Kolumne von Jane Mumford

Erste Erzbischöfin in England: Das Patriarchat in Frauenhand

In England sitzt neu eine Frau an der Spitze der Kirche. Als Zürcherin mit englischen Wurzeln freut sich unsere Kolumnistin Jane Mumford über diesen Entscheid. Vielleicht schaffe die erste Erzbischöfin das zu tun, was in der Kirche sonst selten passiere: Klartext zu sprechen. 

Kirche Priester
«Für mein Gefühl ist es immer noch eine Art Fortschritt, denn 85 Millionen Kirchen-Mitglieder werden ab jetzt einer Frau zuhören müssen», sagt Jane Mumford. (Bild: Unsplash/Sebbi Strauch)

In England wurde soeben die erste Frau an die Spitze der Kirche gesetzt. Sarah Mullally, ehemalige Pflegefachfrau und Mutter zweier Kinder, ist zur ersten Erzbischöfin von Canterbury gewählt worden. Seit 2018 ist sie schon Bischöfin von London und ab 2026 wird sie ihren neuen Posten antreten als Sprachrohr der anglikanischen Kirche.

Somit ist ein weiterer Teil vom bestehenden Patriarchat in Frauenhand. Ist das etwas zum Feiern? «Patriarchat, ja, aber bitte von Frauen geleitet!»

Für mein Gefühl ist es immer noch eine Art Fortschritt, denn 85 Millionen Mitglieder werden ab jetzt einer Frau zuhören müssen und warten bestimmt gespannt auf ihre ersten Reden. Und ich warte gespannt darauf zu erkennen, warum ausgerechnet jetzt?!

Was erhofft sich die anglikanische Kirche davon? Sympathiepunkte bei Feminist:innen? (Wollen die das überhaupt?) Oder wollen sie die Aufgaben, die ihnen in den nächsten Jahren bevorstehen, einfach schlicht nicht selber machen? Kurz: Ist Sarah Mullally da, um aufzuräumen?!

«Ist es immer die Aufgabe einer Frau, die ‹unangenehmen Themen› behandeln zu müssen, für die sich Männer jahrelang zu schade waren?»

Jane Mumford

Ihr Vorgänger, Justin Welby, trat nämlich zurück, nachdem herauskam, dass er jahrelang Missbräuche nicht rechtzeitig der Polizei gemeldet hatte. Die Skandalfälle summieren sich in einem Ausmass, in dem sogar die Kirche selber nicht mehr so tun kann, als seien es Einzelfälle.

Nun wird Mullally als anglikanisches Kirchenoberhaupt irgendwie zu den Missbrauchskandalen innerhalb ihrer Kirche Stellung beziehen müssen. Uff! Ist es immer die Aufgabe einer Frau, die «unangenehmen Themen» behandeln zu müssen, für die sich Männer jahrelang zu schade waren?

Ich erinnere mich an Margaret Thatcher – also nicht persönlich, sie hätte mich nie zum Tee eingeladen – und das mulmige Gefühl, das ich hatte, als ich im Geschichtsunterricht merkte, dass man dann eine Frau an die Spitze wählte, als klar war, dass richtig grosse Drecksarbeiten anstehen: unter anderem das Streichen von Milchkontigenten an Schulen für Kinder aus ärmeren Haushalten, welches ihr den Slogan erntete: «Thatcher, Thatcher, milk snatcher.»

Ich denke an Theresa May, die nach Cameron’s desaströsem Brexit-Referendum-Fail antreten musste, um seine Suppe auszulöffeln. Ich denke auch an Liz Truss! Einfach so – und hoffe, dort wo sie jetzt ist, ist sie glücklich. 

Aber zurück zu Mullally!

Die anglikanische Kirche ist tatsächlich eine Abzweigung der katholischen Kirche, die Frauen als Bischöfe zulässt. Schon seit Jahren! Und erfreulicherweise hatten sie weltweit schon über 100 Bischöfinnen (sagt man das?) und die Welt ist nicht untergegangen, der Teufel hat sie nicht aufgefressen, keine Kirchentürme sind vor Empörung in sich zusammengekracht.

Viele waren dennoch von Mullally’s Ernennung überrascht. Nicht nur, weil sie die erste ERZ-Bischöfin sein wird, also die Chefin aller Chefinnen, sondern auch wegen ihres hohen Alters! Denn üblich war in den letzten Jahrzehnten die Ernennung von Männern zwischen 50 und 60, damit sie mindestens zehn Jahre im Amt sein können vor dem offiziellen Pensionierungsalter von 70 Jahren. Mullally ist bereits 64.

Wahrscheinlich wird sie um ein schnelles Amtsende froh sein, denn natürlich kreisen schon die Geier und fragen sich: wie wird sie, abgesehen von den Missbrauchsfällen, mit anderen «heiklen Themen» umgehen? Zum Beispiel mit der Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Ehe? Wie steht sie zu Abtreibungsfragen? Und überhaupt zur Gleichstellung innerhalb der Kirche?

Bis jetzt war sie relativ liberal – ich möchte gar sagen: fortschrittlich. Aber neues Amt – neue Verantwortung! Wird sie aus Angst vor einem Backlash konservativer werden? Wird sie nun, da sie den «glass ceiling» (der in der Kirche wahrscheinlich recht farbig war) durchbrochen hat, den Weg für mehr Frauen in Machtpositionen ebnen? Wird sie überhaupt etwas sagen können, ohne dass es von skeptischen Kirchenvätern zerpflückt wird?

Ich bin hoffnungsvoll, dass sie ziemlich Rückgrat behält. Denn wenn ich an die Bischöfin Mariann Edgar Budde denke, die im Januar dieses Jahres in einem viralen spirituellen Moment einen verdatterten US-Präsidenten Donald Trump dazu ermahnte, nicht ein komplettes Arschloch zu sein (ok vielleicht nicht genau in diesen Worten, aber wir wussten alle, was sie damit meinte!), dann denke ich mir: Hey, vielleicht schaffen Frauen etwas zu tun, was in der Kirche sonst selten passiert. Nämlich Klartext zu sprechen. 

In dem Sinne: Urbi et Orbi, et go get ‘em, girl!

Ohne Deine Unterstützung geht es nicht.

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Medien. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Mittlerweile sind 2600 Menschen dabei und ermöglichen damit den Tsüri-Blick aufs Geschehen in unserer Stadt. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 3000 – und mit deiner Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für Tsüri.ch und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 8 Franken bist du dabei!

Jetzt unterstützen!
tracking pixel

Das könnte dich auch interessieren

Kommentare