«Insekten ekeln mich weniger als Fleisch»
Das Trio um das Projekt «crick» möchte die Bevölkerung mit seinen Grillencrackern auf den Nutzen von Insekten und somit auf nachhaltige Ernährung sensibilisieren. Wir haben mit Co-Gründer Raphael Hanimann über Insektenzucht und ethisch vertretbares Essen gesprochen.
Wieso genau Grillencracker?
Mehlwurm zu essen, bereitet den Leuten viel mehr Mühe, weil schon im Namen «Wurm» steht. Wenn wir mehr Leute dazu bringen wollen, sich dem Insektenessen zu öffnen, müssen wir mit Grillen anfangen: Dazu können sich die meisten noch überwinden. Die Grille ist ein sportliches Tier. Es hüpft umher und liegt nicht in der Erde rum, wie ein Wurm.
Wie seid ihr darauf gekommen, solche Cracker herzustellen?
Lea und Philipp haben vor drei Jahren eine Insektenfarm mit Mehlwürmern, Grillen und Heuschrecken gestartet. Diese war die erste Bio-Insektenfarm der Schweiz. Ich habe zudem in meinem Studium an der Landwirtschafts-Uni in Schweden Körner-Cracker gemacht. So sind wir darauf gekommen.
Wieso jetzt? Der Hype um Insekten ist doch irgendwie vorüber?
Die Legalisierung von Insekten als «Essen» vor drei Jahren gab den Ausschlag dazu, eine Insektenfarm zu starten. Inzwischen haben wir gelernt, dass die Leute keine ganzen Grillen oder Mehlwürmer essen, sondern lieber ein fertiges Produkt konsumieren. Mittlerweile gibt es einen Haufen Produkte wie Burger und Proteinriegel im Grosshandel, das hat aber so mässig gezogen. Diese Produkte wurden bis jetzt nicht wirklich attraktiv präsentiert. Es braucht ein Trendprodukt. Damit Insekten überhaupt einen Platz im Alltag bekommen können, reicht es nicht, nur zu sagen «hey, es ist gesund und ökologisch», es muss etwas Cooles, Junges und Dynamisches sein.
Wie eine zermahlene Grille?
Genau.
Ihr habt eure Grillenzucht vor kurzem aufgegeben. War die Nachfrage nicht genug gross?
Dafür gibt es zwei Gründe: Der Hauptgrund ist, dass Dieter Meier das Areal, auf dem auch unsere Zucht stand, gekauft hat, um seine Schoggifabrik aufzubauen. Der zweite, dass wir viel zu viel Zeit für das Instandhalten der Farm gebraucht haben, die einem tägliche Arbeit abverlangt. Wir hatten also fast keine Zeit, um Produkte zu entwickeln und Leute zu erreichen und haben deshalb praktisch keinen Absatz gemacht. Ganz wenige Insekten haben wir an Weihnachtsmärkten verkauft, dafür haben wir selber gebacken und verpackt. Wir probieren jetzt umgekehrt zuerst die Leute zu erreichen und das Thema aktuell zu machen, und dann die Farm wieder aufzubauen.
Woher kommen die Grillen jetzt?
Aus Spanien und Holland. Es sind zwei Farmer, mit denen wir jetzt in Kontakt sind, leider haben beide noch kein Bio-Zertifikat. Auf unserer Farm hatten wir Bio Suisse, auf europäischer Ebene existiert dieses Zertifikat noch gar nicht.
Wie sieht der Weg von der Zucht der Grillen bis zum Pulver aus?
Grillen sind wechselwarm, wenn die Temperatur sinkt, fahren sie auch ihren Kreislauf runter. Sie sind sehr effizient, weil sie keine eigene Körperwärme produzieren. Wenn sie gross genug sind, friert man sie in einem Gefrierschrank ein. Sie fallen dann in einen Winterschlaf. Bei einer bestimmten Temperatur sind sie tot. Klar sind es Tiere, die sterben, aber es ist ein vergleichsweise schöner Tod. Wir kriegen die Grillen bereits in Pulverform, könnten aber auch die ganzen Insekten haben.
Wie baut man die Hemmung ab, in den Kräcker zu beissen?
Erstens ist sicherlich hilfreich, dass man das Ganze nicht sieht. Zweitens ekelt mich die Vorstellung von Insekten viel weniger an, als die Bilder von Fleischproduktion. Drittens enthalten die Cracker extrem hochwertiges Protein, welches der Körper genauso gut aufnehmen kann, wie das Protein aus dem Fleisch. Wir haben dazu Tests mit der ZHAW gemacht. Sojaprotein wird zum Beispiel weniger gut aufgenommen.
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Seht ihr Insekten auch als Fleisch bzw. empfehlt ihr Veganer*innen eure Cracker?
Wir nehmen uns nicht heraus, unsere Cracker als veganes Produkt zu verkaufen. Die ethische Frage muss sich jede*r selber stellen. Es gibt durchaus Veganer*innen, die finden «Das ist interessant». Massentierhaltung entspricht den Insekten, das ist ihr Naturell. Anderen Tieren entspricht diese Art von Haltung nicht, weshalb wir persönlich es ethisch vertretbarer finden, Insekten so zu züchten.
Kommt das Insektenessen grundsätzlich gut bei der Bevölkerung an?
Wenn wir an den Märkten sind, sind die Leute zuerst skeptisch, nach dem Probieren aber schnell begeistert. Auch das Crowdfunding läuft sehr gut. Es braucht viel Aufklärungsarbeit und Kommunikation. Wenn der Schritt des Reinbeissens gemacht ist, hat man die Leute meistens für sich gewonnen.
Was kommt nach dem Crowdfunding?
Dann starten wir die Produktion. Das passiert hoffentlich in den nächsten Wochen. Danach wollen wir unser Produkt in Bars, Cafés und Sportclubs verkaufen. Im Moment sind wir viel zu klein, um die Cracker an einen Grossverteiler zu bringen.
Wenn wir es schaffen, dass die Leute das Produkt cool finden, dass es eine Rolle spielt und wenn wir einen frischen Beitrag zu dieser Nachhaltigkeitsdebatte leisten können, dann haben wir eigentlich schon viel erreicht. Wenn wir im lokalen Gewerbe präsent werden, ist das natürlich noch cooler. Aber das Ziel ist allen voran, einen frischen und unverkrampften Beitrag in diese, zum Teil sehr unentspannte, Ökologie- und Ernährungs-Debatte zu bringen. Ökologie ist eben nicht nur mühsam, sondern kann auch attraktiv sein.
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