scheint. Das ist kein moralisches, sondern ein psychologisches Phänomen: Angst sucht Halt. Und dieser Halt liegt selten im Fortschritt.
Vielleicht hat mich deshalb Mamdanis Sieg so tief bewegt. Weil er zeigt, dass politischer Mut ansteckend ist. Ich wünsche mir, dass wir hier in Zürich – in der Schweiz und in ganz Europa – wieder anfangen, so zu fühlen: dass Veränderung nicht gefährlich ist, sondern lebendig macht. Dass wir aufhören, Angst mit Vernunft zu verwechseln. Und dass Hoffnung nicht mehr naiv klingt, sondern notwendig.
Das ist wohl die eigentliche Botschaft: Hoffnung ist keine Stimmung. Sie ist eine Entscheidung. Menschen wie Mamdani erinnern uns daran, dass die Zukunft nichts ist, worauf man wartet, sondern etwas, das man wagt und aktiv gestaltet.
Ich hätte nie gedacht, dass ich so etwas mal sage: New York ist für mich gerade das Licht in der Dunkelheit.
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