Notre-Dame: Ein Denkmal für die soziale Ungleichheit

Notre-Dame brennt. Im Meer ertrinken Menschen. Und in den Kommentarspalten ist die Hölle los. Das eigentlich Tragische: Alle streiten sich, ohne auf den Elefanten im Raum zu zeigen.

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Menschen, die sich um Ertrinkende im Mittelmeer sorgen, legen sich mit Menschen an, die ihre Bestürzung zu einem kulturellen Verlust kund tun. Trauernde greifen Trauernde an. Und Trauernde schlagen zurück. Die einen rufen: «Wie kann man nur über ein Monument weinen, wenn wir mit so viel menschlichem Leid konfrontiert sind?» Die anderen schreien zurück: «Wieso meint ihr, uns vorschreiben zu müssen, wie wir mit dem Verlust von Dingen umzugehen haben?» Themen werden vermischt. Gemüter werden erhitzt. Und jeder meint, sich eine Meinung über die Gefühlslage der anderen bilden zu dürfen. Es sind Diskussionen, die wir als Verlierer*innen verlassen, auch wenn wir mit Argumenten glänzen.

Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Deshalb möchte ich nicht darüber sprechen, ob Menschen wichtiger sind als Monumente. Es gibt Fragen, die stellen sich in Anbetracht der geltenden Menschenrechte nicht. Beides hätte Platz in unserer Welt. Menschen und Monumente. Doch das ist eben nur ein Konjunktiv. Unsere Realität ist eine andere. Durch die Vermischung der Themen wird über das eigentlich Empörende hinweg diskutiert: Wie kann es sein, dass zwei Menschen ohne Weiteres dazu in der Lage sind, 300 Millionen Euro aus dem Ärmel zu schütteln? Ganz egal für welchen Zweck. Ob für NGOs, Kultur- oder Investmentprojekte.

Es wirkt fast wie ein Marketing Coup. Da spendet François-Henri Pinault, Gründer von Luxusmarken wie Gucci und Yves Saint Laurent, 100 Millionen Euro zur Reparatur der Kathedrale. Bernard Arnault, Besitzer von Louis Vuitton, Givenchy und Dior, zieht mit 200 Millionen Euro nach*. Die zwei reichsten Männer Frankreichs zeigen uns, wie leicht zugänglich finanzielle Mittel wirklich sind – und die restlichen 99% machen sich in sozialen Netzwerken gegenseitig für ihre Gefühle fertig.

Die wenigsten von uns haben das Geld, um ganze Flüchtlingscamps durchzufüttern. Die wenigsten können erbaute Geschichte retten. Aber wir alle haben einen Verstand und eine Stimme, mit der wir auf den Elefanten im Raum zeigen sollten. Auf die unfassbare Tatsache, dass zwei Menschen gemeinsam 93 Milliarden besitzen. Knapp ein Achtel des Schweizer Bruttoinlandsprodukts. In der Weltrangliste des IWFs belegen diese beiden Männer gemeinsam Platz 66, weit vor Slowenien oder Lettland. Wie kann es sein, dass Menschen reicher sind als Länder? Wie kann es sein, dass Frankreich auf Privatgelder angewiesen ist, um ihre heiligsten Gemäuer zu retten?

Das wirklich tragische am Brand von Notre-Dame ist, dass der Sakralbau mit den Restaurationsarbeiten einen bitteren Anstrich erhalten wird. Notre-Dame ist von nun an auch ein Wahrzeichen für die ausufernde Umverteilung von unten nach oben und für die Kurzsichtigkeit der kleinen Bürger*innen. Pinault und Arnault setzen ihrem Reichtum ein Denkmal und der Rest übersieht vor lauter Gefühlen die eigentliche Schande.

*200 Millionen sind 0,299% von Arnaults Vermögen. Würde ich 0,299% meines Gehalts spenden, wären das 6 CHF.

Titelbild: Wikimedia Commons / GodefroyParis

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