Urologen, Pornos und Orgasmen: Zwei Jahre Sexpubquiz
Am 21. Mai findet in Zürich das Jubiläum des Sexpubquiz statt. Seit zwei Jahren organisieren Yael Roth und Baluu Lehmann den Quizabend. Damit wollen die beiden gelernten Sexolog:innen Tabus brechen und mit Vorurteilen aufräumen.
Seit zwei Jahren organisieren Yael Roth und Baluu Lehmann das Sexpubquiz, einen Quizabend mit dem Ziel, Sexualaufklärung für Erwachsene niederschwellig zu gestalten. Beide sind gelernte Sexolog:innen und bieten selbst auch Therapiestunden für Einzelpersonen oder Paare an.
In den letzten zwei Jahren haben sich Roth und Lehmann eine grosse Fanbasis aufgebaut und nach eigenen Angaben mit ihren 16 bis 20 Quizabenden pro Jahr rund 2500 Personen erreicht. Auch die Jubiläumsausgabe am 21. Mai im «Théâtre a.part» in Zürich mit 180 Plätzen ist ausverkauft.
Sofie David: Seit zwei Jahren führen Sie das Sexpubquiz durch. Ein grosser Teil Ihres Konzeptes ist dabei die Sexualaufklärung. Bemerken Sie da Wissenslücken bei den Leuten?
Yael Roth: Wir hatten alle eine Mini-Aufklärung in der Schule, aber die hat nur an der Oberfläche gekratzt. Sexpositivity ist zwar mittlerweile in unserer Gesellschaft angekommen, aber für viele ist es dennoch schambehaftet, zuzugeben, dass man selbst Wissenslücken hat. Alle reden über Sex, aber viele wissen zum Beispiel nicht, wo die G-Zone ist. Deshalb fangen wir bei den Basics an.
Baluu Lehmann: Unsere Quiz sind aber nicht einfach: Die Sieger:innen-Teams haben im Schnitt 12 von 20 Antworten richtig.
Bei welchen Fragen stolpern die Teilnehmer:innen?
Lehmann: Einmal sollten die Besucher:innen aufschreiben, wofür das Akronym FLINTA, also Frauen, Lesben, intersexuelle, nichtbinäre, trans und agender Personen steht. Ein grosser Teil wusste das nicht, was uns überraschte. Aber ich merke, dass das Interesse wächst. So haben wir viele Stammkund:innen, die schon bei mehreren Quizabenden dabei waren.
Was für Fragen stellen Sie denn?
Roth: Wir haben der Leichtigkeit des Abends zuliebe viele lustige Fragen, unter anderem zum Tierreich wie: «Welches Säugetier hat den grössten Penis?» oder «Wie heisst das Insekt, das seinen Partner nach dem Geschlechtsverkehr verspeist?» Ein anderes Beispiel ist: «Für wie viel Geld wurde Napoleons präservierter Penis von einem Urologen ersteigert?»
Was ist die Antwort?
Roth: Circa 2900 US-Dollar.
Lehmann: Wir scheuen uns aber auch nicht vor schwereren Themen wie Lustlosigkeit, Erektionsproblemen, sexualisierte Gewalt, Endometriose oder Pornogebrauch.
Wie bauen Sie solche schweren Themen in eine einfache Quizfrage ein?
Lehmann: Wir teilen die Fragen in vier Kategorien auf. Nach jeder Runde gehen wir die Fragen nochmals durch, lösen direkt auf und erzählen ein wenig mehr zum Hintergrund. Das gibt uns die Möglichkeit, auch schwierige Themen zu behandeln.
«Wir helfen den Leuten zu sehen, dass sie mit ihren Fragen und Problemen nicht alleine sind.»
Yael Roth, Sexologin
Können die Teilnehmer:innen auch Fragen an Sie stellen?
Lehmann: Wir haben vor der Pause jeweils einen QR-Code, über den man anonym Fragen an uns stellen kann, die wir dann beantworten. Interessanterweise kommt dort fast seit Beginn des Sexpubquiz jedes Mal die Frage, wie man einen vaginalen Orgasmus haben kann. Das scheint die Leute zu interessieren oder auch zu belasten.
Und Sie erklären dann, wie das geht?
Lehmann: Jein, zunächst einmal fragen wir zurück, wieso man das lernen möchte. Ist es überhaupt nötig, das zu können? Wenn es darum geht, dem patriarchalen Bild von Sexualität zu entsprechen, kann man das auch hinterfragen.
Und wenn jemand dennoch lernen möchte, wie man zum vaginalen Orgasmus kommt?
Lehmann: Dann gibt es Techniken. Man kann seinen vaginalen Innenraum erforschen. Der Körper kann lernen, gewisse Berührungen an sexuelle Erregung zu koppeln und sich so dafür zu sensibilisieren.
Roth: Damit helfen wir den Leuten auch zu sehen, dass sie mit ihren Fragen und Problemen nicht alleine sind und dass es natürlich ist, sich auch bei diesen Themen beraten zu lassen.
Das Bedürfnis, zum vaginalen Orgasmus zu kommen, entspricht einem sehr heteronormativen Verständnis von Sex, nur penetrativer Sex sei echter Sex. Wie gehen Sie mit queeren Themen um?
Roth: Das ist in der Tat gar nicht so einfach. Viele Studien wurden und werden nur mit heterosexuellen Personen gemacht. Zu queeren Themen gibt es schlichtweg weniger Daten, weil es die Statistiken und Studien nicht gibt. Das greifen wir aber auch auf und erklären, weshalb das so ist.
Wir nehmen Fakten aus Geschichte und Medizin, die Datenlage ist da aber zum Teil sehr unausgeglichen. Als Wissenschaftler:innen ist es uns wichtig, die aktuelle Datenlage neutral wiederzugeben. Aufgrund der Geschichte fallen dann halt trotzdem wieder Ungleichbehandlungen marginalisierter Gruppen auf. Das merkt das Publikum aber dann auch selber.
Sie beziehen dazu also keine Stellung?
Roth: Als Wissenschaftler:innen nehmen wir Dinge so auf, wie sie geforscht wurden. Wenn etwas signifikant vorkommt, nehmen wir diese Information auf und tragen sie gegen aussen, weil wir sie interessant finden. Ich finde, wir sollten nicht zu viel von unserer eigenen Meinung einbauen. Manchmal ist das aber fast nicht möglich.
Lehmann: Bei vielen Themen wie Abtreibungen oder Hysterie können wir unsere Haltung mit psychologischen und sexologischen Argumenten belegen. Aber wir nennen uns auch nicht das «feministische Sexpubquiz».
«Wir würden zum Beispiel nie Zahlen aus einer Statistik nehmen, die von den Vertreter:innen vom ‹Marsch fürs Läbe› kommt.»
Baluu Lehmann, Sexologe
Obwohl Sie beide Feminist:innen sind?
Lehmann: Ja, wir sind beide überzeugte Feminist:innen. Gleichberechtigung ist ein Wert, den wir klar vertreten. Aber hier sind wir in einer therapeutischen Rolle. Feministisch ist so ein Trigger-Wort, damit könnten wir Leute abschrecken, die dann nicht kommen würden.
Es ist Ihnen also wichtiger, ein breites Publikum zu erreichen, als sich klar zu positionieren?
Lehmann: Es ist uns wichtiger, dass wir eine grosse Bandbreite an Personen erreichen und abholen können. Aber das Quiz trägt unsere Werte mit. Wir sprechen zum Beispiel nicht von Frauen und Männern, sondern von Mensch mit Vulva oder Mensch mit Penis. Und wir wählen unsere Fakten auch so aus. Wir würden zum Beispiel nie Zahlen aus einer Statistik nehmen, die von den Vertreter:innen vom «Marsch fürs Läbe» kommt. Das ist keine seriöse Quelle, sondern Propaganda.
Wie hat sich Ihr Verständnis von Sex und Sexualität verändert, seit Sie damit begonnen haben?
Roth: Seit ich das Studium gemacht habe, hat sich meine Scham zum Thema und wie ich mit Leuten darüber spreche, stark reduziert. Themen wie Selbstbefriedigung sind für mich ein Teil von Selfcare geworden. Es darf für uns etwas Schönes sein! Je mehr wir offen über solche Themen reden, desto mehr versteht auch unser Gehirn, dass das etwas Normales ist. Und Sex gehört schliesslich zum Leben dazu.
Lehmann: Persönlich ist bei mir nicht so viel mehr passiert. Das einzig Neue ist vielleicht, dass ich sehr viele Funfacts über Sex im Kopf habe. Und es hat meine Wahrnehmung dafür geschärft, dass das Thema Sex für viele Menschen schwierig ist. Persönlich bewege ich mich in einer Bubble, in der viel und ohne Hemmungen über das Thema Sex gesprochen wird.
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Sofies Begeisterung für die Medienbranche zeigt sich in ihren diversen Projekten: Sie leitete den Zeitungs-Kurs im Ferienlager, für die Jungen Jorunalist:innen Schweiz organisiert sie seit mehreren Jahren das Medienfestival «Journalismus Jetzt» mit. Teilzeit studiert sie an der ZHAW Kommunikation. Zu Tsüri.ch kam sie zunächst 2022 als Civic Media Praktikantin. 2024 kehrte sie dann als Projektleiterin und Briefing-Autorin zurück und momentan macht sie als erste Person ihr zweites Tsüri-Praktikum.